Vienna Gallery Weekend: Galeristin Thoman über die Kunstszene Wien

"Wir leiden unter einem Mangel an Rezeption"

In Wien steht das Gallery Weekend an. Galeristin Elisabeth Thoman über die Stärken und Defizite der Kunststadt

Frau Thoman, wodurch unterscheidet sich die Kunstszene in Wien von anderen Kunstmetropolen?
Wir verfügen in Wien zweifellos über eine außerordentliche Vielfalt an Räumen, die sich mit zeitgenössischer Kunst befassen. Über die letzten Jahre hat sich die institutionelle, museale Situation entwickelt und es wird Unterschiedliches reflektiert. Auch die Galerienszene in Wien ist in den letzten Jahren stärker geworden: Neben den großen, wichtigen Galerien gibt es genauso junge, engagierte Galerien mit oftmals kleineren Räumen. Darüber hinaus gibt es ein extrem interessantes Offspace-Potential. In Wien gibt es viele Künstler, Kunstschaffende, Kuratoren und andere Kunstinteressierte, die sich in einer ziemlich vielfältigen und trotzdem professionellen Art und Weise mit Kunst auseinandersetzen.

Gibt es auch etwas, das fehlt?
Ich glaube, dass das Visuelle in Wien ganz toll bedient wird. Mich beschäftigt jedoch schon seit einigen Jahren, spätestens seitdem wir 2011 in Wien unseren zweiten Standort eröffnet haben, dass wir unter einem unglaublichen Mangel an Rezeption leiden.

Inwiefern?
Es gibt einen ungeheuren Mangel an Ausstellungsbesprechungen und Ausstellungskritiken. Ich spreche hier also nicht von der diskursiven Auseinandersetzung, die natürlich in den Institutionen stattfindet. Durch die Arbeit der Institutionen, der Galerien und der Offspaces entsteht eine Menge Kunst, die ohne die Leistungen all dieser Beteiligten nicht in dem Ausmaß entstehen könnte. Es ist äußerst bedauerlich und geradezu skandalös, dass es keine entsprechende Szene gibt, die diese Arbeit wahrnimmt und reflektiert. Jede Ausstellungsfläche in der Stadt und auch die drei universitären Ausbildungen für Künstler kosten Geld und es wird viel investiert. Das ist ein Teil der Wirtschaft! Und trotzdem ist die Reflexion dessen einfach viel zu gering. Natürlich weiß ich, dass es damit zusammenhängt, dass die Schreibenden ihrerseits nicht oder kaum entlohnt werden. Aber müssen wir uns darum auch noch kümmern? Ich möchte gerne stimulieren und vielleicht gibt es ja Menschen, die diesen Stimulus aufnehmen wollen. Zwar will ich jetzt keine Parameter dafür vorlegen, aber es sollte wieder ein aktiver Teil des Kunstlebens werden. Nicht im Sinne einer diskursiven Wahrnehmung von Kunst, sondern in Form klassischer Ausstellungsbesprechungen: von rein deskriptiven Wahrnehmungen bis hin zu vertiefenden, kunsthistorischen Exposés, welche die Kunst auch in der Kunstgeschichte verorten.

Welche Kriterien haben Sie für eine Gallery-Weekend-Ausstellung formuliert?
Wien bietet mehrere Ankerpunkte, an denen man Programme festmachen kann, um mehr Aufmerksamkeit zu generieren. Vielleicht sind es auch zu viele. Über das Jahr hinweg werden durch unterschiedliche Betreiber und Initiatoren verschiedene Schwerpunkte in der bildenden Kunst gesetzt. Vielleicht muss eine stärkere Fokussierung auf einen oder maximal zwei Termine angestrebt werden. Die Vermehrung der Messen mit gleichen oder ähnlichen Namen ist auch nicht zuträglich, um ein Publikum informiert zu halten und zusammenzuführen. Die Chance, dass viele Besucher und auch Nicht-Wiener herkommen, ist beim Gallery Weekend stärker gegeben als zu einer anderen Zeit. Unsere Ausstellung ist daher wirklich speziell für den Termin des Gallery Weekends gedacht.

Was würden Sie als die Qualitäten des Gallery Weekends aus Sicht der Galerie bezeichnen?
Es ist wichtig, als Plattform gemeinsam mit den wichtigsten Galerien der Stadt auch wirklich gemeinsam aufzutreten. Das betont eine Stärke, die in Wien grundsätzlich vorhanden ist. Durch ein gemeinsames Budget gelingt es auch, gemeinsam Einladungen an Sammler und den ein oder anderen Kurator auszusprechen. Neben einem Rahmenprogramm wird es auch ein Get-together und dadurch einen sozialen Aspekt geben. Es ist mit Sicherheit attraktiv für Kuratoren aus anderen Städte, zu einer gebündelten Zeit ganz unterschiedliche Perspektiven wahrnehmen zu können. Auch die Museen haben einige wichtigen Präsentationen und Ausstellungen. Es kann also durchaus ein Hotspot werden.

Beim Gallery Weekend gibt es kaum Absprachen zwischen den Galerien was das Programm angeht.
Wir haben so ein vielfältiges Galerienprogramm, dass ich es nicht für sinnvoll halte Parameter zu erteilen. Das könnte eher eine Einschränkung sein.

