Social-Media-Fotografie

Was kommt nach Instagram?

Die Zukunft der Fotografie ist bewegt. Überall ruckelt, zuckelt und wackelt es. Zumindest in den sozialen Medien und in neuen Apps. Deren Gründer sagen meist – mindestens so bewegt wie ihr neues Produkt –, dass es unser Denken über Bilder verändert. Polaroid hat das schon einmal geschafft. Mit Sofortbildkameras, die im Nu entwickelten und damit ermöglichten, dass Bilder so schnell angeschaut werden konnten, wie sie gemacht wurden. Jetzt gibt es eine neue App, die zwar den Namen des Unternehmens trägt, das aber hat damit nicht viel zu tun. Polaroid Swing macht Bilder, die noch Foto und schon Kurzfilm sind, die sich eine Sekunde lang bewegen, wenn man mit dem Finger darüber streicht oder das Smartphone nach links und rechts kippt – aber auch wirklich nur eine Sekunde. Man selbst kann Bewegung in beliebiger Geschwindigkeit ins Bild bringen, es stoppen, animieren, stoppen, animieren oder es einfach nur angucken. Fotografie mit Gimmick. Polaroid Swing funktioniert am besten mit Bildern, die sich als Scherzartikel geben. Und ist dabei ungefähr so fesselnd wie Pokémon Go, wenn einem immer nur Taubsi gefolgt von einem Taubsi und wieder nur Taubsi vor die Füße springt.

Schaltet man um zu Instagram, scheint das soziale Fotonetzwerk in die Jahre gekommen zu sein. Instant, wie Polaroid wollte es einst sein, deshalb das quadratische Format und ein Logo, das an die Sofortbildkameras erinnert. Das Quadrat wurde vor gar nicht so langer Zeit aufgegeben zugunsten von videofreundlicheren Formaten, das Logo wurde Mitte März durch etwas ersetzt, das wie eine minimalistische Waschmaschine geparkt vor einem Regenbogen aussieht. Aus zahlreichen Momentaufnahmen, über die unbedingt noch schnell einer der an die Polaroid-Ästhetik angelehnten Filter wie Early Bird, Toaster, Inkwell, Sutro oder X-Pro II gelegt werden musste, bevor sie mehrmals täglich live mit dem Kommentar „Jetzt“ oder „This is now“ gepostet werden konnten, wurde die goldene Regel: ein Bild pro Tag, bitte nur das absolut beste und wenn es unbedingt mehr sein müssen, dann doch bitte wenigstens sinnvoll über den Tag verteilen. Vor dem Frühstück, in der Mittagspause, nach Feierabend.

Herzchen, Herzchen, Herzchen in Form von Likes und Emojis in den Kommentaren sollen den Bildern zufliegen. Das klappt nach fast sechs Jahren Instagram am besten mit minimalistischen Kompositionen, beeindruckenden Landschaftsaufnahmen und kitschigen Postkartenmotiven, die man allesamt so oder so ähnlich täglich zig Mal sieht, gepostet von Accounts, von denen einer aussieht wie der andere und die alle zwischen 10.000 und 1.000 000 Follower haben. Der Mensch als kleine Figur immer im Bild, das Zentrum der Komposition, stehend, lehnend, springend. Oder auf einem Skateboard eine unbefahrene Straße hinabsausend, die sich durch Bergketten schlängelt. In Hashtags gesprochen: #architectureandpeople, #tinypeopleinbigplaces, #standcommunity, #jumpstagram.

@kpunkka rolling into the sunset. #shareyourjordan @visitjordan

Ein von Hannes Becker (@hannes_becker) gepostetes Foto am

 

Instagram hat mittlerweile eine Ästhetik geprägt, und das ganz ohne Filter mit Vintage-Look à la Polaroid. Den Ruf der Sepia-Filter-Hölle wird die App wohl trotzdem nie loswerden. Von einer Ära Post-Instagram zu sprechen wäre deshalb verfrüht. Die App-Entwickler dieser Welt wälzen sich nämlich nachts immer noch schlaflos in ihren Betten, haben wirre Träume, wachen schweißgebadet auf und finden vielleicht irgendwann morgens auf dem Boden einen Zettel mit ihren Notizen zum next big thing. Denn sogar das rebellische kleine Geschwisterchen, das auf den Namen Snapchat hört und auf dessen Schultern trotz aller Widerborstigkeit die Hoffnungen ruhten, passt sich langsam an.

Ähnlich wie Instagram hat Snapchat seit den Anfängen einen irgendwie komischen Ruf, der so unangenehm ist wie Kaugummi an einer frisch gewaschenen Jeans. Snapchat, die Sexting-App, über die sich Teenies bedenkenlos freizügige Bildchen und Videos schicken können, weil: Nach dem Öffnen löscht sich das Bildmaterial automatisch. Stimmt alles nicht, wissen längst alle, hoffentlich, macht aber nichts. Snapchat als Synonym für Sexting, das klingt einfach zu gut. Die Realität sieht trotzdem anders aus.

Snapchat erlaubt den Nutzern nicht nur private Nachrichten zu versenden, es kann zusätzlich ein für die eigenen Follower sichtbarer Kanal, genannt "My Story", bespielt werden. Auch hier verschwinden die Inhalte, allerdings erst nach 24 Stunden und nachdem man sie sich so oft angesehen hat, wie man will. Bis vor kurzem setzte Snapchat noch darauf, dass live und nicht reproduzierbar Inhalte gesendet werden. Jetzt gibt es eine neue Funktion, die die ursprüngliche Idee von Snapchat ad absurdum führt, denn die App hat plötzlich ein Gedächtnis. So heißt auch das neue Feature: "Memories". Die Bilder können nun in der App gespeichert und beliebig zu neuen Geschichten zusammengefügt werden. Dahin ist die Vergänglichkeit, der flüchtige Augenblick. Es darf dokumentiert und sich erinnert werden. Die Momente der Vergangenheit dürfen hervorgeholt und immer und immer wieder gezeigt werden, ganz so, als würde man mitten im Satz aufspringen, ein Fotoalbum aus der Schublade ziehen, es der Runde Freunde auf dem Sofa reichen, sie blättern lassen und dann alles wieder verstauen. Schublade zu. Wir sind uns sicher: "Es-ist-so-gewesen."

