Er kehrt ins Haus am Waldsee zurück, und nichts ist mehr, wie es war. Als Thomas Florschuetz 2005 hier ausstellte, war vor allem der eigene Körper Thema seiner Fotografien – und die Unmöglichkeit, sich selber zu betrachten. Befremdlich und fragmentiert erschienen Glieder und Haut des Künstlers. Fast zwei Jahrzehnte später hat sich die Blickrichtung umgekehrt. Thomas Florschuetz fotografiert Räume, Architekturen, Fensterausschnitte, Vegetation.
Und noch etwas ist anders im Haus am Waldsee, das 16 erfolgreiche Jahre lang von Katja Blomberg geleitet wurde. Die Kunsthistorikerin musste im vergangenen September, wenige Monate vor Ablauf ihres Vertrages, die Zehlendorfer Kunstvilla verlassen. Auf die letzten Meter hatte es noch Krach gegeben, doch über die Gründe wird geschwiegen. Inzwischen hat mit Anna Gritz eine neue Direktorin das Amt übernommen. Ein bisschen Blomberg-Flair weht aber noch durch die Räume, denn die Florschuetz-Schau "Überlagerungen" – welch' passender Titel – war noch von der Ex-Leiterin initiiert worden. Kuratorisch durfte Blomberg nicht mehr tätig werden, daher haben Anna Himmelsbach und Dagmar Schmengler die Einrichtung der Ausstellung übernommen.
Sieben Hochformate einer Serie hängen im ersten Stock der Villa. Sieben ziemlich verschiedene Bilder, was deshalb eigenartig ist, weil Thomas Florschuetz an diesem kalten Morgen den Aufnahmewinkel nicht veränderte. Die Reihe "Ohne Titel (K52)" entstand bei Sonnenaufgang, in jenem Zeitabschnitt, in dem die Wintersonne das Atelierfenster des Künstlers in der Berliner Kollwitzstraße 52 zu erwärmen begann. Die gegenüberliegende Fassade und davor parkende Autos sind mal besser, mal kaum zu erkennen, weil die Kamera durch ein entweder vereistes oder feucht behauchtes Fenster blickt. Eine der Fotografien zeigt eine Tropfenstruktur und einen Hell-Dunkel-Verlauf, erinnert an abstrakte Malerei.
Gegen die Bilderflut
Was hat Florschuetz hier überhaupt fotografiert? Der 1957 in Zwickau geborene Fotograf weckt Zweifel an der Beschaffenheit und Bedeutung der Bildgegenstände – und fordert zugleich die Wahrnehmung der Betrachtenden heraus. "Der Inhalt meiner Arbeit ist der Blick auf den Blick", hat der Künstler vor über 20 Jahren einmal erklärt, und im Haus am Waldsee zeigt sich jetzt, dass die Beschreibung nichts an Aktualität eingebüßt hat. Man könnte auch von Dringlichkeit sprechen, denn die Bereitschaft, sich auf Bilder einzulassen, nimmt ab im Zeitalter des rapiden Daten- und Bilderflusses. Florschuetz bietet das Gegenprogramm: Seine Bilder und Werkgruppen sperren sich gegen Konsumierbarkeit und Weiterscrollen; sie fesseln die Aufmerksamkeit.
Es sind nur wenige Menschenbilder eingestreut in die Präsentation, die den Fokus auf die vergangenen zehn Schaffensjahre legt. Vorwiegend sind Architekturen und Interieurs zu sehen. Allein in der Serie "Individuals" kommen Menschen vor. Allerdings lässt Florschuetz Köpfe, Arme und Beine weg. Er zeigt nur Rückenansichten unter Falten werfender Kleidung, die Individualität nur erahnen lassen. Florschuetz fotografierte Menschen, vorwiegend Männer, im dichten Gewühl indischer Städte. Die Quasi-Porträts ohne Gesichter lassen viele Fragen offen, erzeugen Spannung, Neugier, Fantasieräume. Florschuetz’ Kunst ist im Kern eine des Weglassens.
Aufgelöste Bildwelten
Architekturen und Interieurs dominieren die neue Schau, die sich über beide Etagen des Hauses am Waldsee erstreckt. Florschuetz verweigert Blicke auf gesamte Baukörper und umfassende Räume, ob er nun in Berlin, Rio de Janeiro oder Ahmedabad fotografiert. Er betreibt keine klassische Architekturfotografie, die räumliche Verhältnisse klärt. Die Ansichten sind häufig ausschnitthaft und voller Binnenrahmungen. Sie lösen sich von den konkreten Orten und Kontexten, etablieren eine autarke Realität – ein Dasein, das nur als Bild existiert. Aber was heißt "nur"? Bilder sind Welten bei Thomas Florschuetz!
In der jüngsten Werkreihe, die er im Sítio Roberto Burle Marx bei Rio de Janeiro aufnahm, thematisiert der Fotograf die Koexistenz von Flora und Architektur – und verbindet so zwei seiner zentralen Genres miteinander. Der Ausstellungstitel "Überlagerungen" bezieht sich aber weder allein auf Überwucherungen und das Zusammenrücken diverser Elemente noch bloß auf die Kompositionsweise des Fotografen, der mit Vorliebe Diagonalen sich kreuzen und Flächen spannungsvoll aneinanderstoßen lässt.
In der Fotografie kommen bestimmte äußere Bedingungen – der Ort, das Licht – mit persönlichen Haltungen und Stimmungen zusammen: Innen und Außen spielen ineinander, "überlagern" sich.
Ort der Melancholie
Ein Foto entreißt der Realität einen kurzen Moment. Indem Florschuetz diese mediale Begrenztheit mit seinen kompositorischen Mitteln noch steigert, öffnet er zugleich einen weiten Resonanzraum. Im Herbst 2016 hielt Florschuetz die letzten Stunden eines bedeutenden Museumsstandorts fest, des Ethnologischen Museums in Berlin-Dahlem.
Einige Bilder der Serie "Elephant’s Breath" zeigen die Räume, Vitrinen und Exponate in trügerischer Intaktheit, während sich woanders die Räumung bemerkbar macht: Plastikfolien und Absperrgitter rücken ins Bildfeld. Hinter dem Schutzglas eines Schauraums sind nur noch gelbe Podeste und Wandelemente zu sehen, sowie lauter nutzlose Haken. Das Museum, das sich für den Umzug ins Humboldt-Forum rüstet, wird zum Ort der Melancholie.
Florschuetz geht in der Ausstellung noch einen zeitlichen Schritt zurück, indem er eine Innenaufnahme des Palastes der Republik von 2006 präsentiert. Der Rückbau des 2008 endgültig abgerissenen Palastes ist auf der Fotografie so weit fortgeschritten, dass die Stahlträger freigelegt sind. Alte Markierungen aus der Bauzeit in den 1970ern sind wieder sichtbar geworden.
Eine vielsagende Lücke
Ein Gegenwarts-Ausschnitt, der in die Vergangenheit wie in die Zukunft weist wie die Pfeile nach links und rechts, die Arbeiter vor Jahrzehnten auf die Deckenträger gesprüht haben. Den umstrittenen Schlossneubau hat Florschuetz nicht fotografiert. Eine vielsagende Lücke. Als Künstler bleibt er neutral seinen Sujets gegenüber.
Es ist ja ohnehin fraglich, ob man mit Fotografien kommentieren kann. Florschuetz jedenfalls zeigt nur Entwicklungen und Wandlungen. Der "private" Thomas Florschuetz aber bekennt beim Pressetermin: "Dass der Palast der Republik abgerissen wurde, ist kein Drama. Der Schlossneubau ist das Drama."