Worin liegen die Ursachen, dass Wien bei weitem nicht an die Popularität des Berliner Gallery Weekends anknüpfen kann?
Es ist unbestreitbar, dass wir einen relativ kleinen Kuchen hochkarätig mit sehr vielen Spielern zu teilen haben. Konkurrenz ist da auch innerhalb Gleichgesinnter, die was gemeinsames wollen, nicht auszuschließen.

Wäre es durch eine engere Zusammenarbeit möglich, Wien international noch besser zu positionieren?
Absolut. Es bedarf gemeinsamer Ziele und gemeinsamer Diskussion. Die etwa zehn bis 15 Galerien, die man vielleicht als die österreichisch etablierten Galerien bezeichnen kann, arbeiten seit vielen Jahren. Vielleicht würde es Sinn machen, wenn man sich gegenseitig "mitnimmt". Das wäre ein Erfolgsrezept, dass alle weiterbringen würde.

Das wäre auch ein Weg, um Wien als Standort international zu stärken.
Natürlich! Wien hat einen Ruf, dass es in allen Branchen schwieriger ist, und offensichtlich ist es da bei den Galerien nicht anders.

Mit "Destination Wien Extended" hat die Kunsthalle Wien bewusst versucht, Dialoge zwischen Institutionen, Galerien, Offspaces und Vereinen zu eröffnen. Dialoge, die auch im Rahmen des Gallery Weekends als Panels fortgeführt werden. Wie beurteilen Sie diese Initiative der Kunsthalle Wien?
Ich habe die Initiative, als sie lanciert wurde, sehr geschätzt. Es ist eine sehr offensive Art und Weise gewesen, die Szene zusammenzubinden und fokussieren. In der Umsetzung ist dieser Weitblick allerdings zu weit geworden. So haben die Teilnehmer des Kuratorenkongresses in ihrer Kongressmappe nicht einmal einen Galerienplan vorgefunden. Auch gab es keinerlei Erklärung darüber, dass "Destination Wien Extended" eben die Galerien und Offspaces beinhaltet.

Wie beurteilen Sie derzeit die Situation allgemein für Galerien am Markt? Der Auktionsmarkt wird immer stärker, auch der Verkauf über die diverse Internetplattformen wie Artsy.
Das ist sicherlich eine Entwicklung, die Galerien auch in der Arbeit stärker zusammenführen sollte. Denn Wien ist ein Standort wie viele andere und unterscheidet sich nicht wirklich von den Problemen, die in anderen Metropolen wie Berlin oder London herrschen. Der Kunstmarkt ist wie eine Pyramide konzipiert. Das, was der nicht involvierte Betrachter als überbordenden Kunstmarkt wahrnimmt, findet tatsächlich nur in der obersten Spitze dieser Pyramide statt. Das Budget, das dort verwendet wird, ist zu einem sehr großen Bestandteil auch ein Budget, das sich nicht dezidiert mit Kunst auseinandersetzt. Das ist Geld, das irgendwo einen Anker finden will, weil es ohnehin genug Geld gibt. Die großen und international wichtigen Galerie haben ihre Strategien neu ausgerichtet, um eben in diese Umsatzkategorie der oberen Spitze zu gelangen. Das bedeutet auch, dass sie vermehrt wie mit einem Rechen über die Arbeit des breiten Blocks der mittleren Galerien gehen und das abschöpfen, was Umsatzchancen hat. Viele solide arbeitende Galerien verlieren dadurch ihre profilierten Künstler - oft ohne irgendeinen Ersatz ihrer Leistungen. Auch mit weniger teuren Kunstwerken ist es heute schwer Umsätze zu erzielen. Im Gegenteil: Ich verkaufe etwas um 100.000 Euro leichter als eine Arbeit für 15.000 Wuro. Das ist eine große Problematik, die da auf uns zukommt. Es wäre eigentlich eine ungeheuer wichtige Aufgabe, hier Maßnahmen zu treffen, die die Community auf allen Ebenen auch in der Ökonomie hält. Zug um Zug fallen Teilnehmer weg, weil man einfach nicht mehr von einer Galerien leben kann.

Sind Sie selbst bereits von dieser Situation betroffen?
Nein, wir sehen uns noch nicht dieser Situation. Doch natürlich bemerken wir, dass die Umsätze sich verändern. Allerdings ist der Vergleich für uns persönlich eher schwierig, weil wir zeitgleich in den letzten Jahren als Unternehmen überhaupt gewachsen sind. Wir sind ja eine "alte" Galerie, existieren seit 1977. Von Anbeginn unserer Galerietätigkeit haben wir die Strategie verfolgt, aus den Ausstellungen unserer Künstler und Künstlerinnen anzukaufen. Das hat die Situation damals erlaubt, und das erlaubt sie hoffentlich auch in Zukunft. Wir geben das nicht auf. Das bedeutet für uns, dass wir einen sehr guten Stock an Arbeiten haben, Reserven, aus denen wir Umsätze erzielen können. Trotzdem wäre es natürlich besser und wünschenswert, man könnte weiter nur stringent voranarbeiten, statt permanent aus dem frischen neuen Potential an Kunst zu verkaufen.