Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim

Zu Hause in der Zone

Die Frau breitet ihre Arme aus. Um ihren Kopf hat sie ein Tuch geschlungen, ihre Haut ist faltig. Sie blickt gen Himmel, ein Klagelaut auf den Lippen. Der russische Fotograf Andrej Krementschouk folgte dieser Frau in das öde Land rund um Tschernobyl. Anlässlich des 25. Jahrestages der Reaktorkatastrophe in der Ukraine sind seine Fotografien in Mannheim zu sehen. Es sind Bilder, die Schönheit neben dem Grauen zeigen, voller Hoffnung an einem hoffnungslosen Ort. Es sind Bilder, auf die man nach dem Unglück in Fukushima noch einmal neu blicken muss.

Für die Serie „Zone – Heimat. Tschernobyl“ reiste Krementschouk, Mitglied der Berliner Fotoagentur Ostkreuz, immer wieder in das Sperrgebiet, das sich in einem Radius von rund 30 Kilometern um den havarierten Reaktor ausstreckt. Der Fotograf traf dabei auf knapp tausend Rückkehrer – Menschen, die versuchen, ihre vergiftete Heimat zurück zu erobern, die Obst ernten, Schafe züchten.
In den rund 80 Bildern zeigt Krementschouk aber nicht nur die Menschen. Er zeigt auch die Natur, in der sie leben. Auf eine verstörende Art: Schwarze Bäche fließen durch die verstrahlte Landschaft, karge Bäume säumen zerfallene Straßen, Pflanzen ranken sich durch leerstehende Häuser. Krementschouks Fotos tragen dokumentarische Züge, nicht jedoch ohne das Gespür für Komposition aus dem Auge zu verlieren: Drei alte Stühle, die wie aufgestellt auf einer kaputten Terrasse hinterlassen wurden, daneben ist eine kleine Birke durch die Fliesen gebrochen und hat sich im Beton verwurzelt.

Es ist ein Paradox: Die Natur erobert sich das Land von den Menschen zurück, von denen sie vorher vergiftet wurde. Hier wächst Gemüse, wachsen Äpfel. Die Menschen essen sie, sie glauben nicht mehr an das unsichtbare Gift. Vielleicht wollen sie es auch nicht. Sie glauben nur an eines. Ihre Heimat.

Es war der US-amerikanische Fotograf Robert Capa, der sagte: „Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, warst du nicht nah genug dran.“ Andrej Krementschouk ist mit seiner Kamera ganz nah an Tschernobyl herangerückt. Schmerzlich nah.

Zephyr - Raum für Fotografien in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, bis zum 31. Juli. Bis zum 4. Juni sind einige Bilder der Serie auch in der Düsseldorfer Galerie Clara Maria Sels zu sehen. Zu den Ausstellungen erscheinen im Kehrer Verlag die Fotobände „Chernobyl Zone I“ und „Chernobyl Zone II“