„Sie gab Hass, Eifersucht, Sexualität eine Form“

Deborah Wye, Sie waren eng mit Louise Bourgeois befreundet, seitdem Sie 1982 ihre erste große Retrospektive am Museum of Modern Art in New York organisierten. Was hat die Kunstszene nun verloren?
Eine sehr originelle Stimme. Sie war einmalig. Immer blieb sie fest auf ihrem sehr eigenen Weg. So wurde sie auch zum Vorbild für andere: ihre Beharrlichkeit, in sich selbst hineinzuschauen und auch durchzuhalten. Für viele Künstler ist es schwer, Anerkennung für ihre Arbeit zu bekommen, und auch für sie war das sehr schwer. Aber sie hat weitergemacht und am Ende damit Erfolg gehabt.

Louise Bourgeois hatte seit den 40er-Jahren Kunst geschaffen, aber lange kaum etwas verkauft, sie war nur Eingeweihten bekannt. Warum konnte sie sich erst in den 80er-Jahren durchsetzen?
Ihr Werk entsprach lange einfach nicht den Normen der vorherrschenden Kritik. Die dominante Richtung war Abstraktion, auch die ironische Pop-Art entsprach nicht dem, was sie machte. Ihr Werk war immer sehr persönlich, es handelte von menschlichen Gefühlen. Das hat sich letztlich über die Jahrzehnte nie geändert: Sie arbeitete immer an denselben Themen, sie gab Hass, Eifersucht, Sexualität eine Form. Aber erst in den 70er-Jahren begann die Kunstwelt, sich für diese Konzepte zu öffnen. Hier, in New York, wurde sie eine Art Undergroundheldin. Nach der großen MoMARetrospektive, sie war da schon 70 Jahre alt, war es, als wäre sie ein Newcomer. Ich war sehr froh, dass sie danach noch lange genug lebte, um noch ein riesiges OEuvre zu schaffen.

Auch für Sie selbst war die Louise-Bourgeois-Retrospektive von 1982 die erste große Schau, die Sie kuratierten.
Ja, sie hat mich komplett verändert, beziehungsweise die Begegnung mit ihrem Werk. Als ich in den 70er-Jahren zum ersten Mal in Galerieausstellungen ihre Sachen sah, kannte ich sie nicht, aber die Arbeiten sprachen mit einer ganz besonderen Kraft zu mir. Ich war gewohnt, Kunstwerke vor allem aus formaler Perspektive zu analysieren. Hier ging es um etwas ganz anderes. Als ich dann begann, mit ihr über das Werk zu sprechen, stellte ich fest, dass ich noch nicht einmal die richtigen Fragen stellen konnte. Durch ihr Werk öffnete ich mich für neue Formen von Kunst. Außerdem wurden wir Freunde, und so hatte sie auch persönlich einen Einfluss auf mein Leben.

Welche sind die letzten Werke, die Sie von ihr gesehen haben? Eine Serie von Drucken, an denen sie bis zum letzten Moment gearbeitet hatte. Sie zeichnete auf diesen Drucken, fügte Wasserfarben hinzu, sodass sie sehr individuell und persönlich wurden. Man sieht auf den Werken, dass ihre Hand schon etwas zitterte, aber sie blieb dabei. Für mich rahmt diese Technik ihr Leben als Künstlerin ein: Schon als junge Mutter, als sie an den Haushalt gebunden war, arbeitete sie abends in der Küche an Drucken. Und am Ende ihres Lebens, als sie das Haus nicht mehr verlassen konnte, wurde das wieder ihre Technik.

Hat sie die Kunst am Leben gehalten? Ja, absolut. Manchmal war sie sehr müde und konnte nicht arbeiten, aber an anderen Tagen machte sie weiter. Ihre Beharrlichkeit hat mich sehr berührt. Jetzt tröste ich mich damit, dass sie niemals wirklich fort sein wird, denn ihr Werk wird bleiben. Ich glaube, das war es auch, was sie wollte: dass ihr Werk weiterlebt.
Interview: Elke Buhr