Kriegsfotograf Tim Hetherington

Leben, um zu sterben

Der im April in Libyen getötete Fotograf Tim Hetherington zeigte die wahren Gesichter des Krieges, auch in seinem letzten Bildband „Infidel“

Ein Schlag in die Magengrube ist hier eine Art, Hallo zu sagen. Das Platoon der 173. US-Luftlandebrigade, das im Korengal-Tal im Nordosten Afghanistans abgesetzt wurde, heißt so Neulinge willkommen. Dass der Brauch, von den Soldaten euphemistisch „pink belly“ genannt, höllisch wehtut, ist dem Mann, den das Blitzlicht von Tim Hetheringtons Kamera der Dunkelheit in der Baracke entrissen hat, anzusehen. Aber in den Ausdruck von Schmerz mischt sich auch Triumph, in dem muskulösen Körper sind die antagonistischen Gefühle zu einer Heldenpose verschmolzen. „Living to die“, proklamiert eine Tätowierung auf seinem Arm.

Für „Infidel“, seinen letzten Bildband, ließ sich Hetherington mit größtmöglicher Intensität auf die Perspektive der Soldaten ein. Aufnahmen ihrer verlustreichen Kämpfe gegen die Taliban sind darin einfühlsamen, intimen Porträts gegenübergestellt, etwa der konzeptuellen Serie „Sleeping Soldiers“. Im Schlaf zeigt der Fotograf die selbst ernannten fatalistischen Krieger als die jungen Männer, die sie sind.

Gewalt fasziniere ihn, bekannte Hetherington, der den Einsatz des Platoons von 2007 bis 2008 für die US-„Vanity Fair“ und in Fernsehbeiträgen dokumentierte. In Interviews sprach der 1970 in England geborene Fotograf und Filmer offen über die persönlichen Motive, die ihn nach einem ersten Engagement im liberianischen Bürgerkrieg ab 1999 antrieben, immer wieder sein Leben in Krisenregionen zu riskieren: die Suche nach existenzieller Erfahrung, das Bonding in Extremsituationen, Männerrituale. Als die Soldaten anfingen, ihn bei seinen Besuchen im Außenposten mit einem Steinhagel zu begrüßen, wusste er, sie hatten ihn akzeptiert.

Neben dem Bild eines fassungslosen Soldaten, dem World Press Photo 2007, ist der Dokumentarfilm „Restrepo“, den er mit dem „Vanity Fair“-Autor Sebastian Junger drehte, bekanntestes Resultat von Hetheringtons „Afghan project“. Junger steuerte zu „Infidel“ auch das Vorwort bei.

„Restrepo“, der im Stil des Direct Cinema ohne erklärenden Off-Kommentar auskommt, begeisterte Rezensenten, 2010 war er für den Oscar nominiert und wurde beim Sundance-Festival prämiert. Doch der Fotoband „Infidel“ zeigt im Vergleich, was Video nicht leisten kann: Wie bildet man Erschöpfung, wie die nervöse Anspannung in den Gefechtspausen ab? In der Darstellung dieser Realität des Kriegs erweist sich Fotografie als überlegen. Lustlos blättern die Männer auf einem Bild in Sexheften.

Unter Beschuss, berichtete ein Soldat des Platoons, sei Hetherington die Ruhe selbst gewesen. Konzentriert führte er die Kamera, Kugeln, die ihn nur knapp verfehlten, schien er nicht wahrzunehmen. Im libyschen Misurata, von Rebellen gegen al-Gaddafis Truppen verteidigt, tötete ihn im April eine Granate.

„Infidel“; auf Englisch, Chris-Boot-Verlag, 240 Seiten, 22,95 Euro