Museum für Gegenwartskunst, Siegen

Lasst euch nicht fernsteuern

Draußen herrscht Dunkelheit. Auf dem Gang, in der Gepäckablage und auf den Tischen türmt sich das Gepäck der Reisenden. Immer wieder drängeln Leute vollbeladen durch das Zugabteil. Die Protagonisten wirken vertraut. Es sind Doppelgänger von Prominenten, die ihre Maske, ihr Kostüm und ihre Rolle noch nicht ganz abgelegt haben. Arme Schlucker eigentlich, die ihre zufällige Ähnlichkeit mit den wirklichen Stars zu Markte tragen müssen. Vielleicht haben sie gerade die Eröffnung eines Möbelhauses aufgepeppt oder an einem Casting teilgenommen. Auf jeden Fall befinden sie sich jetzt auf der Rückreise. Oder sind sie auf der Flucht? „Tokio Hotel“-Sänger Bill Kaulitz allerdings lässt sich nicht aus einem inneren Takt bringen, als höre er die ganze Zeit seine eigene Musik. Erst als Johnny Depp ihn versehentlich anrempelt und sich mit einem kurzen „Sorry“ dem einzigen gesprochenen Wort in diesem achtminütigen Video entschuldigt, blickt er irritiert auf.

„Sorry“, so lautet auch der Titel dieses 2010 entstandenen Videos von Stefan Panhans. Im Museum für Gegenwartskunst in Siegen sind jetzt sieben Videoarbeiten und 35 Fotografien des 1967 geborenen, in Hamburg und Berlin lebenden Künstlers zu sehen. Die Schau mit dem Titel „Wann kommt eigentlich der Mond raus?“ ist Panhans’ erste Museumsausstellung. Die seltsame Frage stammt aus dem 2007 entstandenen Video „Who’s afraid of 40 Zimmermädchen“. Stefan Panhans stellt uns in seinen Videos überforderte Konsumenten, gescheiterte Selbstoptimierer und andere in den Fallstricken von Ratgeberliteratur, Life-Style-Angeboten und „Facebook“ verhedderte Individuen vor. Im Video „Sieben bis zehn Millionen“ (2005) monologisiert ein androgynes Wesen in atemlosem Stakkato über Speichermedien. In „Pool“ (2004) werden die Mechanismen von Casting-Veranstaltungen seziert, in „If a Store Clerk Gave Me too Much Change“ (2009) die neuen Abhängigkeiten von sozialen Netzwerken.

Einzelkämpfer im Kraftfeld der Erwartungen
In allen vor „Sorry“ entstandenen Videos wird viel gesprochen. Stefan Panhans schreibt die bis zu 35 Minuten langen Monologe und Dialoge selbst. Häufig benutzt er dabei Samplingtechniken. So treffen Zitate aus der Werbung auf gängige Slangausdrücke, Manager- und Marketingvokabeln auf Fetzen aus autistisch wirkenden Selbstgesprächen.
 
In Siegen werden jeweils mehrere Videoarbeiten gleichzeitig in einem Raum gezeigt. Es kommt zu visuellen und akustischen Überlagerungen, denen sich der Betrachter nur dadurch entziehen kann, indem er die angebotenen Kopfhörer mit jeweils einer Tonspur aufsetzt. Betont lässige Sitzsäcke in Blau und Silber verleihen dem Ausstellungsraum etwas wohnzimmerhaft Improvisiertes. Die gesamte Technik wird zudem offen in Billy-Regalen von Ikea präsentiert. Diese installativen Eingriffe suggerieren Privatheit.

Kennzeichnend für Stefan Panhans‘ Videos ist, dass er mit nur einer Einstellung auskommt, jedoch größten Wert auf Ausstattung, Setting, Requisiten, Maske und Kostüm legt. Panhans‘ Protagonisten sind zutiefst verunsicherte Einzelkämpfer im Kraftfeld normativer Erwartungen. Medial transportierte Vorstellungen von perfekt gestylten Über-Performern, allgegenwärtige Konsumanreize und der gesellschaftlich oktroyierte Zwang zur Selbstoptimierung zerren permanent an ihrem Selbstbewusstsein.
 
Do what you want
!
Ergänzend zu den sieben Videos sind in der Schau auch ältere und neuere Fotoarbeiten zu sehen. In älteren Serien stand Panhans noch der Street Photography nahe. Mit versteckter Kamera spürte er seine anonymen Protagonisten in Büroräumen, Hotellobbys und Konsumtempeln aller Art auf. In der neuesten Serie „Items for Possible Videosets“ aber operiert er wie ein klassischer Studiofotograf. Panhans arrangiert oftmals kleinformatige und absurd wirkende Gegenstände zu surrealen Stillleben. Wer seine Videos kennt, kann hier Hinweise auf eine bestimmte Bildsprache erkennen, die an mögliche zukünftige Settings denken lässt. Oder aber diese selbstironisch ausschließt. 

Ein weiterer Raum mit Collagen und Zeichnungen, die im Vorfeld zu den Dreharbeiten zu dem Video „If a Store Clerk Gave Me too Much Change“ entstanden sind, gibt ebenfalls Hinweise auf die zwar recherchebasierte, letzlich aber assoziative Arbeitsweise von Panhans. Eine Ausstellung, die mit Fiktionen und verschiedenen Realitätsebenen spielt und vom Betrachter einfordert, sich darauf einzulassen. Die ständig sich selbst befragenden Protagonisten in den Arbeiten von Stefan Panhans sind unbequemen Ahnungen, Träumen, Ängsten und surrealen Verwandlungen ausgeliefert. Doch Panhans zeigt uns am Ende auch einen Ausweg aus diesem Dilemma. Ein Entkommen aus der Falle des Normativen gibt es nur durch permanente Selbstvergewisserung im verwirrenden Hier und Jetzt.  Auf einer der neuen Fotografien hängt ein rotes T-Shirt, ebenso beiläufig wie bedeutungsvoll über der Skulptur, die der Michael-Jackson-Doppelgänger in „Sorry“ noch durchs Zugabteil schleppte. „Do what you want“, steht darauf. Lasst euch nicht fernsteuern! Das ist die Botschaft, mit der Panhans den Besucher aus seiner Ausstellung entlässt.

 
Museum für Gegenwartskunst Siegen, bis zum 3. Juli