Museum Folkwang

Vom Verlust der Glaubwürdigkeit

Ha Neu ist nicht etwa die ostdeutsche Antwort auf die Band "Ja, Panik". Es ist ein Stadtteil in Halle, eine monströse Plattenbausiedlung, deren Bewohner seit Jahren das Weite suchen. Wer sich einen Umzug nicht leisten kann, fristet sein Dasein zwischen Abrissbirnen und verlassenen S-Bahnhöfen. Ein idealer Ort für Reportagen aus den urbanen Randzonen der Wohlstandsgesellschaft und für Tobias Zielony eine Fundgrube für sein global angelegtes Projekt einer Archäologie jugendlicher Lebenswelten.

2003 zog es ihn gleich ein halbes Jahr lang immer wieder dorthin, um Halbwüchsige nach Einbruch der Dunkelheit vor seine Linse zu bekommen, hautnah in Großaufnahme oder aus sicherer Distanz, wie beiläufig aufgenommen von einem unbeteiligten Passanten. Gruppenbildungen am Parkplatz, in unterkühlt blau leuchtenden Clubs und gedankenverloren an der Durchfahrtsstraße.

Die Serie „Ha Neu“ bedient nicht die Zustandsbeschreibung von Jugendkriminalität, Bildungsferne und Arbeitslosigkeit. Sie zeigt Teenager jenseits von Extremsituationen, in einem Alltag, der vor allem aus Herumhängen und Warten besteht. Sozialkritische Milieustudien sehen anders aus.

In Essen lässt sich der Unterschied in der Konfrontation mit den schwarz-weißen Armutsreportagen des fast vierzig Jahre älteren Jürgen Heinemann studieren. Der Otto-Steinert-Schüler bereiste seit den frühen 60ern im Auftrag kirchlicher Hilfsorganisationen Lateinamerika, Afrika oder Asien und fand sein Publikum bei Zeitungslesern. Neben beobachtenden Szenen wählt er immer wieder politisch aufgeladene Motive, die aufrütteln sollen, verschmutzte Waisenkinder, die allein in einem Gitterbett hocken, oder einen unterernährten Jungen, der zu schwach ist, Essen aus einer Schüssel zu löffeln.

Die Zeit dieser klassischen Reportagefotografie, die noch ohne Auflagendruck auskam, ist längst Fotogeschichte, weshalb sich Zielony heute mit seinen unglamourösen Expeditionen im Kunstkontext verortet. Sein dokumentarisches Konzept vom „Dabeisein“ beharrt nicht mehr auf die Abwesenheit von Manipulation und eine möglichst authentische Abbildung einer vorgefundenen Realität. Es lässt die Selbstinszenierung der Protagonisten zu, ihr Posieren vor der Kamera, die ihnen eine Bühne bietet, die Suche nach einer Identität, die sie sich bei popkulturellen Vorbildern ausleihen. Als Wandobjekte in Galerien und Museen verschafft Zielony ihnen die größtmögliche Anerkennung und erzählt ganz nebenbei vom Verlust der Glaubwürdigkeit unserer schönen neuen digitalen Bilderwelt.

Museum Folkwang Essen, bis 26. Juni