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12 Kunst-Filme, die sich im November lohnen

Eine männerfressende Vampirin, das Farbenuniversum von Mark Rothko und der Hype um malende Wunderkinder: Das sind unsere Filmtipps des Monats
 

Mark Rothko und die Welt der Farben 

Der ideale Abstand, den der Maler Mark Rothko zwischen seinen Bildern und einer Betrachterin empfiehlt, beträgt 45 Zentimeter. In vielen Museen würden dann schon die Alarme lospiepsen, wenn man den kostbaren Leinwänden so nahe kommt. Eintauchen in Rothkos Landschaften aus Farbe kann man allerdings auch im neuen Dokumentarfilm "Bilder müssen geheimnisvoll sein", den Regisseur Pascale Bouhénic anlässlich einer großen Ausstellung des Malers in der Fondation Louis Vuitton in Paris gedreht hat. 

Rothko, geboren 1903 als Markus Rothkowitz im heutigen Lettland, war zwar ein äußerst berühmter Künstler, aber ein sehr scheuer Mensch, der sich höchst selten fotografieren oder gar filmen ließ. Deshalb stellt das Porträt seinen Protagonisten vor allem anhand seiner Tagebucheinträge und seiner Werke vor, die heute noch Millionen Menschen in Andacht und Ehrfurcht versetzen. 

Bis Rothko zu seinen Farbfeldkompositionen fand, für die er heute bekannt ist, brauchte es viele Zwischenstufen, "vielleicht ein ganzes Leben", wie der Maler selbst sagte. Einflussreich waren auch die europäische Kunst der Renaissance und Rothkos Auseinandersetzung mit Spiritualität, die schließlich in seiner Ausstattung für eine private Kathedrale in Houston, Texas kulminierte. 

Pascale Bouhénic zeigt neben Archivmaterial auch neue Interviews mit Rothkos Sohn Christopher und der Restauratorin Carol Mancusi-Ungaro. Diese versucht die Rezeptur zu entschlüsseln, mit der der Maler seine selbstgemischten Farben zum Strahlen brachte. Bei seiner Technik vertraute Rothko sein ganzes Leben lang auf seine Intuition, er schrieb nie eine Anleitung zum Anrühren der Pigmente auf. 

"Mark Rothko - Bilder müssen geheimnisvoll sein", Arte-Mediathek, bis 3. November, TV-Ausstrahlung am 12. November um 16.45 Uhr

Maler Mark Rothko
Foto: © 1998 Kate Rothko Prizel & Christopher Rothko

Maler Mark Rothko 


Wie ein Plastikstuhl die Weltherrschaft übernahm

Dokumentarfilmer Hauke Wendler hat dem Monobloc, dem wohl bekanntesten Plastikstuhl der Welt, einen großen Auftritt auf der Leinwand beschert. In einem mobilen Studio befragt er für seinen Film, der nun auf 3-Sat zu sehen ist, unter anderem deutsche Normalverbraucher über ihre Erfahrungen mit dem unscheinbaren Lebensbegleiter. Das Urteil fällt erwartungsgemäß vernichtend aus: Der Stuhl, der bereits in den 1970ern entwickelt wurde, sei nicht nur unbequem, instabil und hässlich, sondern auch kulturlos und unökologisch.

Wie kommt es aber, fragte sich der Grimme-Preisträger, dass ausgerechnet diese Design-Verirrung mit einer geschätzten Milliarde verkaufter Exemplare zum erfolgreichsten Sitzobjekt der Welt aufsteigen konnte? Auf seiner zunächst humorig angelegten Recherche hat er in türkischen Fußballstadien, thailändischen Imbissbuden und selbst auf den Folterbildern von Abu Ghraib die Einsatzmöglichkeiten seines Protagonisten studiert, um schließlich überrascht festzustellen, dass der Stuhl in Entwicklungs- und Schwellenländern als Wertgegenstand gilt.

