Sicher kein Ikea

 

Man hat mir die Kleider ausgezogen, Stück für Stück. Ich bin jetzt völlig nackt.“ Sagt wer? Pierre Bergé, langjähriger Lebensgefährte und Geschäftspartner von Yves Saint Laurent. Die Rede ist vom Verkauf der Kunstsammlung, die die beiden in 50 Jahren aufgebaut haben. „Es gab es nur zwei Möglichkeiten: entweder komplett ins Museum oder komplett ins Auktionshaus“, fährt Bergé fort. „Die Sache ist erst abgeschlossen, wenn das letzte Objekt unter den Hammer gekommen ist.“

 

Bei Christie’s spricht man von einer „Jahrhundertauktion“, über die Bühne geht sie vom 23. bis 25. Februar im Pariser Grand Palais. 700 Lose mit einem geschätzten Gesamtwert von 200 bis 300 Millionen werden ausgerufen, der Erlös soll einer Stiftung zur Unterstützung der Aidsforschung zugutekommen, die Bergé gründen will.
 

Auf den ersten Blick ist Paris ein sonderbarer Ort für ein Ereignis dieser Größenordnung. „Man macht hier nicht die besten Verkäufe, trotzdem muss die Auktion hier stattfinden“, betont Pierre Bergé, „der französische Markt braucht eine Wiederbelebung.“ Obwohl der Sammler mit Bergé & Associés ein eigenes Auktionshaus mit einer Außenstelle in Brüssel besitzt, hat er sich für Christie’s entschieden. Einen Monat vor Saint Laurents Tod hatte es noch Gerüchte gegeben, der ausgefuchs te und oft herablassend wirkende Geschäftsmann stehe in Verhandlungen mit Sotheby’s, dem Auktionshaus, dem er 2004 den Verkauf der Einrichtung seines New Yorker Apartments anvertraut hatte.
 

Die wichtigste Inspirationsquelle für Bergé und Saint Laurent waren Charles und Marie-Laure de Noailles, die Finanziers von Luis Buñuels berühmtem Film „Das Goldene Zeitalter“, die über einen extrem eklektizistischen Geschmack verfügten. Bergé und Saint Laurent kauften vor allem über Händler, insbesondere Alexis und Nicolas Kugel sowie Alain Tarica. „Es gibt sehr viele Händler“, sagt Bergé im Gespräch mit Monopol, „aber nicht viele sind in der Lage, sich präzise und geschmackvoll zu äußern, ohne dabei ins Schwafeln zu geraten. Uns war der Dialog immer wichtig, was wir gekauft haben, musste in ein bestimmtes Ganzes passen. Wenn diese Sammlung einen Sinn ergibt, dann deshalb, weil sie stimmig ist. Es ist wie bei einem Dinner: Es gibt Leute, die man dazu einlädt, und andere, die man nicht einlädt.“
 

Unter den 60 zum Verkauf stehenden Bildern aus der Moderne ist kein einziges, das leicht zugänglich oder bloß dekorativ ist, die meisten sind Raritäten. Zum Beispiel ein Picasso aus dem Jahr 1914 – eines von nur zehn großformatigen Bildern, die von dem Maler aus jenem Jahr existieren. Yves Saint Laurent und Pierre Bergé gingen mit avantgardistischem Geist vor: Ende der 70er- Jahre eine Million Francs für eine Holzskulptur von Brancusi zu bezahlen war definitiv waghalsig.

