Laibach-Album mit Helnwein-Cover

Neues von der Retroavantgarde

Cover von Laibachs Album "Wir sind das Volk" mit einem Gemälde von Gottfried Helnwein

Detail des Covers von Laibachs Album "Wir sind das Volk" mit dem Gemälde "Epiphanie I: Anbetung der Könige" von Gottfried Helnwein

Seit über 40 Jahren inszeniert die slowenische Band Laibach Pop als Totalität. Ihr Heiner-Müller-Musical "Wir sind das Volk" erscheint jetzt als Album, mit einem Coverbild von Maler Gottfried Helnwein

"Unsere Aufgabe ist es, dem Bösen den letzten Nerv zu rauben. Das ist eine niemals endende Arbeit", sagte Ivan Novak, Kopf des als Industrial-Band international bekannt gewordenen Kunstkollektivs Laibach, einmal im Monopol-Interview. Und weil das Böse niemals endet in dieser Welt, endet auch Laibach nicht. 42 Jahre nach der Gründung der Gruppe mitten im Kalten Krieg erleben wir einen neuen Ost-West-Konflikt, in dem alle Seiten sich bis zur Unkenntlichkeit dämonisieren. Und Laibachs dekonstruktivistische Inszenierungen totalitärer Gewalt sind nach wie vor gültig.

Gut also, dass gerade ein neues Album erschienen ist: "Wir sind das Volk" basiert auf Schriften Heiner Müllers (1929-1995) und auf eine Theaterproduktion, die vor zwei Jahren im Berliner HAU uraufgeführt wurde. Schon 1984 komponierte Laibach für das Slowenische Nationaltheater in Ljubljana Musik zu Müllers Stück "Quartett". Danach schlug der Dramatiker den Musikern eine Zusammenarbeit für eine zukünftige Inszenierung vor – wozu es allerdings nie kam.

"Der Terror, von dem ich schreibe, kommt aus Deutschland", schrieb Heiner Müller, und so geht es auch in "Wir sind das Volk" um deutschen Terror, Erlösungsphantasien, um Romantik, Sehnsucht, Tod, Tyrannenherrschaft und den Holocaust.

"Ich will ein Deutscher sein"

Es sind genau die Themen, die der österreichisch-irische Maler Gottfried Helnwein in den 1990er-Jahren in seiner "Epiphanies"-Serie aufrief, indem er marienbildnishafte Mutter-Kind-Darstellungen mit uniformierten Anbetern kombinierte. Das Cover von "Wir sind das Volk" zeigt "Epiphanie 2B: Die Anbetung der Hirten" aus der Sammlung der Fine Arts Museums of San Francisco, die Innenhülle "Epiphanie I: Anbetung der Könige" aus der Sammlung des Denver Art Museum. Beide Bilder thematisieren auf verstörende Weise faschistische Reinheitsvorstellungen und Errettungsmythen.

Gesteigert wird die Irritation noch in dem Video zur ersten Single aus dem Album. Die Kamera in "Ich will ein Deutscher sein" tastet die amüsierten und erstaunten Gesichter der "Hirten" der "Epiphanie 2B" ab und enthüllt erst als Schlusspointe den Gegenstand der Anbetung, die Mutter mit dem im bedeutungsschwangeren Zeigegestus verharrenden Kinde. "Ich will ein Deutscher sein" ist ein Satz aus dem Müller-Gedicht "ABC", der wiederum zitiert einen Tagebucheintrag eines Elfjährigen im Warschauer Ghetto. Bevor das Kind in dem Sammellager umkam, schrieb es diesen Satz: "Ich will ein Deutscher sein" – die verzweifelte Identifikation mit den Tätern als vermeintlichen Ausweg aus dem Opferstatus. 


Nach der Zeitenwende 1989/90 träumte der Westen vom "Ende der Geschichte", doch auf dem Balkan flammten Konflikte um ethnische Identität und Religion auf. Der Ukrainekrieg als bewaffneter Kampf um Territorium und Volkszugehörigkeiten in Europa erinnert uns in diesem Frühling erneut an die niemals erledigte Bedrohung des Totalitarismus. Laibachs Kunst, entstanden in Jugoslawien, hat sich mit dem Ende des Sozialismus nicht erledigt, im Gegenteil. Die Geschichte erscheint statisch in der Laibach-Kunst, wo sich Zeitsphären überlagern und Bilder in endlosen Schleifen auf sich selbst und eine ewige Gegenwart verweisen. Die Signale, die das Kollektiv in seiner Musik und Kunst sendet, sind – wie das schwarze Kreuz auf weißem Grund – stark, aber leer; sie verweisen auf keine Inhalte. So können sie sich stets mit neuen Assoziationen vollsaugen. 

Laibachs romantischer Trotz beschränkt sich nicht auf konkrete Ziele, sondern auf das Grundsätzliche, nach Friedrich von Schlegel: "Jeder Staat, der einen besonderen Zweck hat, ist despotisch, mag dieser Zweck auch anfänglich noch so unschuldig scheinen." In einer frühen Verteidigung aus den 1980er-Jahren – Titel: "Warum Laibach nicht faschistisch ist" – machte der slowenische Essayist Slavoj Žižek die "Überidentifikation" mit den herrschenden Verhältnissen als Leitlinie der Gruppe aus. Laibach trugen nicht nur die Uniform des sogenannten Vaterlands, sondern benutzten immer wieder Zitate von Politikern, stellten sie in neue Zusammenhänge, sodass die zugrunde liegenden absoluten Ansprüche zutage traten. Laibach gäben sich "totaler als der Totalitarismus", schrieb der Kunsttheoretiker Boris Groys.

Helnweins Epiphanien mit historischen Verweisen auf die Nazi-Zeit und den vermeintlich transzendenten Vorstellungen einer religiösen Offenbarung passen zu dieser Retroavantgarde hervorragend.