Man flickt und hält ihn dort so lange mit Klebebändern zusammen, bis sich wie in Uganda nur noch die Sitzfläche verwerten lässt, etwa als Bestandteil eines selbst montierten Rollstuhls. In Mexiko verflüssigt man das Polypropylen zurück zum Erdöl, um dieses wieder neu bearbeiten zu können, und in Indien geht es wegen des Rohstoffmangels bei einem großen Teil der Bevölkerung schlicht darum, ob jemand an einem Tisch und nicht auf dem Boden Platz nehmen kann. In diesen Mangel-Kulturen scheinen die Menschen stolz auf ihrem Monobloc zu thronen. Auf die Idee, ein ästhetisches Urteil zu fällen, kommen sie nicht.

Aber entlastet das der Armut geschuldete Recyceln eines demokratischen, weil billigen "Volksstuhls" die Ökobilanz eines Materials, das sich im Meer in tödliches Mikroplastik verwandelt? Und rechtfertigt es die fünf Kontinente umfassende Erdumrundung eines deutschen Filmteams? Für Wendler sind diese aus der nördlichen Hemisphäre kommenden Fragen am Ende seiner acht Jahre langen Reise ein Luxus-Problem. Der Monobloc ist für ihn weder böse noch ein Segen, sondern ein Symbol für Ungleichheit, fehlende Teilhabe und letztlich unterschiedliche Geschwindigkeiten, mit denen sich der Globus auf den gemeinsamen Abgrund zubewegt.                                                                                    

"Monobloc - Auf der Spur des meistverkauften Möbelstücks aller Zeiten", 3sat-Mediathek, bis 3. Dezember

"Monobloc", Filmstill
Foto: Edition Salzgeber

"Monobloc", Filmstill


Der Kibbuz Be’eri - ein Ort, den es nicht mehr gibt

Mit einer Videoarbeit über den beim Terror-Angriff der Hamas auf Israel verwüsteten Kibbuz Beeri will das Jüdische Museum Berlin Trauer und Verbundenheit mit den Opfern zeigen. Der 2014 entstandene, zehnminütige Film "Rehearsing the Spectacle of Spectres" (Proben für das Spektakel der Geister) der in Berlin lebenden israelischen Künstler Nir Evron und Omer Krieger wird bis zum 10. Dezember gezeigt und zudem online gestellt.

Das Video befasst sich mit dem Gedanken des Kollektiven des 1946 gegründeten Kibbuz - also einer jener ländlichen Siedlungen mit kollektiver Wirtschaft und Lebensweise in Israel. Kameraaufnahmen von Außen- und Innenräumen des Kibbuz zeigen öffentliche Versammlungsstätten, die dem Kollektiven einen Raum geben. Dazwischen sind Bewohnerinnen und Bewohner in Porträtaufnahmen zu sehen, die teilweise mehrfach überblendet das Gedicht rezitieren. Textzeilen und Video drehen sich um Wehmut über das angestrebte, aber nicht immer erreichte harmonische Miteinander.

"Wir wollten auf die Situation mit den Mitteln eines Museums reagieren", sagt Direktorin Hetty Berg. Die Videoarbeit biete einen Raum zum Innehalten und für Reflexion. "Gleichzeitig wollen wir dem Terror und den Morden etwas entgegensetzen: Wir zeigen das Leben in Kibbuz Beeri, bevor es zerstört worden ist, ein Kibbuz, in dem Kunst geschaffen wurde. Wir wollen die Erinnerung an das Leben dort vor dem Angriff bewahren." Wie das Museum mitteilte ist einer der Protagonisten, Hagay Avni, "im Kampf gegen die Hamas gefallen". 