 

Wegen der Rezession wurden einige Schätzpreise gesenkt. So wird ein kubistisches Gemälde Picassos, das wichtigste Werk der Auktion, nicht mehr mit 30 bis 40 Millionen, sondern nur noch mit 25 bis 30 Millionen Euro beziffert. „Der Kunstmarkt steht unter Schock“, sagt Thomas Seydoux, Experte bei Christie’s. „Im November blieben zum Beispiel Bilder von Matisse unverkauft.“ Trotzdem wirken die Herren des Auktionshauses zuversichtlich. „Der Markt erwartet diese Auktion. Wenn eine Treppe des Eiffelturms bei Sotheby’s für 550 752 Euro weggeht, dann mache ich mir um unseren Verkauf keine Sorgen. Qualität spricht für sich“, meint François de Ricqlès, Vizepräsident von Christie’s Frankreich.
Eine wichtige Rolle spielten Bergé und Saint Laurent bei der Wiederentdeckung des Art déco, ebenso wie ein anderer Modedesigner: Karl Lagerfeld. „Aber dessen Herangehensweise war viel triebhafter, unbeständiger. Bergé und Saint Laurent sind sich immer treu geblieben – sie haben sich nicht ständig etwas Neuem zugewandt, sondern ein Werk geschaffen“, sagt die Chris tie’s-Expertin Sonja Ganne.
 

Beim Art-déco-Teil der Auktion, der etwa 150 Lose umfasst, spürt man den Zusammenhang zwischen jedem einzelnen Objekt der Sammlung. Beide Männer hatten den Mut, große Summen in ihre Leidenschaft zu investieren. Für ein Vasenpaar von Jean Dunand zum Beispiel, ihre erste Erwerbung im Bereich der ornamentalen Kunst des 20. Jahrhunderts, bezahlten sie Ende der 60er-Jahre rund 7000 Francs – zu einer Zeit, als ein Fiat 5000 Francs kostete. Die Vasen werden nun auf eine bis eineinhalb Millionen Euro geschätzt. Ein wenig überraschend ist, in dieser ansonsten makellosen Sammlung auf 15 kitschige Spiegel von Claude Lalanne zu stoßen.
 

Der größte Teil der zum Verkauf stehenden Posten gehört zur Kunst- und Skulpturensammlung mit Werken vom 13. bis zum 18. Jahrhundert. Dabei interessierten sich weder Bergé noch Saint Laurent für französische
Möbel aus dem 18. Jahrhundert, zu „bourgeois“ waren sie ihnen. „Ihr Geschmack war klassisch. Sie folgten keinem Plan, was der Sammlung noch fehlte, sie sprangen einfach auf das an, was ihnen begegnete“, sagt Donald Johnston, ebenfalls Experte bei Christie’s. Die bedeutendste Skulptur der Sammlung ist eine Pietro Tacca zugeschriebene Bronzegruppe nach einem Entwurf von Giambologna, deren Schätzwert bei 400 000 bis 600 000 Euro liegt. Arbeiten von oder nach Entwürfen von Giambologna tauchen relativ regelmäßig auf dem Kunstmarkt auf, aber nicht in dieser Qualität. 2005 brachte eine von Giambologna entworfene und von Susini gegossene Skulptur von Nessos und Deianeira bei Chris tie’s einen Erlös von 1,2 Millionen Pfund. „Doch auch wenn diese Skulptur aus der Sammlung von Bergé und Saint Laurent stammt, bezweifle ich, dass wir noch einmal einen solchen Preis erzielen“, sagt Donald Johnston. Große Lücken lassen sich nicht ausmachen, höchstens Anlässe für leises Bedauern: „Wir haben keinen Rothko, keinen Bacon, keinen Barnett Newman, keinen Hockney“, sagt Bergé.
 

Am Ende kommen übrigens nicht alle Stücke der Sammlung unter den Hammer. Ein Andy-Warhol-Porträt von Saint Laurent wird Bergé behalten, genauso wie seine seltenen Bücher und eine Vogelskulptur der Senufo aus Afrika, das erste Objekt, das die beiden Männer zusammen kauften. Dennoch: Es muss schwer sein, ein solch großes und intimes Kapitel hinter sich zu lassen. „Man kann sich scheiden lassen und seine alte Liebe weiterhin lieben“, sagt der Sammler. Wie aber wird er sein Haus einrichten, wenn eines Tages alles daraus verschwunden ist? „Eines ist sicher: nicht mit Ikea.“

 

„Collection Yves Saint Laurent et Pierre Bergé“ 23. bis 25. Februar bei Christie’s, Paris