Mire Lee in New York

Dystopie der Selbstauflösung

Die Künstlerin Mire Lee ist eine Meisterin des Unbehaglichen. In ihrer beklemmenden Installation im New Museum in New York huldigt sie der schwarzen Sonne

Die Installation von Mire Lee am New Museum ist eine Zumutung, schon gar an einem heißen Tag in New York. Man betritt durch eine dicke Plastikplane einen unklimatisierten Raum, von der Decke tropft einem das Kondenswasser auf den Kopf. Die Wände sind mit in feuchtem Ton getränkten Lumpen verhangen, die Luft ist so dick, dass man meint zu ersticken.

Die Skulpturen selbst, um die es geht, machen die Erfahrung nicht gerade angenehmer. Ein Elektromotor wälzt Stofffetzen durch ein Bad mit nassem Zement. Das Ganze ist eingebettet in eine Art Skelett aus Drähten, Kabeln und Schläuchen. Der Ekeleffekt ist eindeutig beabsichtigt. Gleiches gilt für die an Ketten hängenden Gebilde, die Brüste oder überdimensionale Hoden darstellen könnten, abgetrennte Körperteile, die sich mit Ersatzteilen aus dem Baumarkt vermählen.

Mit dieser Horrorästhetik experimentiert Lee schon seit einiger Zeit. In der Doppelausstellung mit HR Giger, dem Set-Designer der "Alien"-Filme, im Schinkel Pavillon in Berlin 2021 wurden explizit das Groteske und das Monströse ausgelotet. Körper lösen sich auf, kehren sich von innen nach außen, werden von Maschinenteilen penetriert und verschlungen.

Das Unsagbare erfahrbar machen

Lees Show in New York ist allerdings nicht dem Horrorgenre gewidmet, sondern Julia Kristevas mittlerweile kanonischem Werk zur Depression "Schwarze Sonne". Wie Lee selbst erklärt, hat sie an dem Buch insbesondere Kristevas Beschäftigung mit der Sprachlosigkeit der Depression interessiert. Die Depressive ist bei Kristeva gefangen und isoliert, ihre inneren Welten lassen sich nicht in Sprache oder andere symbolische Systeme übertragen.

So sind die Installationen mehr eine Einladung in die Welt der Depression und der Melancholie als deren Abbildung und Ausdruck. Lee möchte, dass wir mit ihr im Abgrund der Hoffnungslosigkeit versinken, in einer Dystopie der Selbstauflösung.

Das ist nicht angenehm und schon gar nicht schön. Aber es funktioniert. Lees Installationen erinnern an die Arbeiten von Eva Hesse und Louise Bourgeois, die mit ähnlichen Techniken versuchten, Traumata, das Unsagbare am Ursprung alles Gesagten, erfahrbar zu machen. Sie aktualisiert das Werk zweier der wichtigsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts und radikalisiert es zugleich. Und das ist unbequem.