"Rehearsing the Spectacle of Spectres", Jüdisches Museum Berlin, online

Nir Evron, Omer Krieger "בחזרה על מחזה החזיונות (Rehearsing the Spectacle of Spectres)", 2014, Filmstill
Foto: Courtesy Jüdisches Museum, Berlin

Nir Evron, Omer Krieger "בחזרה על מחזה החזיונות (Rehearsing the Spectacle of Spectres)", 2014, Filmstill


Kunstvoller Blutdurst

In der Tradition der Vampirfilme sind junge Frauen meist die Opfer, denen spitze Zähne in makellose Hälse gerammt werden und die (von Männern) vor den Nachtmonstern gerettet werden müssen. Die iranisch-US-amerikanische Regisseurin Ana Lily Amirpour hat diesen Topos virtuos umgedreht und lässt in "A Girl Walks Home Alone At Night" eine geheimnisvolle Vampirin im Tschaddor ihr Unwesen in der fiktiven Stadt "Bad City" treiben. Besonders abgesehen hat sie es auf Männer, die Frauen schlecht behandeln.

Amirpour verwebt in dem Film bekannte Anleihen aus der US-amerikanischen Kinogeschichte mit Elementen persischer Kultur (alle Charaktere sprechen Farsi, das Team bestand vor allem aus Exil-Iranerinnen und -Iranern). Mit seiner expressiven Schwarz-Weiß-Ästhetik und einem sphärisch-düsteren Soundtrack entfaltet "A Girl Walks Home Alone At Night" einen Sog, der an "Sin City" erinnert, aber etwas ganz eigenes erschafft.

Wer danach noch nicht genug von Vampirfilmen hat, findet bei Mubi gerade auch noch die Klassiker "Nosferatu" von F.W. Murnau (1922) und "Only Lovers Left Alive" von Jim Jarmusch (2013). 

"A Girl Walks Home Alone At Night", auf Mubi

"A Girl Walks Home Alone At Night", Filmstill, 2014
Foto: Capelight

"A Girl Walks Home Alone At Night", Filmstill, 2014


Ein Künstler, der mit Stoff arbeitet

Wäre Azzedine Alaïa (1935 - 2017) nicht Modeschöpfer geworden, dann sicherlich Bildhauer. Seine Entwürfe sind eine Symbiose aus Körper und Stoff, die zusammen perfekte, menschliche Skulpturen ergeben. Die Arte-Dokumentation "Wie eine zweite Haut. Die Mode des Azzedine Alaïa" zeigt die künstlerische Arbeit des tunesisch-französischen Designers und zeichnet seine Erfolgslaufbahn nach. Von den Anfängen als Privatschneider für die Pariser Damen der haute volée, bis hin zur Zusammenarbeit mit Mugler und Prada. Dabei wird klar: Alaïa war keiner der typischen Star-Designer. Er war ein Künstler, der mit Stoff und dem menschlichen Körper arbeitete. 

Azzedine Alaïa schuf Mode für Frauen. Heute würde man seine Zielgruppe als nicht sehr divers beschreiben – die meisten seiner Modelle waren groß, schlank und wunderschön. Trotzdem war seine Motivation keine ausschließende, das betont er in zahlreichen Interviews, die er im Laufe seiner Karriere gegeben hat. Dort sagt er, dass es ihm darum gehe, den weiblichen Körper zu feiern. Ihn zu betonen statt zu verstecken.

Dazu passen seine legendären enganliegenden Kleider, die als "zweite Haut" sowohl sexy als auch elegant wirken. In den eingespielten O-Tönen erinnert sich Alaïa, dass ihn vor allem sein Heimatland Tunesien inspiriert habe. Etwa die Nonnen in Tunis. Die Kopftuchkleider, mit denen er weltberühmt wurde, seien von der Kleidung dieser religiösen Schwestern beeinflusst worden.

Das Beste in der Arte-Doku sind aber die Originalaufnahmen aus Alaïas Schaffenszeit. Etwa Videos von Modeschauen. Die veranstaltete der Designer nämlich gern einfach bei sich im Studio. Auf den Aufnahmen sieht man Models in raffinierten Ledermänteln, die sich an den dicht sitzenden Zuschauenden vorbeizwängen, während das Parkett hörbar unter ihren Füßen knarzt. Musik brauchte Alaïa nicht. 

