Künstler Yoshitomo Nara im Interview

Der japanische Peter Pan

Yoshitomo Nara ist bekannt für seine naiven Motive im Stil von Kinderbuch-Illustrationen und Mangas. Im Interview spricht der Künstler über seine eigene Kindheit, seinen Weg zur Kunst und über die Einsamkeit, die er ab und zu braucht

Yoshitomo Nara erscheint zum Gespräch mit zerzaustem Haar und einem grauen T-Shirt mit Totenkopf darauf. Sein Alter merkt man dem 56-jährigen Künstler nicht an. Er wirkt jugendlich, sein Lächeln ist zugleich schüchtern und verschmitzt, seine Stimme angenehm warm.

Naras neue Papierarbeiten und Gemälde sind noch bis zum 31. Oktober in der Galerie Johnen in Berlin zu sehen. Fast alle Werke, die zwischen 40.000 Euro und 300.000 Euro liegen, sind bereits vor der Eröffnung verkauft. Das ist nicht verwunderlich, denn laut artprice erreichen seine Arbeiten innerhalb 12 Jahren eine stabile Wertsteigerung von 39 Prozent, Tendenz nach oben. Ende Mai dieses Jahres wurde sein Gemälde "Yr. Childhood" von 1995 bei Christie‘s Hongkong für 1,94 Millionen Euro versteigert, bislang sein höchster Auktionspreis.

Seit 31 Jahren arbeitet sich Nara am selben Sujet ab: Kinder in allen Emotionslagen, gemalt im niedlichen (kawaii) Mangastil. Doch Naras einsame und launische Mädchen und Jungs verstören durch expressive Haltung und Mimik. Mit jedem Strich strahlen sie Auflehnung, Trotz und tiefe Sehnsucht aus. Genau wie seine Kinderfiguren scheint sich der Künstler selbst zu weigern, erwachsen zu werden.

Herr Nara, warum malen Sie immer wieder Kinder?
Ich weiß es nicht. Das ist ein inneres Bedürfnis.

Einige Ihrer Zeichnungen thematisieren den Punk Rock. Sie hören gern The Clash, Ramones und die Sex Pistols. Was genau interessiert Sie daran?
Ich war 17 als der Punk Rock von den USA und England nach Japan hinüberschwappte. Diese Musik drückte genau mein damaliges Lebensgefühl aus. Der tiefere Sinn von Punk war mir gar nicht bewusst, die Musik spiegelte einfach meine persönliche Rebellion gegen mein Umfeld wider, gegen meinen Vater.

Wie war die Beziehung zu Ihren Eltern?
Das Japan der Nachkriegszeit war vom Wirtschaftswachstum geprägt. Meine Eltern haben beide gearbeitet. Meine beiden Brüder sind viel älter als ich. Ich war meistens allein zu Hause, hatte wenig mit ihnen zu tun. Egal, ob ich rebelliert habe oder nicht, das hat keiner mitbekommen. Sie hatten ja keine Ahnung, wie ich wirklich war. Ich liebte die Musik und die Mädchen. Ich fühlte mich vollkommen frei… aber auch verlassen.

Womit haben Sie all Ihre Zeit als Kind dann verbracht?
Wir hatten keinen Fernseher bis ich 7 Jahre alt war. Entgegen der Behauptung vieler Kunstkritiker war ich also gar nicht beeinflusst von Animes. Trickfilme machen den Menschen sowieso nur passiv.

Was hat Sie dann geprägt?
Ich weiß, es heißt immer, ich sei der Vorreiter der kawaii Kultur. Das stimmt so nicht. Mich haben die altmodischen, analogen Darstellungen beeinflusst, wie Puppentheater, Bilderbücher und auch Kinderliteratur ganz ohne Illustrationen. Michael Ende, Astrid Lindgren und Erich Kästner haben mich fasziniert.

Wie sind Sie denn von der Literatur zur Kunst gekommen?
(lacht) Die Geschichte ist ein bisschen peinlich. Ich ging in Tokio zu einem Vorbereitungsseminar an die Uni. Ich nahm an einem Literaturkurs teil. Es war unglaublich langweilig. Also rauchte ich eine vor der Tür. Da sah ich, wie vor der Kunstfakultät Tickets für ein Aktzeichnen-Kurs verkauft wurden. Das war viel spannender! (lacht) Aus Spaß kaufte ich so ein Ticket und übte mich im Aktzeichnen. Der Lehrer fand meine Zeichnungen sehr gut und ermutigte mich, Kunst zu studieren. Das war der Anfang meines Weges.

Wie kam es, dass Sie von 1988 bis 1993 an der Kunstakademie in Düsseldorf studiert haben?
Mich hatte nicht so sehr Deutschland als Land interessiert. Freunde von mir waren dort und das Studium war kostenlos.

A.R. Penck war Ihr Professor. In wiefern hat er Sie in Ihrer Kunst beeinflusst?
In den sechs Jahren, die ich in Düsseldorf studiert habe, habe ich Penck genau viermal gesehen. Daher hat er mich in keinerlei Hinsicht beeinflusst. Auch nicht die anderen seiner Generation, Lüpertz, Richter, Baselitz.

Von wem haben Sie dann gelernt?
In Düsseldorf habe ich einfach nur meine Malweise vertieft und bin künstlerisch reifer geworden. Dadurch dass ich kein Wort Deutsch sprach, war ich ziemlich von der Außenwelt abgeschottet. Ich war mit mir und meiner Kunst allein.

Genau wie in Ihrer Kindheit!
Ganz genau. Ich war wieder einsam wie als Kind. Die Einsamkeit ist aber keineswegs negativ zu verstehen. Ich brauche ab und zu diese innere Zuflucht, um wieder zu mir selbst zu finden.

War das der Grund, warum es in den letzten Jahren so still um Sie geworden ist?
Vor ein paar Jahren, als die Nachfrage nach meinen Bildern riesig war, war ich entsetzt über meine Popularität. Ich fühlte, dass ich mich verliere. Ich wollte nicht die Wünsche von anderen bedienen. Ich male nur für mich. Deshalb zog ich wieder aufs Land, wo ich nur drei Nachbarn hatte, ein paar Tiere und sonst unendlich viel beruhigende Natur.

Wenn Sie nur für sich malen, umgeben Sie sich auch zu Hause mit Ihrer Kunst?
Nein auf keinen Fall! Bei mir hängen Werke von anderen Künstlern. Aber von mir? Nein! Dann würde ich nie wieder malen.