Tierfotografie von Alessandra Sanguinetti

Unterwerft sie euch und herrscht

Am sechsten Tag machte Gott die Tiere ... und wie ging es dann weiter? Die Fotografin Alessandra Sanguinetti dokumentiert in ihrer Serie "On the Sixth Day" das Zusammenleben von Mensch und Tier auf argentinischen Farmen

Ein Ferkel spaziert durchs hohe Gras, eine Ente rupft frech am Kleidzipfel der Bäuerin, ein weißes Pferd verweilt friedlich zwischen grünen Sträuchern in der Sonne. Zunächst erscheint das, was diese Fotos zeigen, ein Landleben wie aus dem Bilderbuch zun sein. Die nächste Fotografie ist jedoch schon nicht mehr ganz so harmonisch und hinterlässt die Betrachtenden wohl erstmal geschockt: Sie zeigt ein totes Schaf, im Matsch liegend, ein Fuß in Gummistiefeln drückt sein Genick zu Boden. Darauf folgt ein gehäuteter Hase, der mit dem Kopf nach unten von einem Zaun baumelt, danach ein frisch geschlachtetes Huhn, dem das Blut noch aus dem Hals tropft. Keine leichte Kost, mit der die Betrachtenden hier konfrontiert werden. Kost im wahrsten Sinne des Wortes – denn in der Bildstrecke geht es um Nutztierhaltung.

Die in New York geborene und in Argentinien aufgewachsene Magnum-Fotografin Alessandra Sanguinetti begann in ihrer südamerikanischen Zweitheimat 1996 die Fotoserie "On the Sixth Day", mit der sie das Zusammenleben zwischen Mensch und domestiziertem Tier auf argentinischen Farmen dokumentiert. Sie ist 2005 im Buchformat erschienen und wird nun mit weiteren bislang unveröffentlichten Fotos neu aufgelegt.

Sanguinetti fotografiert die Arbeit der Bauern und Bäuerinnen auf dem Land, die Haltung der Tiere, aber auch ihr zumeist brutales Ende. Dabei behält sie einen unsentimentalen, direkten Blick, der die Prozesse des Schlachtens und Häutens realitätsnah dokumentiert und nichts mit der ländlichen Idylle zu tun, zu der Nutztierhaltung oft idealisiert wird. Die Kamera bleibt dabei in Bodennähe, die Fotos sind nie "von oben herab", sondern immer auf Augenhöhe der Tiere.

"Für alles, was sie durchmachen"

Am sechsten Tag schuf Gott nach dem biblischen Schöpfungsmythos die Tiere. Mit dem Titel ihrer Arbeit unterstreicht die Fotografin, dass "die Kreatur" dem Menschen ebenbürtig sind, betont aber auch, dass wir uns durch Schlachtung über das fünfte Gebot der Bibel, "Du sollst nicht töten", hinwegsetzen. Ein Aspekt, der durch "On the Sixth Day" in den Vordergrund rückt: Wären wir im alltäglichen Leben mit der unvermittelten Brutalität einer Tierschlachtung konfrontiert, anstatt unsere Schnitzel sorgfältig verpackt im Kühlregal des Supermarktes zu kaufen, würde sich das vermutlich auf unseren Fleischkonsum auswirken. Durch die Industrialisierung der Haltungsformen gibt es kaum mehr Bezug zum Tier, insbesondere das Verhältnis zwischen Mensch und Nutztier hat sich deutlich distanziert.

Obwohl einige Bilder von "On the Sixth Day" schockierend sind, stellen sie dennoch einen Kontrast zu Massentierhaltung und industrieller Schlachtung dar. "Dieses Buch ist dem außergewöhnlichen Leben von Nutztieren auf der ganzen Welt gewidmet", schreibt Alessandra Sanguinetti, "für alles, was sie durchmachen, was sie uns geben und was sie uns nehmen."