Diese Aufnahmen wirken heute sehr intim. Die Arte-Dokumentation verfestigt den Eindruck, dass Azzedine Alaïa ein zurückhaltender, aber genialer Gestalter war, den man ohne Zweifel als Künstler bezeichnen kann. 

"Wie eine zweite Haut: Die Mode des Azzedine Alaïa", Arte-Mediathek, bis 23. November

"Wie eine zweite Haut: Die Mode des Azzedine Alaïa", Filmstill
Foto: Arte

"Wie eine zweite Haut: Die Mode des Azzedine Alaïa", Filmstill


Was soll man von malenden Wunderkindern halten?

Ein zehnjähriger Junge mit langen fliegenden Haaren fährt auf einem Roller schwungvoll in einen Ausstellungsraum. Diese Szene wäre sonst wohl eher ein Grund für Schnappatmung: Wertvolle Kunst und sportliche Kinder passen meist nicht allzugut zusammen. Doch hier sind es die Bilder des Jungen selbst, die an den Wänden hängen. "Mein Name ist Mikail Akar und ich bin Künstler", sagt er selbstbewusst in die Kamera.

Akar ist eines von mehreren "malenden Wunderkindern", die seit frühester Kindheit als "Mini-Picassos" vermarktet werden und bereits im Taschengeld-Alter auf dem Kunstmarkt präsent sind. Das Phänomen gibt es schon seit Jahrzehnten, doch seit alle Eltern die Werke ihrer Sprösslinge auf Social Media präsentieren können, hat sich der Hype um Kinderkünstler noch verstärkt. So wird Mikail Akar von seinem Vater gemanaged seit er vier ist - und hat bereits lukrative Ausstellungen und Werbe-Kooperationen in seinem Portfolio. 

Auch die neunjährige Isabel Lacey und ihr zweijähriger Bruder Milo aus Ostengland werden von ihren Eltern als Wunderkinder gefördert und gefordert, der ganze Alltag der Familie dreht sich ums Malen. Ein Dokumentarfilm von Isabell Roempke fragt, ob hinter dem großen Interesse an solchen Kinderkünstlern tatsächlich eine Würdigung von Talent oder eher ein schnelllebiger Hype steckt, der den kleinen Künstlerseelen schadet. Und der spätestens dann endet, wenn die Kinder zu alt für Sensationsmeldungen sind.

Der Film geht respektvoll mit seinen Protagonisten um und lässt sowohl die kleinen Stars als auch ihre Eltern zu Wort kommen - die irritierend oft betonen, dass der Wille zum Ruhm allein vom Nachwuchs komme. Erhellend ist außerdem die Frage, wer eigentlich beurteilt, wo gute Kunst beginnt und wann kindliche Neugier und Spaß am Gestalten in eine Lebensbestimmung umschlagen. Dazu spricht unter anderem die Künstlerin Valérie Favre, die als Professorin ständig Talent beurteilen muss. Außerdem erzählt ein Kunststudent, wie wichtig es ist, sich langsam und ohne Druck an seinen eigenen Stil heranzutasten. Und wie schwer es ist, wieder so unbefangen zu malen wie ein Kind. 

"Wunderkinder - Mini-Picassos: Talent oder Hype?", ZDF-Mediathek, bis 2028

Die Kinderkünstler Mikaik Akar (rechts) und Isabel Lacey
Foto: Courtesy 3 Sat

Die Kinderkünstler Mikaik Akar (rechts) und Isabel Lacey


FKA Twigs wird zum Mode-Kunstwerk 

Klassische Skulpturen, defilierende Models und durchtrainierte Tänzerinnen haben eines gemeinsam: Ihr Ausdrucksmittel ist ihr Körper. Bei der jüngsten Pariser Fashion Week im Oktober brachte das Luxuslabel Valentino alle diese Inszenierungen zusammen und lud die britische Musikerin und Akrobatin FKA Twigs zu seiner Modenschau ein. 

