In Heidelberg droht Adel Abdessemed, uns einfach hängen zu lassen. Soll er doch!

Vielleicht ist es ja tatsächlich so, wenn man im freien Fall auf die Erde zustürzt: nichts mehr zu sehen, alles dreht sich, verwirbelt im Pfeifen der ungebremsten Geschwindigkeit. Adel Abdessemed hat die Videokamera aus dem Hubschrauber über Berlin abgeworfen. Niemand wurde am Kopf getroffen, und auch die Software war noch zu gebrauchen. Dem Loop geht allerdings ab, worauf man die ganze kurze Zeit wartet: Jetzt müsste der Aufprall sein, doch schon befindet man sich wieder am Himmel.

Immer fehlt etwas beim 1971 geborenen Algerier. Der Schlussstein in der Geschichte, die Pointe in der Erzählung, die Eindeutigkeit der Zeichen. Wenn er mit gelben Neonbuchstaben an die Wand schreibt: „Any thing can happen when an animal is your cameraman“, ist auch dies ein satzlanger Zwischenhalt auf einer ziemlich haltlosen Fantasiereise. So schnell kommt man von dort nicht zurück. Die Bilder, die Abdessemed entwirft, die mentalen Räume und emotionalen Situationen, in die er entführt, faszinieren gerade in ihrer Offenheit. Und es sind vor allem ständig neue Bilder, Räume und Situationen. Das Werk lässt sich bis heute nicht an seinen Motiven erkennen. Manches deutet auf ein politisches Statement hin, bei anderen Arbeiten scheint es mehr um die zeitgenössische Künstlerrolle zu gehen.

Auf der Biennale von Lyon schrie sich einer mit Clownsnase die Bekennerseele aus dem Leib, sein heiseres „Ich bin ein Terrorist“ gellte noch lange in den Ohren. Beim „Printemps de Septembre“ in Toulouse hing ein dinosauriergroßes Menschenskelett an der Decke und hielt seine Arme halb schützend, halb drohend über einer wabenförmigen „Raumstation“ auf dem Boden. Zur Ausstellung im Heidelberger Kunstverein gehört das Doppel­video „Les ailes de dieu“, das zwei Behinderte, einem Mann ohne Arme und einem ohne Beine, dabei festhält, wie sie Holztafeln auf dem Asphalt bemalen. Sie pendeln beide an je einer Rettungsleine, und man kann nur hoffen, dass der Helikopter, an dem sie hängen, nicht plötzlich an Höhe verliert.

Selbst wenn Adel Abdessemeds Werk von Auftritt zu Auftritt deutlichere Konturen gewonnen hat, überrascht es weiterhin aufs Neue. Womöglich auch deshalb, weil sich im Gegensatz zu so vielen Kurzzeitreizen der Installationskunst das Verstehen hier noch stets als gefährdetes Schweben erweist.

 

Heidelberger Kunstverein, bis 14. Februar