David Shrigley: Worried Noodles.

Der böse Kritzler aus Glasgow

Am Anfang fühlt man sich als mündiger Konsument übel auf den Arm genommen: „Ich habe keine Platte gemacht. Das wäre zu schwierig gewesen. Es war einfacher, keine Platte zu machen“, schreibt David Shrigley auf die leere Plattenhülle. Da legt man 24 Euro auf den Tisch, fummelt erwartungsvoll und fast so nervös wie bei der allerersten Platte überhaupt, das Zellophan ab – und dann so etwas. Die Hülle ist leer. Keine schwarze Scheibe. Natürlich nicht.

Musik hören im eigentlichen Sinn dürfte bei „Worried Noodles“ ein wenig schwierig werden. Also hilft nur konkreter Aktionismus: Plattenspieler wieder ausmachen. Erwartungen beiseite schieben. Kurz räuspern. Denn: Es darf gesungen werden, vielmehr: Es soll sogar gesungen werden. Die Plattenhülle enthält, wenn schon keine Platte, so doch ein Songbook voller Zeichnungen und Texte für Lieder, die man vielleicht nie hören wird – außer, man singt sie selbst. Das fühlt sich ein bißchen an wie Weihnachten ohne Tannenbaum: Alle kennen den Text, aber es wird mit zunehmendem Alter immer peinlicher, im Kreise der Familie zu singen. Zu einer Platte bei entsprechender Lautstärke mitgrölen, das geht, seit es früh ausprobiert wurde, allein im heimischen Jugendzimmer mit Blick auf den Starschnitt an der Wand. Aber heute? David Shrigley, Spezialist fürs Abgründige, für bösen, pubertär gefärbten Humor, bringt all das wieder zurück in unser Leben, in dem wir dachten, uns eingerichtet zu haben in dem, was wir fürs Erwachsensein halten. Singen gehört da eigentlich nicht mehr so richtig dazu. Doch der böse Kritzler aus Glasgow holt die Pubertät mit Macht zurück, allerdings ohne die unschönen Randerscheinungen wie schlechte Haut, Stimmbruch oder Petting bei Beschallung durch, na klar, Platten. Und wie es so seine Art ist, gibt er uns: die Hülle. Das muß reichen. Da muß man mal ernsthaft drüber nachdenken: eine Plattenhülle. Sie ist ganz klar ein Relikt; ein hoffnungslos nostalgisches Überbleibsel im Zeitalter von iPods und digitalem Sound in jeder Lebenslage. Aber das stimmt so auch nicht. Die Wahrheit ist: Das Verschwinden der Platte hinterließ in allen, die mit ihr groß geworden sind, eine Leerstelle, eine schmerzlich empfundene Lücke, die durch nichts je wieder zu füllen sein sollte als durch – eine Platte. Deshalb kaufen erwachsene Leute heute immer noch Plattenspieler, suchen weltweit nach seltenen osteuropäischen Pressungen von LPs und bezahlen dafür viel zu viel Geld. Oder sie kaufen sich eben eine Plattenhülle ohne Platte. Und genau das weiß David Shrigley und nutzt es schamlos aus.

Doch der Künstler ist satisfaktionsfähig: Statt des eigentlichen versorgt er uns immerhin mit den Gesten des Populären. Schon das Plattencover mit seinem schnöde aufgesprühten Schriftzug „Worried Noodles“ erinnert an die rotzigen Helden der Achtziger mit zu engen Jeans und schrecklichen Frisuren. Im Inneren lauert das Authentizitätsversprechen jedes großen Stars: „Skull for Sale“ annonciert das Songbook. Daß das ganze Unternehmen nichts von einer Art „Maultrommel“ für den modernen Kosmopoliten hat, ist Shrigleys Vorliebe fürs Derbe zu verdanken. Texte und zahlreiche Zeichnungen lassen zuweilen das Fürchten lehren – dilettantisch hingeworfene Figuren am Rande der Demenz; dazu bitterböse Songtexte wie „Sad Song“ mit den Zeilen „Everybody hates you, wont tell you why, letter from the doctor says your gonna die ...“ die sich aber doch auflösen in der schlichten Erkenntnis: „Ive just had a terrible haircut“. Shrigley spielt, wie gewohnt, mit der Relativität aller Dinge im Universum des Pop – von der ersten Liebe bis zur Schwierigkeit der Verständigung mit anderen. Er zeichnet und schreibt sich, irgendwie gleichzeitig lakonisch und verschwitzt, durch ein Universum des bösen Witzes, in dem ein schlechter Haarschnitt die gleiche zerstörerische Wirkungsmacht entfalten kann wie Liebeskummer. An manchen Stellen schimmert bruchstückhaft der eigenwillige Philosoph hindurch, der Aphorismen zu Poesie, Theater und Film lose zwischen seine Protagonisten streut.

David Shrigley, der seiner Liebe zur Musik bereits mit seiner Animation eines „Blur“-Videos frönte, hat mit „Worried Noodles“ der nostalgischen Sehnsucht nach der Platte die adäquate Form gegeben. Mit seinem Songbook in der Hand könnte man tatsächlich mal wieder ungestraft singen – ganz ohne Soundvorlage vom Plattenteller.

Ein Spezialist für das Abgründige mit nostalgischer Sehnsucht nach der Platte - David Shrigley: Worried Noodles. Verlag Tomlab, vertrieben über Passenger Books und die Buchhandlung Walther König, 48 Seiten, 24 Euro