Im imposant ausstaffierten Hof der Kunsthochschule Beaux-Arts performt sie mit einer Gruppe Tänzerinnen zwischen den unbeweglichen Statuen und bespielt eine sockelartige Bühne, die mit Sand gefüllt ist. In ihren minimalistischen hautfarbenen Outfits erinnert die Gruppe ein wenig an eine der Körper-Performances von Vanessa Beecroft, an der die Models unbeeindruckt vorbeistolzieren. Die fließenden, ätherischen Bewegungen verleihen den altehrwürdigen Mauern der Akademie etwas Leichtes. Es fällt nur zunehmend schwer, sich bei allem Gewusel auch noch auf die Kleider zu konzentrieren.

Valentino École x FKA Twigs, auf Youtube

Performance von FKA Twigs bei der Valentino Schau in Paris, Oktober 2023
Foto: Valentino / Screenshot via Youtube

Performance von FKA Twigs bei der Valentino Schau in Paris, Oktober 2023


Vom Kunst-Witz zur Pop-Art-Legende

Ein Ölbild mit Comic-Motiv! Das ging Anfang der 1960er selbst den an Crossover gewöhnten US-Amerikanern zu weit. Roy Lichtenstein, der zuvor abstrakt-expressionistische Bilder gemalt hatte, übernahm eine Szene von einem Kaugummibild aus dem Besitz seines Sohnes, auf dem Mickey Mouse und Donald Duck beim Angeln zu sehen sind. Die Öffentlichkeit fand das Motiv weder witzig noch originell noch schön. Es wirkte lieblos und in groben Strichen hingepinselt, mit einem grellen Farbklang aus Gelb, Blau und Rot. "Is he the worst artist in the U.S.?", giftete das Magazin "Life".0

Heute, genau 100 Jahre nach Lichtensteins Geburt, gehört der Maler zu den berühmtesten Vertretern der Pop Art, jener so plakativen wie augenöffnenden Kunstrichtung, die alle Bilder unserer konsumgeprägten Welt zu Hochkultur adelten beziehungsweise die traditionelle Unterscheidung zwischen high und low ganz abschaffen wollte. Der neue Film "Roy Lichtenstein - Wie Pop-Art die Kunst revolutionierte" zeichnet die Laufbahn des gebürtigen New Yorkers nach und begibt sich auf die Suche nach dem Einfluss der Comic-Gemälde auf den heutigen Kunstbetrieb. 

Diesen Nachhall findet der Regisseur Christian Bettges zum Beispiel bei Jeff Koons, der ebenfalls die Ästhetik von Werbung und Massenkultur in seinen Werken benutzt. Außerdem kommen Museumsdirektoren, eine Galeristin und ein Auktionator zu Wort, die heute mit Lichtensteins Werken zu tun haben. Und auch bei Comiczeichnerinnen fragt der Film nach, wie der Mann, der die kleinen bunten Bildchen zu monumentalen Gemälden aufblies, eigentlich in der Szene ankommt, von der er sich inspirieren ließ. 

"Roy Lichtenstein - Wie Pop-Art die Kunst revolutionierte", Arte-Mediathek, bis 24. Januar 2024

Ein Erbe von Roy Lichtenstein? Der US-Künstler Jeff Koons
Foto: Courtesy Arte

Ein Erbe von Roy Lichtenstein? Der US-Künstler Jeff Koons

 

Die Ohnmacht des Künstlers

Der chilenische Regisseur Sebastián Silva mag ätzenden Humor auf Kosten von selbstverliebten, überambitionierten und egoistischen Figuren. In "La Nana" (2009) war das zum Beispiel eine argwöhnische Haushälterin, in dem Roadmovie "Crystal Fairy" (2013) ein Gringo auf Selbstverwirklichungstrip in Südamerika und in seinem neuen Film "Rotting in the Sun" ein depressiver Regisseur namens Sebastián Silva. Silva spielt sich selbst als desillusionierten Mid-Career-Künstler, der als Maler reüssieren will, aber schon insgeheim weiß, dass er damit in einer Sackgasse gelandet ist. Er betäubt sich mit Ketamin, schlägt seinen Hund und behandelt seine Haushaltshilfe Vero schlecht. 

