"Aerocircus" von Saraceno und RambaZamba

Tanze die Verzweiflung

Wenn die Menschen einst nicht mehr sind, ist das Theater noch immer nicht vorbei. Der Künstler Tomás Saraceno und das inklusive RambaZamba-Ensemble lassen im Haus der Berliner Festspiele einen "Aerocircus" vom Ende der Welt erzählen

Vorbei! Aus! Sense! Das ging dann doch schnell jetzt. Völlig überraschend kam das endlose Wachstum zum Erliegen, waren die im Überfluss vorhandenen Ressourcen zur Neige gegangen, hatten Emissionen fatale Folgen fürs Weltklima. Jetzt betritt eine Zirkustruppe aus Clowns, Artisten und Luftgeistern die Bühne, die dank ihrer speziellen Fähigkeiten überlebt haben – und ein neues Spiel beginnt. Ein Spiel, das von unserem Ende erzählt.

Das ist der Ausgangspunkt des Stücks "Aerocircus", das den sprechenden Untertitel "Eine circensische karnevaleske mit planwagen/ entgegen aller linearitäten" trägt und am Dienstagabend im Haus der Berliner Festspiele uraufgeführt wurde. Einer der vielen Besonderheit dieser Karnevaleske ist das zufällige Zusammentreffen des Künstlers Tomás Saraceno mit dem Berliner RambaZamba Theater. Der in der Hauptstadt lebende Argentinier verfolgt die Arbeit des inklusiven Ensembles, in dem Menschen mit und ohne Behinderung zusammenarbeiten, seit einiger Zeit und ist begeistert von den Schauspielerinnen und Schauspielern: "Ich sehe darin, wie freudvoll eine Gesellschaft sein könnte, wenn die Dinge anders wären und es auch den Menschen erlaubt wäre, anders zu sein."

Was wäre, wenn ...? Das ist ohnehin das große Thema des 50-Jährigen: der Entwurf einer umfassenden Utopie vo einem "Aerocene", einem Zeitalter der Lüfte. In seinem Werk experimentiert er mit der Idee einer fossilfreien Luftfahrt und einer möglichen ökologisch verträglichen Besiedelung der Atmosphäre. Was also wäre, wenn das Publikum das Theater über den Hintereingang beträte und zunächst selbst auf der dunklen Bühne stünde, der die Finsternis nach dem Ende der Welt ist? So beginnt der Abend. An der Decke hängen riesige Spiegelkugeln, für die Saraceno bekannt ist, ein Lichtstrahl macht Schwebteilchen in der Luft (und damit die Luft selbst) sichtbar. Eine Pantomimin und eine Erzählstimme aus der Nacht machen den Zuschauern die Situation klar: Sie sind gar nicht mehr, sie sind nur noch Geister, die einem Survivor-Zirkus zuschauen. 

Lebendige Fülle und leere Floskeln

Die Geister dürfen sich dann setzen und einer wilden, zu Teilen chaotischen Produktion mit Band, Akrobaten, verstolperten Dialogen, Puppenspiel und jeder Menge Spielfreude verfolgen. Das Ramba-Zamba-Ensemble bespricht erst einmal die Bühne, die viel größer ist, als die heimische Spielstätte in der Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg. Endlich andere Körper auf Berlins Bühnen, heißt es. Anders zu sein ist etwas Schönes!

Inklusiv ist dabei nicht nur das Personal, sondern auch das Bühnenbild und die Requisiten: Neben Saracenos Arbeit schluckt der Aerocircus auch Kostümplastiken der Hochschule für bildende Künste Dresden, Puppen der Ernst-Busch-Hochschule und den besagten Planwagen des verstorbenen Bühnenbilderns Bert Neumann.  

Diese lebendige Fülle müsste allerdings auch von einem ebenso vielschichtigem Skript zusammengehalten werden. Doch der Text von Thomas Köck rührt dann leider - "entgegen aller linearitäten" - fahrig in einem Themenbrei herum, dessen Zutatenliste von Artensterben über Frauenrechte bis Robotik reicht, wobei jeder einzelne Komplex doch nur scheinbar aufgelöst wird in der redundanten Anklage gegen die verdammten neoliberalen CEOs, die "Ausbeuter" und die Reichen dieser Welt. 

Mammutsaufgabe für die Kunst

Leichtfertig kokettiert das Stück mit Revolution und Apokalypse. Dabei ist die Darstellung von etwas Unfassbarem wie dem Klimawandel oder gar einem drohenden Ende der Menschheit eine Mammutsaufgabe für die Kunst. Sie kann immerhin alternative Narrative formulieren, die dominanten Erzählungen – etwa der vom unendlichen Wachstum – widersprechen. Sie kann bei der Einordnung und Verarbeitung fernster Effekte der Erderwärung helfen: soziale, psychische und ethische Auswirkungen, etwa Angst, Scham, Klimaapartheid, Migration. Vieles davon wird in diesem Abend angesprochen - und doch zerfällt das Stück in der Regie von Jacob Höhne. Die Verzweiflung über die absurde Gleichgültigkeit im Angesicht der schleichenden Katastrophe scheint den "Aerocircus" zum Bersten zu bringen. Vielleicht hätte man sich besser auf ein Motiv konzentriert?

Zum Glück gibt es genug gute Einfälle, kleinen Szenen, die auch ohne den großen Zusammenhang auskommen: der Traum von der Beherrschung der Luft, dargestellt von Seiltänzerinnen; die Einbeziehung von Spinnen unter dem Bühnenboden durch Videoprojektionen; das Motiv des Clowns als Revoluzzer und Populist; das eklektische Kostümbild von Janina Brinkmann; Ilse Ritter als überzeitliches, enigmatische Orakel ... 

"Aerocircus" darf einfach keine Tragödie sein, Tomás Saraceno und das RambaZamba Theater wollen zwar aufrichtig, aber nicht pessimistisch sein. Am Ende gibt es zwar keine Katharsis, dafür aber ist in einer menschleeren Welt immerhin genug Platz zum Tanzen.