Neue Nationalgalerie Berlin

Kriegsgott mit Funkenschlag

Man blickt ihm nicht gern lange in die Glotzaugen, dem Kriegsgott Kukailimoku. Aus Federn von hunderten von Vögeln wurde sein überlebensgroßer Kopf gefertigt, dazu kommen Menschenhaar und Hundezähne. Im Hawai des 18. und 19. Jahrhunderts wurden solche zähnefletschenden Häupter in Kriegsritualen eingesetzt; die Mächtigen demonstrierten mit ihnen Stärke und beschworen die Hilfe der Götter.

Auch das Federvieh bei Melchior de Hondecoeter (1635 bis 1695) ist aggressiv. Der holländische Maler, der einzige seiner Zeit übrigens, der sich ganz der Darstellung von Vögeln widmete, zeigte die Tiere meist beim Kampf: aufgeplustert, in hektischer Bewegung, sich gegenseitig ins Fleisch hackend. Diese Bilder haben gleichfalls mit der Repräsentation von Macht zu tun: Sie waren Statussymbole für das aufstrebende Bürgertum Hollands. Außerdem kann man in der scheinbar gesellschaftsvergessenen Genremalerei die Spuren der Globalisierung erkennen: Dargestellt sind nicht nur heimische Hühner und Adler, sondern auch aus den neu erworbenen Kolonien importierte exotische Vögel, die für die auf Weltläufigkeit bedachte Kaufmannsnation besonderen Wert hatten.

So ist die Verbindung zwischen beiden Gruppen von Exponaten, die Willem de Rooij im verdunkelten Glaskasten der Neuen Nationalgalerie vereint hat, einerseits augenfällig – andererseits aber eine komplett freie Assoziation, denn kunsthistorisch gibt es keine Verbindung zwischen den Federn auf Hawai und denen in der holländischen Malerei. Doch genau das sei es, was die Nebeneinanderstellung beider zum Kunstwerk mache, meinte der Künstler bei der Pressekonferenz in Berlin; seine eigene Rolle dabei sei nicht die eines Kurators, sondern genuin künstlerisch. Und Kurator Udo Kittelmann betonte, dass man hier einer Collage absolut neuen Typs gegenüber stünde: Zum ersten Mal würden nicht einfach Alltagsobjekte und Materialien, sondern komplette Kunstwerke mitsamt ihrer Rezeptionsgeschichte zum Ausgangspunkt eines neuen Werks.

Nun muss man mit der Präsentation von Willem de Rooijs „Intolerance“ nicht gleich eine neue Ära der Kunstgeschichte ausrufen – zumal die „Collage“, die hier entstand, temporär ist und sich nach Ende der Schau, wenn die ausgeliehenen Werke wieder in ihre Sammlungen zurückkehren, in ihre Bestandteile auflösen wird. Doch das Projekt ist trotzdem interessant, und es ist gelungen.

Es ist eine durchaus mutige Geste von Willem de Rooij, seine Aktivität als Künstler darauf zu beschränken, Funken aus dieser ungewöhnlichen Begegnung fremder Objekte zu schlagen. Der Titel holt den Bilder-Clash endgültig ins Zeitgenössische: Die Berufung auf „Intolerance“ öffnet ein Assoziationsfeld, das weit über das Interesse am Kampfverhalten holländischer Pelikane und hawaiianischer Krieger hinausgeht.  Und warum immer neue Bilder schaffen, wenn man auch einen neuen Blick auf solche Schätze der Kulturgeschichte werfen kann?

Einmal mehr zeigt diese Schau, welches Potential in den Berliner Sammlungen steckt, wenn man sie zusammendenkt – im Ethnologischen Museum Dahlem und in der Gemäldegalerie am Kulturforum hat Willem de Rooij, der seit seiner Zeit als DAAD-Stipendiat 2006 in Berlin lebt, die Objekte entdeckt, die ihn zu diesem Werk inspiriert haben. Sein Ausgangspunkt waren viele Fragen: Weder über den Maler de Hondecoeter noch über die hawaiianischen Objekte waren genauere Informationen aufzutreiben. Also gehört zur Ausstellung ein Publikationsprojekt zu beiden Bereichen, das die Forschungslücken zumindest teilweise schließen soll.

Alle Geheimnisse des glotzäugigen Kriegsgottes wird allerdings auch die nicht lösen können – was die Faszination der Schau aber nur erhöht.


Neue Nationalgalerie, 18. September bis 2. Januar