Kein Durchkommen, nirgends

Die letzte, oberste Schicht ist weiß. Sie sehen wir; die vielen übereinandergeklebten Werbeplakate dahinter nicht – nur ihre ausgefransten Ränder, wanddicke Sedimente urbaner Aufmerksamkeitserreger. Klara Lidéns „Poster Paintings“ (2007–2010) sind entleerte Spuren der Alltagskultur, unlesbare Archive, verborgene Dokumente schnell vergehender ästhetischer Codes. Präsent und dennoch flüchtig.

Durch Taktiken der Umwidmung, Projektion und des Entzugs vermisst die gelernte Architektin Lidén in ihrer überzeugenden Soloshow in der Londoner Serpentine Gallery die Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Intimität, Zivilisation und Aggression auf neue Weise – wie in ihrem Video „Paralyzed“ (2003), in dem sie die Fremdschämzone einer U-Bahn mit enthusiastisch übersteigertem Tanz besetzt. Ein Saal der Galerie ist gerammelt voll mit sämtlichen Habseligkeiten des Künstlerinnenateliers, aber Voyeure nähern sich vergebens. Der blockartig gestapelte Kram könnte jedem gehören, so eigenschaftslos sehen Kühlschrank oder Bücherberg aus. Kein Heim, nirgends: „Unheimlich Maneuver“ heißt diese Installation aus dem Jahr 2007.

Barrieren, wohin man auch blickt: Zerknautschte Billboardposter türmen sich meterhoch, kein Motiv erkennbar, kein Durchkommen. Der „Teenage Room“ aus der Venedig-Biennale von 2009 dagegen zeigt sich verwaist, am Eingang hängt ein Beil am Flaschenzug; sein Gewicht lässt die Tür zuknallen; das Bett ist verbrannt – hier könnten furchtbare Dinge stattgefunden haben.

Gewalt ist so allgegenwärtig wie sinnlos, führt jedoch zu einer Mischung aus Performance, Skulptur und Groteske, wenn Klara Lidén etwa zu lieblicher Musik in einem leeren Zimmer ihr Fahrrad zertrümmert, in einem seltsamen Ritual, das fast einem Tanz ähnelt („Bodies of Society“, 2006).

Kein Zweifel: Die 31-jährige Schwedin ist eine der ganz großen Entdeckungen der vergangenen Jahre. 

Serpentine Gallery, London, 7. Oktober bis 7. November. Nächste Station: Moderna Museet, Stockholm, 14. Mai bis 9. Oktober 2011