Kunstmuseum Wolfsburg

Der Kurator trägt Prada

Alles beginnt im Kinderzimmer, auch die Ausstellung „Art & Fashion Zwischen Haut und Kleid“ im Kunstmuseum Wolfsburg. In dem Video „Kindheitsspeicher“ geht die Modedesignerin Anna-Nicole Ziesche der Frage nach, wie lange uns frühe Erfahrungen beeinflussen. Sie hat darin ihr altes Kinderzimmer rekonstruiert, und der Mensch, der darin agiert, verschwindet ganz unter einem Wollanzug, der klare Unterscheidungen in Mann oder Frau, in Mensch oder Tier verwischt: ein Zwischenwesen in einer Zwischenwelt. Es gehe um „Grenzübergriffe“, um „Grenzverletzungen“, sagen die Kuratorinnen José Teunissen und Annelie Lütgens. Dabei sei die Differenz zwischen Mode und Kunst das Entscheidende.



„Große Künstler seit Baudelaire waren mit der Mode im Komplott“, schrieb Adorno einmal. Die Ausstellung in Wolfsburg konzentriert sich jedoch eher auf Mode als Kunst statt auf Einlassungen von Künstlern auf die Welt des Textilen: Wie wird angewandte Mode zur freien Kunst, die sich von den Vorgaben der Industrie oder auch nur von Forderungen nach Tragbarkeit befreit? „Art & Fashion“ zeigt abenteuerliche Kleider und Installationen von Designern wie Christophe Coppens, Naomi Filmer, Viktor & Rolf und Hussein Chalayan zu sehen, die als Auftragswerke für die Sammlung des Museums Boijmans Van Beuningen in Rotterdam entstanden. José Teunissen hat dort bereits die ursprüngliche „Art & Fashion“ zusammen mit Han Nefkens kuratiert. In einer großen Halle konnte der Betrachter je nach unterschiedlicher Raumposition verschiedene Werke hintereinander sehen und sich seine eigenen „Werkgruppen“ zusammenstellen. In Wolfsburg wurden die 44 Werke der Modemacher und der wenigen Künstler in die drei Abschnitte „Kleid“, „zwischen“ und „Haut“ aufgeteilt. Das lässt weniger Raum für eigene Entdeckungen von Übergängen.

Im ersten Bereich, „Mode“, zeigt das holländische Duo Viktor Horsting und Rolf Snoeren, das unter den Namen Viktor & Rolf bekannt ist, seine vielfältigen Ausdrucksmittel. Aus Kissen entstehen Krägen, und Tüllkleider werden mit Kettensägen bearbeitet. In ihrer „Fashion Show Collection“ inszeniert sich das Kleid, mit angebrachten Scheinwerfern und Musikanlage, selbst als Show. Und führt uns vor, worum es geht: Mode als Performance.

Die Auseinandersetzung mit dieser Sichtweise beginnt im nächsten Abschnitt: Materialien, Werkzeuge und Modepuppen werden in Einzelteile zerlegt und neu zusammengesetzt. Naomi Filmer verbildlicht in ihrer Accessoire-Serie „Atemvolumen“ Grundbedürfnisse wie Sammeln oder Schlucken“. Walter Van Beirendonck entwirft sich in kindlicher Weise eine bunte, Grabstätte, eine letzte Hülle für die Hülle.

Im letzten, organgefarbenen Raum dekonstruieren Künstler wie Louise Bourgeois, Nick Cave oder die Modedesigner Bless herkömmliche Vorstellungen von Haut. „Haut: ein gutes Ding, in dem man wohnen kann“ findet Freddie Robins und breitet einen gestrickten Hülle auf einem Podest aus; das hat gleichzeitig etwas von einem Sonnenbad und von einer Häutung. Helen Chadwick fasst pikante Körperteile wie Achselhöhle oder Gesäß in rosa Satin, edel und entfremdet edel, da entfremdet? Die Grenzen zwischen Ekel und Schönheit sind fließend. Auffällig oft sind Haare im Spiel.

Und da viele Modedesigner ihr Geld durch ihre Parfums verdienen, gibt es  zum Ende noch einen Werbespot des Regisseurs Roman Polanski für Francesco Vezzolis Fake-Duft „ Greed“. In einem abgeschlossenen Raum, einen sogenannten Dufttempel, stellen Viktor & Rolf den Prototyp ihres „Alternative No.1“ vor, eine Art Kunst-Parfum. Der Duft erinnert an Tomatensuppe. Beim Verlassen des Raums verfliegt er zum Glück, verduftet.

Kunstmuseum Wolfsburg, bis zum 7. August, Fashionshow am 25. März