Kunstverein Hamburg

Noch Fragen?

Zum Frühstück gibt es bei Olaf Metzel Kaffee, Zeitungen, Zigaretten und manchmal auch TV. Die Medien liefern ihm schon am frühen Morgen seine Themen. Doch der seit den frühen 1980er-Jahren für seine gesellschaftskritischen Arbeiten bekannte Künstler beklagt den Niveauverlust: „Im Wahlkampf ging es nur um Merkels Kette und Steinbrücks Stinkefinger. Wirklich politische Themen wie der Abhörskandal spielten keine Rolle.“

Unter dem Titel „Gegenwartsgesellschaft“ widmet der Kunstverein in Hamburg dem 1952 in Berlin geborenen Münchner Bildhauer jetzt eine große Überblicksausstellung mit Arbeiten der vergangenen 30 Jahre. Es ist die letzte Schau des scheidenden Direktors Florian Waldvogel. Metzel hat sich stets kritisch in aktuelle Debatten eingemischt: Er produzierte Arbeiten in den Häusern der besetzten Hamburger Hafenstraße. Er ließ den Schriftzug „Stammheim“ auf eine Mauer im Innenhof des Württembergischen Kunstvereins in Stuttgart malen. Und er wurde berühmt mit seinem sogenannten „Randale-Denkmal“ aus Absperrgittern und Einkaufswagen mitten auf dem Ku’damm 1987. Auch ein Modell dieser Arbeit, die nach Protesten konservativer Kreise entfernt werden musste und jetzt hübsch harmlos zwischen den Spreespeichern der Berliner Media City abgestellt ist, ist im Hamburger Kunstverein zu sehen.

„Früher hat man demonstriert, zum Beispiel gegen die Volkszählung“, sagt Metzel und bemängelt die politische Duldsamkeit weiter Bevölkerungsschichten. „Heute füllt man artig seinen Fragebogen aus und trinkt dazu Latte Macchiato.“ Metzel ist immer unbequem geblieben – als zuweilen brachialer Bildhauer und als ebenso aufmerksamer wie sensibler Beobachter des Zeitgeschehens. Der nahe liegenden Gefahr, Schlagzeilen einfach in plakative Agit-Prop-Kunst zu übersetzen, ist er dabei stets ausgewichen. Die Hamburger Schau zeigt zahlreiche Beispiele für seine bildhauerischen Innovativen. Betritt man den Ausstellungsraum, sieht man sich einer Wand straff gespannter Camouflage-Stoffe mit eingearbeiteten Baseballschlägern gegenüber. Die Arbeit trägt den Titel „Noch Fragen?“. „Wenn jemand mit einem Baseballschläger kommt, hat man eigentlich nicht mehr viele Fragen“, kommentiert Metzel lakonisch. Ein anderes Mal überträgt er die Titelseiten türkischer Zeitungen zum Münchner NSU-Prozess auf dünne Aluminiumplatten und faltet diese zu einer ambivalenten Wandskulptur zwischen Brisanz und Eleganz.

Mehrmals kombiniert Metzel in Hamburg alte Arbeiten mit ganz neuen. So kann man die aktuelle Installation „Sammelzelle“, eine silberfarbene Zelle aus Wellblech mit gefährlich scharfen Schnittkanten und derangierten Mülleimern an der Wand, nur betreten, wenn man die Arbeit „Drehkreuz” von 1991 passiert. Die bedrückende Atmosphäre lässt an die Situation der akut von der Abschiebung bedrohten rund 300 afrikanischen Lampedusa-Flüchtlinge denken, die zurzeit in Hamburger Kirchen campieren.

Bereits im Treppenhaus hat sich Metzel geradezu berserkerhaft mit einer Riesenbohrmaschine ausgetobt. Die neue, ortspezifische Arbeit „Sozialtapete”  besteht aus lauter kreisrunden Löchern im Putz. Ein skulpturaler Wutausbruch, jedoch ohne Ewigkeitsanspruch. Metzel dazu: „Man kann die Arbeit während der Ausstellung sehen, und dann ist sie weg.”

Olaf Metzel "Gegenwartsgesellschaft", Kunstverein Hamburg, bis 5. Januar 2014