Salone del Mobile 2014

Mailand, Blicke

Vor ein paar Wochen traf ich Jerszy Seymour in seinem neuen Studio im Berliner Stadtteil Wedding. Der kanadische Designer und Künstler erzählte von seinem jüngsten Projekt: einem besonders exquisiten Kettensägenmassaker. Der dänische Stoffproduzent Kvadrat hatte internationale Gestalter gebeten, sich mit dem Stoff "Divina" auseinanderzusetzen, den Kvadrat seit 30 Jahren im Programm führt.

Im Rahmen des Salone del Mobile war jetzt in der Mailander Via San Gregorio zu sehen, wovon Seymour in Berlin sprach. Richard Hutten, Werner Aisslinger oder Silvia Knüppel schufen in der Tat Sitzobjekte, die die starke Farbigkeit und Weichheit des Stoffes zur Geltung bringen. Seymour dagegen hat sich "Divina"-Rollen in Grau liefern lassen, diese wie Bäume in einem schwarzen, zellenartigen Raum aufgestellt und mit der Kettensäge bearbeitet – bis eine Landschaft aus Fetzen und Fäden entstand. "Ich habe damit ja auch Sitzobjekte geschaffen, Stümpfe eben."

Wenige Meter weiter an der Via San Gregorio geht es in einem kleinen Galerieraum noch härter zu: Dort zeigt die britische Künstlerin Sarah Lucas Stühle und Bänke aus Beton, eingefasst von billigen MDF-Platten. Neue Möbeltrends will sie damit wohl kaum setzen, wohl aber daran erinnern, dass ein Stuhl als skulpturales Objekt aufzufassen ist.

Über ganz Mailand verteilt finden sich überraschende Positionen – von der Luxus-Show die vom Magazin "Wallpaper" in der Galerie Leclettico kuratiert wurde bis zu überzeugenden studentischen Ausstellungen, etwa der Designhochschulen in Karlsruhe und Lausanne. Natürlich hat gerade der Nachwuchs mit dem Salone Satellite seit langem eine Bühne auf der Messe selbst – ein junger Gestalter kann sich keine bessere Plattform zum Kontakte-Knüpfen wünschen.

Entsprechend professionell präsentieren sich die meisten Jungdesignerinnen und -designer: An den Wänden ihrer Kojen finden sich typografisch feinsinnige Wortmarken, die wie von Peter Saville oder M/M Paris entworfen erscheinen und bereits den Charakter von Brands besitzen. Hier fallen besonders jene Designer ins Auge, die mit ihren Entwürfen eine stimmige Formensprache auf diverse Möbeltypen übertragen. Neben den nicht mehr ganz unbekannten Deutschen Thomas Schnur (Köln), Joa Herrenknecht (Berlin) oder Olga Blielawska (Hamburg), machten etwa auch die Schwedin Lovisa Hansson oder eine Designhochschule aus Oregon durch herausragende Arbeiten auf sich aufmerksam. Manche Satellite-Entwürfe lassen die großen Vorbilder Hella Jongerius, Konstantin Grcic oder Ronan und Erwan Bouroullec etwas zu deutlich erkennen. Aber diese Jungen haben zumindest Ambitionen und die studentische Bastelphase hinter sich gelassen!

Und was machen die großen Namen der Branche? Sind sie noch imstande, zu überraschen, Impulse zu setzen? Ja – mit einer Ausnahme. Aber der Reihe nach: Die Bouroullecs zeigten bei Mattiazzi einen filigranen Drehstuhl namens "Uncino", dessen Einfachheit und Linienführung überzeugt und nicht zum simplicity styling gerät. Die französischen Brüder sind auch am Riesenstand von Magis präsent: Hier zeigen sie die neue Tisch-Serie "Officina", deren schmiedeeiserne Untergestelle überraschen. Bei Artek feiert ein drehbarer Bürostuhl von Konstantin Grcic Messe-Premiere, doch ist er schon seit Ende März im Gespräch, denn er wird auch aktuell in Grcics sehenswerter One-Man-Show im Vitra Design Museum gezeigt.

Artek, bekannt vor allem für historische Möbelentwürfe von Arne Jacobsen und Yrjö Kukkapuro, wurde im letzten Jahr von Vitra gekauft – so ist die räumliche Nähe beider Stände in Halle 20 zu verstehen. Für die zwei Marken arbeitet Hella Jongerius als Farbspezialistin und lässt so manchen historischen Entwurf völlig neu und zeitgemäß erscheinen. Natürlich brilliert sie mit der textilen Farbgebung ihres neuen East River Chairs – der die Weiterentwicklung einen Sessels ist, den Jongerius für die Delegierten-Lounge im New Yorker UN-Gebäude entwickelte. Werkgetreu reproduziert wird bei Vitra seit neustem ein Aluminium-Stuhl namens „Landi”, den Hans Coray für die Schweizer Landesausstellung 1939 entworfen hatte. Der Outdoor-Stuhl ist für die Schweizer eine Art Nationalheiligtum, es erscheint nur schlüssig, dass Vitra dieses Erbe bewahrt.

Die in Mailand arbeitende Spanierin Patricia Urquiola bringt uns mit ihrem neue Sofa „(love me) Tender” zurück in die Gegenwart: Das Möbel, natürlich entworfen für Moroso, hat eine ausgeklügelte Silhouette und zeigt genau jene Eigenwilligkeit in den Details, für die Urquiola geschätzt wird.

Wer also enttäuschte, war einmal mehr Philippe Starck, der für Kartell das weltgrößte Möbelstück aus durchsichtigem Polycarbonat entworfen hat. Er selbst nennt es ein Wunder und das Wunder hat einen Namen: „Uncle Jack”. Seine völlige Transparenz führt den Plastik-Koloss zum Glück nah an die Nicht-Existenz – und genau die hätte man dem Ding auch gewünscht. Überhaupt hat sich Kartell in diesem Jahr mit dem Messe-Motto „Precious” und der Entscheidung, einen glitter-goldenen Budenzauber zu veranstalten, keinen Gefallen getan.

Jede Messe der Welt ist reich an Banalitäten – aber diese auszutarieren, gelingt nur selten wie in diesem Jahr auf dem Gelände weit vor den Toren der Stadt, in Rho Pero: in Halle 9 war eine substanzielle Ausstellung zu namhaften Architekten, ihren Wohn- und Arbeitsräumen zu sehen, unter anderem mit David Chipperfield, Zaha Hadid und Daniel Libeskind. Es ist zu wünschen, dass sie auf Wanderschaft geht.


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