Haus der Kunst

Dem Betrachter mehr Verantwortung

Noch bevor man den ersten Saal betreten hat, kracht es, irgendwo schlägt etwas auf den Marmorboden, und aus der Ferne ist ein Gorilla zu sehen, der mit einem Knüppel um sich schlägt.

Die Aufforderung, sich choreografieren zu lassen, die Wechselwirkung zwischen Kunst und Tanz selbst zu spüren, wird von den Besuchern des Münchner Hauses der Kunst offensichtlich begeistert angenommen. Die Freude darüber, diesmal die strengen Museumsregeln – nicht schreien, nichts anfassen und schon gar nicht etwas bewegen – ignorieren zu dürfen und stattdessen mit vollem Körpereinsatz mitzumachen, ist sogar so groß, dass die Schau „Move“ sich dann doch ein bisschen vor sich selbst schützen muss. Am Eingang werden kleine, pinkfarbene Zettel mit der Bitte verteilt, die Werke „behutsam zu behandeln“.

Die Ausstellung, eine Übernahme von der Londoner Hayward Gallery, die im Anschluss in die K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zieht (ab 19. Juli), untersucht den Austausch zwischen Tanz und Kunst seit den 60er-Jahren in seiner ganzen Vielfalt.

Von Pablo Bronsteins pseudobarockem, weißgoldenem Torborgen aus dem Jahr 2010 gleich im ersten Raum, den jede halbe Stunde eine Tänzerin exaltiert umschreitet, über Bruce Naumans begehbare Korridorskulptur von 1970, die bei jedem Klaustrophobie auslöst, der sich durch den neongrün beleuchteten Schlitz zwängt, bis zu Mike Kelleys Installation von 1999/2010, die einen Feldversuch zu den Affekten von Menschenaffen aus den 50ern imitiert – und den Gast (ausgestattet mit Gorillakostüm und Plastikknüppel) auf einen Kletterbaum und eine Riesenhantel losjagt.

So unterschiedlich die Arbeiten auch sind (zumindest eine grobe Kategorisierung in Performance, Happening und Choreografie hätte „Move“ allerdings gut getan), eine Vorstellung eint sie: Ein Kunstwerk wird durch die Beteiligung der Besucher nicht nur intensiver wahrgenommen, sondern dadurch erst vollendet.

„Es ist an der Zeit, dem Betrachter mehr Verantwortung zu geben“, lautet ein Schlüsselsatz von Allan Kaprow, einem Begründer des Happenings. Der Amerikaner setzte sich Ende der 50er-Jahre dafür ein, die Grenzen zwischen den Kunstgattungen aufzulösen.

Im Haus der Kunst steht Kaprows Appell nun auf einem der 50 Holzklappstühle, die man benutzen und mit sich tragen soll. Sie gehören zu „Walk the Chair“ von Maria Ribot, Künstlername La Ribot. Die spanische Tänzerin und Choreografin hat sie mit Sprüchen ihrer Kollegen, anderer Künstler und von Philosophen beschriftet.

So wandern die Zitate mit den Besuchern durch die Räume, und abhängig von den Werken, gegenüber denen sie aufgestellt werden, ändern sie leicht ihre Bedeutung. Ein einprägsames Bild dafür, dass gerade Tanz und Performance nicht ortlos sein können, dass die Umgebung immer abfärbt.

Das Haus der Kunst mit seiner Naziarchitektur führt das besonders drastisch vor. Tino Sehgals einsamer Tänzer etwa, der sich auf dem eiskalten Marmor wälzt, wirkt in dem einschüchternd hohen Raum nur noch wie ein Bündel Mensch.

Wie schwierig es ist, solche Liveauftritte per Kamera festzuhalten, zeigt „Move“ in zweifacher Weise. Zum einen bietet die Schau ein digitales Archiv an, mit Performances von Merce Cunningham, Kazuo Shiraga, Gordon Matta-Clark und all den anderen Größen. Doch man vermisst das direkte Erleben im Publikum und das oft nervenraubende Ausharren. Zu schnell drückt man die Vorspultaste. Die einzige Möglichkeit, diese Art Kunst zu dokumentieren, entzieht ihr also zugleich die ihr eigene Kraft.

Dieses Dilemma thematisiert der Franzose Boris Charmatz in seiner „Pseudo-Performance“: Nur jeweils ein Zuschauer darf sich in einem abgedunkelten Raum auf die Attrappe eines Konzertflügels legen, um von dort das 52-minütige Video eines absurden Tanzes zu verfolgen. Bricht der Gast ab, endet auch die Performance. Er ist schließlich längst ein Teil von ihr geworden.

Haus der Kunst, München, bis 8. Mai