Um auf andere Gedanken zu kommen, fährt er in ein schwules FKK-Ressort, wo er den Influencer Jordan Firstman kennenlernt (auch diese Figur wird gespielt von einer real existierenden Person gleichen Namens). Der ein bisschen tumbe Hedonist ist begeistert von Silvas Arbeit als Regisseur und überredet ihn zu einem gemeinsamen Projekt. Doch als er ihn in Mexiko-Stadt besuchen will, ist Silva verschwunden -  der Influencer verdächtigt Vero, ihn beseitigt zu haben. 

Der 44-jährige Sebastián Silva stellt das Künstlerdasein als etwas Abgehobenes vor, das in seiner zynischen Oberflächlichkeit nur noch von Social-Media-Ruhm übertroffen wird. Dumme Zufälle, nicht Gestaltungswille, bestimmen das Leben, so die Botschaft. "Rotting in the Sun" ist dabei selbst gar nicht zynisch, dafür wahrhaftig, makaber und ganz schön lustig.

"Rotting in the Sun", Mubi

"Rotting In The Sun", 2023
Foto: Courtesy Mubi

"Rotting In The Sun", 2023

 

Die Modewelt des William Fan

Spricht man über deutsches Modedesign, kommen einem meist zuerst große Namen wie Karl Lagerfeld, Jil Sander oder Tomas Maier in den Sinn. Doch die hiesige Szene hat noch mehr bedeutende Persönlichkeiten hervorgebracht, die für einen Wandel hin zu Diversität und Nachhaltigkeit in der Fashion-Branche stehen. 

Ein Dokumentarfilm, der nun in der SWR-Mediathek zu sehen ist, begleitet den deutsch-chinesischen Designer William Fan durch Arbeit und Alltag. Die Betrachtenden lernen nicht nur die Hauptfigur durch Interviews kennen, sondern auch seine Mitarbeitenden, Freunde, sowie seine Eltern. Außerdem gibt es Eindrücke von Shootings und Events, der Arbeit an Kollektionen, sorgfältig inszenierte Bilder von beeindruckenden Modenschauen, aber auch ganz private Momente des Wahlberliners. Fan selbst wirkt dabei, anders als einige andere Größen der Modewelt, erfrischend nahbar. Er steht in engem Kontakt zu Mitarbeitenden und Produzentinnen, zwischenmenschliche Begegnungen scheinen auf Augenhöhe. 

Sein Schaffen zeichnet sich durch die Verschmelzung von Kulturen aus. Als Kind von Immigranten versucht er die schönen Aspekte der Kultur seiner Eltern – die hohe chinesische Textilkunst und Handarbeit – in seine Kollektionen einzubinden. Von der Überproduktion, Ausbeutung und Verschmutzung der Umwelt durch die Modebranche distanziert er sich jedoch entschieden. Die Materialien seiner Designs sind abgekaufte Reste aus der Industrie, die Größen seiner Kleidung reichen von XXXS bis XXXL und sind unisex. Mit Ruhe und Souveränität versucht er, Strukturen in der Modebranche neu zu denken und scheut dabei keine Kritik an vorhandenen Umständen. Er selbst entsprach schon als Kind nicht der Norm und provoziert bis heute durch das Hinterfragen erlernter Geschlechterrollen.

In seinen Kollektionen wird der Ausdruck von Identität durch Mode gefeiert. Doch der Film ist nicht nur eine Ode an einen aufregenden Designer – er spiegelt aktuelle gesellschaftliche Konflikte, auch außerhalb der Modewelt, und lässt hoffen, dass ein Umschwung ins Rollen kommt.

