Garten-Fotoprojekt

"Das erträgliche Stück Welt, das man sich erschaffen kann"

Im Lockdown war das eigene Stück Land Refugium und Privileg. Der Fotograf Robert Fleischanderl ist durch eine Garten-Serie auch seiner Mutter und seiner Familiengeschichte näher gekommen 

Herr Fleischanderl, wie geht es dem Garten Ihrer Mutter?

Dem Garten geht es ausgesprochen gut. Bei meiner Mutter steht er seit langer Zeit hoch im Kurs, und mir hat das letzte Jahr einen ganz neuen Zugang zum Garten gebracht. Ich habe ihn schätzen gelernt.

Sie haben sich in ihren Fotografien dem Garten Ihrer Mutter gewidmet. Was interessiert Sie daran?

"Der Garten meiner Mutter" ist nur vordergründig eine Ausstellung über einen Garten. Er ist hier ein Sinnbild und ein Zufluchtsort, eine sinnstiftende Alternative, das kleine Paradies, das kleine, erträgliche Stück Welt, das man sich erschaffen hat. Die Serie ist eine Arbeit über meine Familiengeschichte und eine Erbkrankheit in meiner Familie, dargestellt mittels Fotografien eines Gartens.

Gerade in Lockdown-Zeiten wurde der Garten bei vielen Menschen zu einem Zufluchtsort. Was hat Sie in den Garten ihrer Mutter gezogen? Welche persönliche Verbindung haben Sie dazu?

Es ist der Garten meines Elternhauses, in dem ich auch aufgewachsen bin, und somit sind mir jede Ecke und jeder Strauch vertraut. Aber es war natürlich auch eine Entfremdung und Entwurzelung, nachdem ich schon sehr lange nicht mehr dort lebe. Es war eine Reise zurück in meine Kindheit und in die Familiengeschichte. Ich habe ein besseres Verständnis für die Wichtigkeit und Bedeutung, den dieser Garten für meine Mutter hat. Eine neue Erfahrung für mich war, dass Gartenarbeit Spaß machen kann. Das mag vielen Menschen durchaus klar sein, mir war es das nicht. Es war dann ein im Garten fotografieren und mithelfen. Nicht nur mit der Kamera rumstehen, sondern auch wirklich Hand anlegen, das war eine sehr schöne, aber auch anstrengende Erfahrung. Meine Mutter ist inzwischen 80 Jahre alt. Ich habe die Dinge übernommen, die meiner Mutter körperlich zu anstrengend sind, und so war es eine gemeinsame Gartenarbeit.

Wie fangen Sie das Ästhetische in der körperlichen Gartenarbeit ein?

Die Ausstellung "Der Garten meiner Mutter" ist sehr vielschichtig geworden, mit einer collageartigen Hängung. Es gibt unterschiedliche Erzählstränge, unterschiedliche Formate und Funktionalitäten in der Fotografie, von großformatigen künstlerischen Arbeiten, reportageartigen Fotografien bis zu Erinnerungsbildern wie im Fotoalbum mit Fotoecken an den Wänden. Es gibt teilweise sehr poetische Betrachtungen, dann wieder anekdotenhaftes Erzählen. Eine der wichtigsten Überlegungen war, wie kann man diese vielfältige und sinnliche Erfahrung im Garten in eine Ausstellung transferieren. Deshalb ist eine collageartige Ausstellung entstanden, die einem mit dieser Fülle umfassen soll, um ein sinnliches Erlebnis zu schaffen.

Der Garten ist in der Kunst oft Allegorie für das Paradies. Ist dies in ihren Fotografien auch so?

Es ist ein vergängliches Paradies. Ein Paradies ist für jeden Menschen etwas anderes. Es ist mit Sicherheit eines für meine Mutter dort. Die Farbenpracht eines Orchideenfensters, wo auf engsten Raum 50 Stöcke stehen, das hat schon was.

Welche Motive integrieren Sie in Ihren Fotografien?

Es ist ganz unterschiedlich. Es gibt Porträts meiner Mutter, große künstlerische, aber auch ganz kleine, anekdotenhafte Bilder beim Ernten oder bei der Kaffeejause auf der Terrasse. Das Projekt hat am Muttertag 2020 begonnen, und am Muttertag 2021 sind die letzten Fotos entstanden. Das ist die zeitliche Klammer, in der das Projekt entstanden ist. Das war Zufall. Dann gibt es natürlich Fotos von Orchideen, freigestellt wie in wissenschaftlichen Illustrationen oder botanischen Aquarellen. Es gibt Fotos wie Parklandschaften, memento mori mit einem verfaulten Apfel, der im Gras liegt, Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Pflanzenstrukturen, eine Abendstimmung mit Blick auf die Berge aus dem Garten hinaus. Je nach Jahres- und Tageszeit sind die Eindrücke im Garten breit gefächert. Es ist der Versuch, all dem mit der Fotografie gerecht zu werden, sowohl inhaltlich wie formal.

Ist die Serie letztlich ein Porträt geworden?

Ich sehe meine Arbeiten, wenn ich diese in einer Rückblende begutachte, als Porträts oder Gesellschaftsporträts. Das Stillleben, das Bild ohne Menschen, ist seit einiger Zeit eine neue Sache für mich, der ich aber momentan sehr viel abgewinnen kann. Es ist eine indirekte Methode, über Menschen, die mit diesen Dingen befasst sind, etwas auszusagen. Das ist gerade sehr spannend.