Für Fotografen und Künstler dürfte das den Kanal interessanter machen. Wer setzt in diesem Business schon auf Vergänglichkeit und Bilder, die on the go entstehen? Paul Ripke war übrigens zwischenzeitlich hyperaktiv auf Snapchat, hat sich ein paar Wochen lang mal Butterbrote zwischen die Backen gepackt und mal mit viel Elan und noch mehr Häme Modeblogger-Mädchen parodiert, bis er sich offenbar selbst langweilte. Ein anderer, der Magnum-Fotograf Alec Soth, snappt konstant auf Reisen, aus Workshops, im Alltag, eigentlich bei jeder Gelegenheit. Aktuell hat das "Time Magazine" einen Snapchat-Account gestartet und erst einmal Alec Soth die Verantwortung dafür übertragen. Der ging los und nahm auf den Straßen eine Reihe filmischer Porträts auf, vielleicht in der Tradition von Andy Warhols "Screen Tests", den "Stillies", die Mitte der 60er Jahre in der Factory entstanden sind. Alec Soth hat die Aufnahmen konserviert und einige davon auf Instagram geteilt.

I'm launching Time Magazine's new Snapchat today. Follow along here: Time_mag

Ein von Alec Soth (@littlebrownmushroom) gepostetes Video am

 

Instagram ist für viele Fotografen und Künstler das soziale Netzwerk mit der größten Reichweite. Alec Soth beispielsweise hat 118.00 Follower, Stephen Shore 74.000 und Olaf Breuning 41.000. Aber auch die Post-Instagram-Ära wird kommen und da bietet es sich an, vorbereitet zu sein. Stephen Shore ist deshalb gemeinsam mit William Boling von Fall Line Press in Atlanta federführend an einem Projekt beteiligt, das nicht riskieren möchte, dass irgendwann einmal alle Bilder, die wir uns jetzt zu jeder Tages- und Nachtzeit in der App ansehen können, unwiederbringlich verschwunden sind. Weil es Instagram nicht mehr gibt, oder weil vielleicht jemand das Internet kaputt macht, wer weiß. Vierteljährlich erscheint seit März "Documentum", eine Zeitung, die sich immer einem Thema widmet.

 

Der Titel der ersten Ausgabe lautete möglichst breit gefasst "The Instagram Series", die gerade erschienene zweite Ausgabe verhandelt das Verhältnis von, so auch der Titel, "Pictures & Words" und zeigt Arbeiten von Fotografen, Autoren und Künstlern, die auf Instagram Bilder und Worte verbinden, etwa in Form von #instaessays wie dem von Blaire Braverman. Oder den Notizen des Autors und Fotografen Teju Cole, für den Instagram zum Tagebuch wird, das er mit Bildern und Texten füllt, mit Träumen, Prosaminiaturen, Alltagsbeobachtungen und Gedanken zur afroamerikanischen Geschichte.

~ In the days when the internet was shut off in the country, at the beginning of the week, I was as they were: we worked without reference to the outside. ~ They were few for a work site so large. Mostly they didnt wear helmets or workboots. I thought of Salgados Serra Pelada pictures, or Godfrey Reggios Koyaanisqatsi. I was in my luxury hotel room, and they were down below, making how much per day? Not much. Doing the work machines do almost everywhere else on earth. Lifting, mixing, pouring. Day after day, they made tiny progress on the foundation works of a massive new skyscraper. Labor that obliterated what was human. How slow it all looked, and how grievously pointless. The building they were working on was destined to eventually darken the view I now had on my ninth floor room. My eye follows the man with the wheelbarrow on the left. He is constructing a building he is destined never to use. ~ It is the rainy season now in Addis, winter, and in rain there are even fewer of them. But some of them work in rain, losing color. Ladders and poles scattered around the perimeter like toothpicks. Figures from Bruegel. Centimeters at a time, they build a tower. ~ Life out of balance. Last night, I wrote until 3 am. I wrote, unhappy with my writing (my inability to write). The world was distressing. I worked badly and was exhausted. Time to sleep. I went to the window and looked out on the now empty site. It was faintly lit. Then I went online again, and the news from France began to trickle in.

Ein von Teju Cole (@_tejucole) gepostetes Video am

 

Man mag etwas verwundert sein über die Wahl des Mediums. Eine Zeitung, die natürlich mehr kostet als eine Ausgabe der "New York Times" am Kiosk. Eine Zeitung, die eigentlich nur so lange aktuell ist, bis abends die Druckmaschinen wieder laufen. Eine Zeitung, die Druckerschwärze an den Händen hinterlässt und mit der Zeit vergilbt. All das soll "Documentum" sein, ein haptisches Erlebnis, aktuell, nicht zu wertvoll, also ein wenig das, was Fotografie auch auf Instagram ist.

Uns bleibt jetzt nur geduldig zu sein und abzuwarten, was die Zukunft der Fotografie Post-Instagram bringt. Und zu hoffen, dass sie mehr bereit hält als ein ruckeliges und zuckeliges Gimmick.