Performance-Festival "Testing Stage" in Berlin

Als solle die Scham ihn überleben

Franz Kafkas Verlobung mit Felice Bauer ging im Berliner Hotel Askanischer Hof in die Brüche. Das erzählt mir ein Portier des Hauses, das sich seit Kriegsende an einem anderen Ort befindet. Dort, am Kurfürstendamm, beginnt eine von Dominique Gonzalez-Foerster und Ari Benjamin Meyers entwickelte Soloperformance. Es ist Abend in Charlottenburg. Der ahnungslose Performer bin ich. Ich werde von Station zu Station geschickt, wo man mich jeweils als K18 begrüßt. Derart umgetauft, würde sich wohl jeder Kafka-Leser mit K identifizieren, dem gejagten und geplagten Protagonisten im „Process“. Den Roman begann Kafka 1913, unmittelbar nach der Trennung in Berlin, deren Umstände dem Schriftsteller wie ein „Gerichtshof“ vorkamen.

Zweite Station ist ein American Diner. Dort kriegt K18 einen Kaffee. Nichts Nennenswertes außer Restaurantbetrieb, so habe ich Zeit, die Broschüre des Hebbel am Ufer durchzugehen, die Programmpunkte des „Testing Stage“-Festivals. Performances von Keren Cytter und Phil Collins sind bereits über die HAU-Bühne gegangen, Beiträge von Nevin Aladag oder Simon Fujiwara stehen noch aus. Wie schon zur Performa 2009 in New York durchdringen sich bei Gonzalez-Foerster und Meyers verschiedene Arbeiten. Meine kleine Irrfahrt – die von Martin Scorseses filmischer New-York-Odyssee „After Hours“ inspiriert sein soll (daher das Diner) – findet parallel zu zwei weiteren Performances statt, soviel geben die Urheber preis. Ich grüble, wie „M.31“, „K.62“ und meine Solonummer „K.85“ zusammenhängen.

Was ist Performance, was Zufall?
Ein Taxi wartet schon, der Fahrer klappt sein Buch über buddhistische Meditation zu. Unterwegs unterhalten wir uns über Berlin vor der Wende und über Vegetarismus. Während der CD-Player einen Flamenco spielt, erzählt mir der Chauffeur von seinem Herzinfarkt vor drei Jahren. Was gehört zur Performance, was ist Zufall? Das ist falsch gefragt, denn das ist mein Spiel. Vermutlich wird meine Tour von Kameras gefilmt und ins Theater übertragen. Die Galerie Esther Schipper, das nächste Ziel, hätte ich früher oder später sowieso besucht. „K18“ flüstert die Mitarbeiterin nach den Vorgaben des hier gerade ausgestellten Künstlers Pierre Huyghes in den kahlen Ausstellungsraum. Den beherrschen Spinnen und Ameisen, während die nach Willen des Künstlers mit einem Grippevirus infizierte Kollegin heute abkömmlich ist.

Vom Stadtteil Schöneberg geht’s im Taxi nach Kreuzberg. Vor dem Hintereingang des HAU 2 treffe ich andere Ks. Nummer 17 verteilt Schokobohnen und berichtet vom Besuch eines Süßwarenladens sowie von ballspielenden Kindern in einem Supermarkt. K14 hat in der Stadtklause Kafkas Leibgericht genossen, Grünkohl mit Spiegelei. Dann werden wir nacheinander ins Theater geholt. Auch ich werde durch enge Flure und an Kulissen vorbei auf die Hinterbühne geführt. Eine Tür öffnet sich, dann steht K18 – wie schon geahnt –  im Rampenlicht. Ich habe Ähnliches in einem Buñuel-Film gesehen. Müder Applaus. Die meinen mich. Wenigstens muss ich keinen Text vorlesen wie K20. Dennoch werden wir Ks beneidet.

Lauter Kino-Referenzen, wenig Spannung
Auf der Aftershow-Party hinterher berichten alle, wie langweilig es war, Publikum bei „K.62“ zu sein. Statt Live-Übertragung der Odysseen informierten bloß Kreidemarkierungen über den jeweiligen Aufenthaltsort der Laien-Performer. Ein Orchester spielte einen Mozart-Satz, Dominique Gonzalez-Foerster Gitarre und die Mitspieler von „M.31“ schleppten einen Kindermörder-Darsteller auf die Bühne, der dann Peter Lorres Monolog aus dem Fritz-Lang-Film „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ sprach. Die Stimme von Orson Welles stellte die Darsteller seines „Process“-Films von 1962 vor. Lauter Kino-Referenzen, kaum Überraschungen, wenig Spannung. „Wetten, dass …“ mit seinen Saal- und Außenwetten wirkt kafkaesker. Die Idee, vom großen Plan und der individuellen Unübersichtlichkeit zu erzählen, ist auf dem Papier interessant. In New York wurde das Programm gefeiert, in Berlin hat es offenbar an Drive verloren.

Das „Testing Stage“-Festival läuft noch bis zum 1. Oktober im Hebbel am Ufer, Berlin, die
beschriebene Performance wird jedoch nicht noch einmal wiederholt. Das Progamm und weitere Informationen finden Sie in diesem Pdf-Dokument