Schirn Kunsthalle, Frankfurt

Eigenartige Nachbarn

Der Titel der Ausstellung, „Weltenwandler – Die Kunst der Outsider“, lässt vermuten, dass die Romantisierung der Sonderlinge im großen Stil vorangetrieben werden soll. Das Gegenteil ist der Fall. Die Schau in der Frankfurter Schirn erweitert den Begriff, setzt im 19. Jahrhundert an und zeichnet so einen riesigen Bogen, der die berühmten psychiatrischen Patienten – Adolf Wölfli und August Walla – einschließt. Aber er reicht, mit Birgit Ziegert in Frankfurt und George Widener in North Carolina, bis in die Gegenwart. Die Zeiten ändern sich: Widener wurde nach Frankfurt von seinem Galeristen begleitet.

Was die drei Künstlerinnen und elf Künstler überhaupt verbindet, ist wohl der Umstand, dass ihre Kunst vor allem einem therapeutischen Zweck diente oder dient. Die Ikonografien sind entsprechend etwas schmal, fokussiert, was sie aber im Parcours nicht einander annähert, sondern eher das Unvergleichliche herauskehrt. Dabei wird die Kunst der Schizophrenen immer alarmierend bleiben. Das Gegengewicht, leuchtend, bilden die Werke zweier Frauen mit Down-Syndrom, Ziegert mit einem Comiczoo im Treppenhaus; Judith Scott mit rätselhaft wuchernden Wollskulpturen im Zentrum der Ausstellung, das Herz.

Zwei Lesarten werden in Konkurrenz angeboten, eine soziologisierende und eine ästhetische. Auf der rechten Seite der lang gestreckten Halle hat man einen Flur gelassen, der mit Texten und Bildschirmen bestückt ist, um die Künstler (und ihr Schicksal) zu beschreiben. Von dort schaut man in die delikat illuminierten Kammern wie in eine andere Welt. Andererseits kann man genauso gut den Infoteil ignorieren und durch die Räume schreiten, was dann zu höchst eigentümlichen Nachbarschaften führt: der Pastellbusengarten einer Aloïse; die archivalische Apokalypse Wölflis; die kolonialen Fabelwesen Auguste Forestiers; die schwebenden Farbknäuel der Judith Scott.

Begriffe man die Schau so, dass sie die Kunst benutzt, um die Pathologien zu verwischen, wäre sie missglückt. Tatsächlich aber schärft die Kuratorin Martina Weinhart den Blick für die Bedingungen, unter denen Außenseiter arbeiten. Wie so viele Ausstellungen der Schirn, die gesellschaftspolitisch durchdacht sind, führt auch diese, durch präzise Auswahl und fantasievolle Präsentation, zur Kunst hin und nicht von ihr weg. Das Stichwort Outsider mag nicht mehr in Mode sein, gilt in den USA schon nicht mehr als politically correct. Die Schirn ignoriert den Trend und präsentiert ein Museum der Obsessionen, über das man nur staunen kann.  

Schirn Kunsthalle, Frankfurt, bis 9. Januar 2011