Medienschau

"Wir werden in den nächsten Jahren eine echte Ent-Hamasifizierung brauchen"

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Vorwürfe gegen Münchner Kunstverein, Entlassung des "Artforum"-Chefredakteurs und das Gorki-Theater als Vorbild: Der Nahostkonflikt spaltet den Kunstbetrieb, ein Überblick in unserer Presseschau am Freitag

Debatte

Mirna Funk rollt in der "Welt" noch einmal Fälle von Solidarität mit oder nicht genügender Distanz zur Hamas in den letzten Wochen im Kunstbetrieb auf, etwa den offenen Brief von Kunstschaffenden im "Artforum" oder Posts der Künstlerin Noor Abuarafeh, deren Arbeiten aktuell im Kunstverein München zu sehen sind, der sich nach Meinung der Autorin bislang nicht ausreichend von der Künstlerin abgegrenzt hat. Mirna Funk sieht viele Kunst-Institutionen, "die in den letzten zehn Jahren der Hamas-Propaganda anheimgefallen sind – und die es nach wie vor nicht wahrhaben wollen, dass ihre geliebten Buzzwords 'Apartheid', 'Kolonialmacht', 'Genozid' und 'ethnische Säuberungen', die wie irre auf Israel projiziert werden, oft eher die Realität in den arabischen Ländern selbst beschreiben." Und sie fordert: "Wir werden in den nächsten Jahren eine echte Ent-Hamasifizierung brauchen – so ähnlich, wie die Institutionen nach 1945 in Deutschland ent-nazifiziert werden mussten. Wer sich heute schützend vor Massaker-Befürworter und Vergewaltigungs-Leugner schmeißt, dem kann man für die Zukunft nur viel Glück wünschen. Das gilt für die Kunstwelt und jeden Einzelnen." 

David Velasco, Chefredakteur des US-Kunstmagazins "Artforum", wurde jetzt wegen des umstrittenen offenen Briefes von Kunstschaffenden entlassen, wie die "New York Times" berichtet. In dem Brief riefen Künstlerinnen und Künstler zur Solidarität mit palästinensischen Zivilisten auf, die einem "sich entfaltenden Genozid" ausgesetzt seien. Der Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober im Süden Israels wurde darin nicht erwähnt. "Ich bedauere nichts", schrieb Velasco in einer E-Mail an die "NYT". "Ich bin enttäuscht, dass eine Zeitschrift, die immer für Meinungsfreiheit und die Stimmen von Künstlern stand, sich dem Druck von außen gebeugt hat." Velasco arbeitete seit 2005 für die Publikation, seit sechs Jahren war er Chefredakteur.

Rüdiger Scharper vom "Tagesspiegel" sieht im Berliner Gorki-Theater ein Vorbild, wie Institutionen sich in politisch komplexen Situationen verhalten können: "Wir erkennen unsere Ohnmacht. Wir sind betroffen. In einem Krieg gibt es aber auch Getroffene. Das müssen wir uns klarmachen. Dafür müssen wir Haltungen und Sprachen finden", hieß es in einem Gorki-Statement sechs Tage nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel, eine Stellungnahme, die Scharper im Artikel ausführlich analysiert. "Es geschieht selten, dass Künstler derart offen über ihre Grenzen sprechen", meint er. "Dabei haben sie im Gorki versucht, Empathie und Solidarität auszudrücken, so differenziert wie eben möglich." 

Personalie

Zunächst war es nur ein Gerücht, nun aber weiß man mehr: Der rechtsgerichtete Journalist Pietrangelo Buttafuoco soll Präsident der Venedig-Biennale werden und Roberto Cicutto ablösen, dessen erste Amtszeit im März 2024 endet. Die Nominierung muss sowohl von der italienischen Abgeordnetenkammer als auch vom Senat geprüft werden, und der Kulturausschuss beider Häuser wird seine Stellungnahme am 14. November veröffentlichen. "Eine weitere gläserne Decke ist durchbrochen worden", jubelte Raffaele Speranzon, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Fratelli d'Italia, laut "La Stampa" anlässlich der Berufung Buttafuocos. "Speranzons Worte zur Ernennung Buttafuocos zum Präsidenten der Stiftung der Biennale von Venedig offenbaren ein erschreckendes Bild davon, wie sich die Rechten die kulturellen Einrichtungen in unserem Land vorstellen", erklärt Rachele Scarpa, eine linke Abgeordnete für den Wahlkreis Venedig-Treviso-Belluno, in "La Stampa" . "Am besorgniserregendsten ist, dass die Arbeit einer Organisation wie der Biennale in Frage gestellt wird, deren einziger Zweck es sein muss, sich nach besten Kräften um ihr Ausstellungsangebot zu kümmern und ganz sicher nicht, die Fratelli d'Italia glücklich zu machen". 

Interview

Diandra Donecker, Co-Chefin des Berliner Auktionshauses Villa Grisebach, spricht im "Tagesspiegel"-Interview mit Oliver Geyer über Quoten-Frauen, Profit und Berlin als verhinderte Kunstmetropole.

Die Kyiv-Kunstbiennale findet in diesem Jahr in Lublin und Warschau statt. Die KuratorInnen sprechen über Solidarität mit der ukrainischen Kulturszene. Für die "taz" spricht Sophie Jung mit dem Kurator Waldemar Tatarczuk und der Kuratorin Magdalena Lipska über diese ungewöhnliche Ausgabe in Kriegszeiten.