Politiker-Fotograf Götz Schleser

"Manche wollen nur das absolut glatte PR-Bild"

Götz Schleser porträtiert alle Ministerpräsidenten und -präsidentinnen Deutschlands. Hier spricht der Fotograf über die Spaltung von öffentlicher Rolle und privater Person – und warum er schonmal zur Lochkamera greift

Herr Schleser, wie sind Sie auf die Idee für Ihr Projekt "Föderal" gekommen? 

Die Redaktion des "Stern" rief mich eines sonntagnachmittags an und wollte ein Porträt des Ministerpräsidenten von Thüringen – und zwar bis zum nächsten Morgen. Da dachte ich: Das kann doch nicht sein, dass es von einem Ministerpräsidenten kein titelfähiges Bild gibt. Gab es aber nicht. Also dachte ich: Das ist ein Thema. Dann habe ich alle Ministerpräsidenten und -präsidentinnen angerufen, angeschrieben und mir Termine geholt – und innerhalb von anderthalb Jahren alle 16 Bundesländer durchfotografiert. Das war vor 15 Jahren. Seitdem mache ich das weiter. 

Wenn ich also morgen irgendwo Ministerpräsidentin werde, kann ich innerhalb von wenigen Wochen mit Ihrem Anruf rechnen. 

Die Pressestellen wissen das mittlerweile. Wenn ich mich vier Wochen nach einer Amtsübergabe melde, sagen sie, auf Ihren Anruf haben wir schon gewartet. 

Ihre Fotos sehen nicht aus wie die üblichen Agenturfotos. Was ist Ihr Ziel beim Fotografieren?  

Ich möchte ein möglichst natürliches Foto bekommen, das nicht gestellt wirkt. Im Vorfeld beschäftige ich mich viel mit der Person, lese Interviews und höre Podcasts und versuche, sofort in ein Gespräch einzusteigen, das sich eher auf einer persönlichen Ebene bewegt. Vor dem Interview versuche ich zum Beispiel herauszufinden: Welche Musik hört die Person? Mag sie einen bestimmten Fußballverein? Wenn man mit solchen Themen einsteigt, ist man ziemlich schnell sehr locker und sehr persönlich.

In den Porträts scheint trotzdem immer beides durch: die öffentliche Rolle und die private Person. Die Politiker schalten die Ebene der Repräsentation nie ganz aus, oder?

Nein, niemals. Dafür müsste ich sie wahrscheinlich viel näher und persönlicher kennen. Ich habe befreundete Politiker, die ich ganz privat fotografiere. Aber diese Bilder werden nie an die Öffentlichkeit gelangen. 

Sind die Frauen in dem Job schwieriger zu fotografieren als die Männer? Weil sie vielleicht mehr auf ihr Äußeres reduziert werden? 

Nein, das ist sehr individuell. Es gibt viele Männer, die deutlich schwieriger oder auch eitler sind als die Frauen. 

Sie haben ja nun wirklich viele Politiker und Politikerinnen kennen gelernt. Wer hat Sie während eines Shootings überrascht? 

Roland Koch, damals Ministerpräsident von Hessen. Von ihm hatte die Öffentlichkeit ja ein verheerendes Bild. Doch persönlich ist er mir ungewöhnlich herzlich begegnet. Sein Shooting war eigentlich in einem Weinberg geplant. Ich war morgens früh von Berlin losgefahren. Doch anderthalb Stunden vor dem Termin bekam ich einen Anruf, dass das Treffen im Weinberg aus Termingründen ausfällt. Er hat dann aber doch möglich gemacht, dass das Shooting stattfindet – auf dem Rollfeld auf dem Frankfurter Flughafen. Ich durfte mit meinem privaten PKW auf dieses Rollfeld fahren – was niemals stattgefunden hätte für uns, wenn wir das so angefragt hätten. 

Und hat sich auch mal jemand geweigert? 

Es gibt ja 16 Ministerpräsidenten. Als ich anfing, hatte ich recht schnell 15 Zusagen. Nur die Sachsen sagten, wir wollen nicht – aber wenn wir die Letzten sind, die nicht mitmachen, dann rufen Sie noch mal an. Das hab ich dann getan, und zwei Tage später hatte ich auch dort einen Termin. Aktuell fehlen wieder ein paar. Manche wollen in dieser künstlerischen Weise nicht gezeigt werden, sondern nur das absolut glatte PR-Bild. 

Sie arbeiten beispielsweise viel mit Spiegelungen und Verschachtelungen im Bild. Was ist Ihr ästhetischer Ansatz? 

Ich nehme gerne viel Raum mit ins Bild, um ein bisschen Geschichte zu erzählen. Dabei werde ich aber auf keinen Fall den Berliner Bürgermeister vor dem Brandenburger Tor oder im Roten Rathaus fotografieren. Es soll schon etwas subtiler sein. Man darf auch mal ein bisschen länger auf ein Foto gucken und mit den Augen spazieren gehen. Ich mag Bilder nicht, die einen sofort anspringen. 

Was ist ein gutes Bild für Sie? 

Ein Porträt ist gut, wenn ich sehe, dass die Person sich wohlfühlt, dass sie wirklich bei sich ist und nicht irgendeine Rolle für die Kamera spielt. Wichtig sind mir gute Gestaltung und auch gutes Licht. 

Was für Kameras, was für Technik bevorzugen Sie? 

Technisch passe ich mich den Gegebenheiten vor Ort an und wähle dann mein Equipment. Meistens setze ich Licht – das ist mein Hauptgestaltungsmittel als Fotograf. Und ich setze von Kleinbild über Mittelformat mit zu Großformat alles ein, worauf ich an dem Tag Lust habe. Im Moment fotografiere ich mit viel der Leica SL und mit der Leica Monochrom. Und ab und zu mache ich noch ein Bild mit der Lochkamera. 

Wirklich, eine Lochkamera? 

Ja, ich habe mir eine bauen lassen für die Porträts, weil die, die man kaufen kann, nicht lang genug sind. Das ist einfach eine Kiste mit einem kleinen Loch vorne. Vorne ist eine Klappe, um das Licht hereinzulassen, und hinten eine Fläche, um den Film zu belichten. Das ist die ursprünglichste Form der Kamera. Damit habe ich auch viele Ministerpräsidentinnen und -präsidenten konfrontiert. Die müssen dann halt mal eine Minute stillhalten.

Überraschend! 

Ja, aber so merken sie auch, dass dieser Fototermin nichts Alltägliches ist, sondern dass sie ein außergewöhnliches Porträt bekommen. Und wer dafür einen Sinn hat, der lässt sich da auch sehr schön drauf ein. Das wird dann ein ganz anderes Miteinander. 

Jetzt stellen Sie die Bilder in der Leica Galerie Wetzlar aus. Wie werden sie präsentiert? 

Ich habe mit der Firma WhiteWall hochklassige Farbprints produzieren dürfen, das geht von 24 Zentimeter mal 30 Zentimeter bis zu 1,20 Meter mal 1,80 Meter großen Formaten. Dazu kommen noch Palladium-Prints in Schwarz-Weiß, die ich selbst beisteuere. Das Projekt ist nicht kommerziell, ohne die Unterstützung von WhiteWall könnte so eine Ausstellung gar nicht stattfinden.