Lieferprobleme

Wo sind die Chips?

Als Folge der Pandemie fehlen überall auf der Welt Computerchips. Das hat gravierende Folgen für Industrie und Verbraucher, könnte aber auch zu einem Umdenken führen: Weniger, aber langleberige Technik

Im Laufe der letzten 18 Monate haben sich einige neue Vokabeln in der Alltagssprache etabliert. Brennglas ist so ein Wort. "Wie unter einem Brennglas offenbarte sich im Lockdown die Armut in der Gesellschaft." Paradoxerweise vermehrte sich zeitgleich wie unterm Brennglas das Vermögen der Superreichen wie Jeff Bezos und Elon Musk. Wie unterm Brennglas zeigte sich in jüngerer Vergangenheit auch die Fragilität der Weltwirtschaft und ihren komplexen Lieferketten. Verhakt sich ein Containerschiff im Suez-Kanal, steht die Welt nahezu still. Bis heute zeigen sich Auswirkungen wegen der Havarie der "Ever Given".

Aber so ein Unfall ist nur Symptom und keine Ursache für die wirren Verkettungen, die für Bilder in den Medien sorgen, die befremdlich anmuten. Leere Regale in englischen Supermärkten, Produkte wie Next-Gen-Konsolen, die es praktisch nur auf dem Papier gibt. Vintage-Ostdeutsche auf Social Media, die plötzlich wieder Trabbi-Witze reißen dürfen. Für die Welt der Technik fehlt dieser Zeit nämlich vor allem eine Komponente: der Chip.

Dieser Mangel betrifft Autos, Computer, Grafikkarten und so ziemlich alles, was mit Halbleitern zu tun hat - was mittlerweile eine Menge ist, haben doch auch Kühlschränke, Kopfhörer und smarte Glühbirnen Computerchips an Bord, die alle mehr können, als man sich ausdenken kann. Gerade die deutsche Automobilindustrie ächzt darunter. 30 Prozent weniger Absatz bei Mercedes-Benz. Laut der Beratungsfirma Alix Partners sollen wegen des weltweiten Chipmangels dieses Jahr 179 Mrd. Euro der Branche durch die Lappen gehen. Es handelt sich um Millionen Autos, die nicht fertig gestellt werden können. Die Produktion steht vielerorts still. Führende Köpfe bei AMD und Intel gehen davon aus, dass bis 2023 keine Beruhigung der Stresssituation in Sicht ist. Wenn überhaupt. Das ist ganz schön lang und spätestens jetzt auch ein geopolitisches Thema.

Die Technik daheim reicht ür die nächsten Jahre

Die Reaktionen und Kausalitäten auf diese Gemengelage fallen unterschiedlich aus. Aber man ist seit der Pandemie ja einiges gewohnt. So steigen gerade die Preise für Gebrauchtwagen rasant. Auch die Halbleiter selber werden wegen der nicht zu stillenden Nachfrage immer teurer. Viele Länder setzen nun auf heimische Produktionen. In Japan, Deutschland und USA sollen weitere große Produktionsstätten entstehen. Regionale Chips – ein putziger Begriff. In Dresden eröffnete Bosch vor wenigen Monaten die laut eigenen Aussagen modernste Halbleiterfertigung Europas. Firmen wie Apple setzen seit einiger Zeit ebenso auf die eigene Produktion ihrer Prozessoren, um sich unabhängiger zu machen. Aber auch hier läuft in der Produktion nicht alles rund. Zu feingliedrig sind die Zahnräder der globalen Elektronikindustrie geworden. Die Geschäftszahlen für das dritte Quartal lagen unter den Erwartungen.

Die Frage, ob man jedes Jahr ein neues Smartphone braucht oder jedes Fitzelchen in der Wohnung mit dem Attribut "smart" versehen muss, ist nicht neu und Nachhaltigkeit spielt hierbei nur eine Rolle von vielen. Selbst wenn die Industrie gerne etwas anderes suggeriert – aber die Devices sind allgemein zu gut geworden, um alle ein bis zwei Jahre ausgemistet zu werden. Die Fortschritte in Batterieleistungen und Prozessorleistungen in den letzten Jahren waren markant.

Es geht hier also gar nicht so sehr um anstehende trockene und düstere Jahre bei den Konsumentinnen und Konsumenten. Natürlich ist es ärgerlich, wenn man mit der eigenen PS5 erst für 2023 realistisch planen kann, dafür gibt es aber noch viele Games für die alte PlayStation. Dafür sorgt auch Sony, denn neuen Content für ein Gerät zu bewerben, das gefühlt niemand hat, ist selbstverständlich nicht zielführend. Was an Technik daheim ist, wird für die nächsten Jahre völlig ausreichen. Irgendwie beruhigend. Vielleicht hält die Chipkrise die Industrie an, in Zukunft weniger aber nachhaltiger zu produzieren. Die teils ohnehin tollen Geräte einfach wie unterm Brennglas noch geiler und langlebiger zu machen. Das System ist augenscheinlich ohnehin völlig überlastet.

Ich gestehe, so eine Idee klingt natürlich naiv. Aber eine Industrie (oder in diesem Falle fast alle Industrien), die nicht im Ansatz so viel herstellen kann, wie sie verkaufen möchte, sollte sich so oder so langfristig den aktuellen Umständen anpassen, oder etwa nicht?