"Theater der Überforderung" in Zürich

Prunk, Protest und Puppen

Auf der Terrasse des Löwenbräu-Areals sonnt sich ein kleiner Galeristenhund, der nach Shampoo duftet. Die Theaterregisseurin Barbara Weber ist da, sie hat gerade einen Apfel für ihr Kind gekauft. Daneben entspannt sich Daniel Baumann. Der Kurator hat seine Ära als neuer Direktor der Kunsthalle Zürich mit einem attraktiven Versuchslabor eröffnet, der mehrräumigen Installation "Slice A Slanted Arc Into Dry Paper Sky" von Ramin Haeri­zadeh, Rokni Haerizadeh und Hesam Rahmanian. Die drei Exiliraner haben in Dubai ihr Wohn- und Atelierhaus in einen Kunstkörper verwandelt. Es ist jetzt zur Hälfte nach Zürich gezogen. Ein irres, bunt übersteuertes Passagenwerk aus Prunk, Protest und Puppen, zusammengehalten durch Ornamentflächen auf Wänden und Böden.

Daneben lebt ein weiteres Gruppenlabor, Barbara Webers "Theater der Überforderung", eingerichtet von Tobias Madison. Der Künstler hat sich gegen alle Farben entschieden, bloß für Weiß und Nebel. Aufgestellte Ringe, an denen weiße Schleier hängen. Dazwischen ein silbernes Lager und ein paar eingerollte Stoffbahnen. Sehr fein, sehr fragil. Ein Raumrudiment, abgeschaut von den überbelichteten Boudoirs und Bordellen des Dramatikers, Poeten und Filmemachers Shuji Terayama (1935–1983). Die Kunsthalle hat Weber und Freunden den Auftrag gegeben, sich mit dem Japaner zu beschäftigen – und dabei Theater und Kunst aufeinander losgelassen. Schon der Unterschied zwischen der Stille einer Premiere und dem narzisstischen Lärm einer Vernissage sei erschreckend, sagt Weber, und die Kunstmenschen hätten das Theater als solches fürchterlich überdeutlich gefunden.

Jetzt haben sich alle auf work in progress verständigt: Unter der Woche wird als öffentliche Performance geprobt, an Freitagen ist Premiere. In Madisons Raumgespinst markieren an diesem Abend also Schauspieler Positionen von Terayama: poetisches Reden über Regen, Homosexualität, das Gewaltpotenzial von Sprache. Nur 15 Minuten lang. Dann folgt Terayamas verbotenster Film, "Emperor Tomato Ketchup" (1970): Ultrabrutale Kinder haben eine Revolution gewonnen und vernichten jeden Rest von Anstand und Vernunft. Es ist, ganz kurz, die japanische Variante von Pasolinis "Salò". Nur erhabener. Nur perverser. Und ein echter Kinderschrei gellt durch das ganze Haus – Barbara Webers kleine Tochter will endlich ihren Apfel.