"William Fan – In Between", SWR-Mediathek, bis 14. Juli

William Fan porträtiert in ''The Art of Value''
Foto: Janine Sametzky

Designer William Fan


Wie entsteht Kunst und was kostet sie?

Der Filmemacher Felix von Boehm und die Monopol-Redakteurin Silke Hohmann sind der Frage nachgegangen, wie Kunst entsteht. Was geschieht, bis ein Kunstwerk in der Welt ist? In einer vierteiligen Dokumentation besuchen sie drei Künstlerinnen und Künstler in ihren Ateliers, bei Ausstellungen, sie sprechen mit Kuratorinnen, Galeristen und Händlern, begleiten die Fertigstellung der Werke und verfolgen, wie sie schließlich am Markt platziert werden. 

Die Reise beginnt in den Künstlerstudios. Am Anfang steht die Zeichnung, das gilt für die Porträts des Malers Amoako Boafo aus Ghana genau wie für die konzeptuellen Außenskulpturen aus Alicja Kwades Atelier, das einem Unternehmen gleicht. Und auch Anne Imhof formuliert die Themen ihrer groß orchestrierten Performances zunächst als Zeichnung. Während der Dreharbeiten bereitet sie ihre große Ausstellung im Pariser Palais de Tokyo vor. Das prozesshafte Arbeiten mit ihrem Team, ihre radikale Erweiterung des Kunstbegriffs und das nicht käufliche Erlebnis ihrer Arbeit, stellen hier die Frage nach Kunst als Handelsware ganz konkret. Eine Serie über den Preis der Kunst, über ihren Wert und darüber, was Kunst eigentlich ist.

Mehr zu "Ist das Kunst?" lesen Sie hier.

"Ist das Kunst?", Arte-Mediathek, bis 19. Januar 2024

Alicja Kwade und Silke  Hohmann im Gespräch, Desert  X, Kalifornien
Foto: Lupa Film GmbH/ Maya Craig

Alicja Kwade und Silke Hohmann im Gespräch, Desert X, Kalifornien

 

Kunst in der ökologischen Krise

Bis zum 18. Januar zeigt C/O Berlin die Ausstellung "Image Ecology", in der Fotoschaffende Ursachenforschung im Zusammenhang mit der ökologischen Krise betreiben – und auch ihr Medium selbst einer kritischen Revision unterziehen. Denn Fotografie verbraucht Energie und Ressourcen, ist somit Teil der Umweltkrise.

Passend zur Ausstellung läuft nun auf der Streamingplattform Mubi ein Filmprogramm, das in Zusammenarbeit mit dem Ausstellungshaus für visuelle Medien zusammengestellt wurde.

Kelly Reichardts Spielfilm "Night Moves" (2013) erzählt von einem Aktivistentrio, das aufgrund einer schief gelaufenen Aktion in die private Katastrophe schlittert. Céline Devaux’ Liebeskomödie "Everybody Loves Jeanne" (2022) lässt zwei rivalisierende Perspektiven auf den Weltzustand aufeinanderprallen. Der Essayfilm "Invisible Demons" (2012) von Rahul Jain präsentiert ein verschmutztes Delhi aus der Vogelperspektive, während Deniz Tortum und Kathryn Hamilton in ihrem Kurzfilm "Our Ark" (2021) mit einem digitalen Archiv irdischer Kreaturen eine Utopie entwerfen. 

Katalogisierung ist auch ein zentrales Thema in Jacquelyn Mills’ "Geographies of Solitude" (2022), dem Porträt der zur Biodiversität auf einer einsamen Atlantikinsel forschenden Naturschützerin Zoe Lucas. Mills experimentiert darin auch mit dem Filmmaterial – wie auch Ana Vaz in dem Dokumentarfilm "It Is Night in America" (2022), der von bedrohter Flora und Fauna in Brasília handelt.

"Naturgewalten: Image Ecology", auf Mubi

"Our Ark", Filmstill
Foto: Courtesy C/O Berlin und Mubi

"Our Ark", Filmstill