Wie Beuys zwei Museen trennt und eint

Rivalen am Niederrhein

Kleve (dpa) - Wer Joseph Beuys verstehen will, muss an den Niederrhein kommen. In der abgelegenen Region, flaches Land mit Wiesen und Alleen, entwickelte der Ausnahmekünstler in der Zeit seiner größten Krise seine Auffassung von Kunst, die ganze Generationen von Künstlern nach ihm prägen sollte.

Das Problem ist nur: Der Niederrhein ist so weit weg, ist Provinz - jedenfalls wenn man es von Berlin oder Düsseldorf aus betrachtet. 600 Kilometer sind es bis Berlin, wo Menschen zu Hunderttausenden in Kunstausstellungen drängen. 100 Kilometer lang ist die Strecke bis in die NRW-Landeshauptstadt, mit einem quirligen Kunstleben.

Im Klever Museum Kurhaus Kleve aber kann man ganz in Ruhe, fast allein, das erst kürzlich wiedereröffnete restaurierte Atelier von Joseph Beuys (1921-1986) besichtigen. Hasenblut und Blattgold, Hasenkiefer und Pinsel, Gipsmodelle berühmter Beuys-Arbeiten, Spazierstöcke und eine große Tonklumpenkiste lassen den Besucher in die Arbeitswelt des Künstlers eintauchen, dessen Markenzeichen Filz und Fettecken waren.

   Großzügig haben die Witwe Eva Beuys und ihre Kinder das restaurierte Atelier in der Heimatstadt von Beuys mit Dauerleihgaben aus ihrem privaten Besitz bestückt. Kleve beherbergt damit das einzige restaurierte Atelier von Beuys in Deutschland.

Die schwierige Vergangenheit überwinden
Nur zehn Kilometer weiter liegt das mit seinen Türmen und Zinnen märchenhaft anmutende Schloss Moyland, das ebenfalls einen einzigartigen Beuys-Schatz hütet: Rund 6000 frühe Werke des Künstlers und ein Archiv mit Zehntausenden Dokumenten von Briefen über Zeitungsartikel bis zu Einladungen und Ausstellungsplakaten gehören dazu.

Zwei auch überregional renommierte Museen, die sich beide zudem mit Ausstellungen junger Kunst profilieren wollen, liegen also in unmittelbarer Nachbarschaft. Und man könnte annehmen, dass sie eng zusammenarbeiten. Das tun sie aber nicht - bislang jedenfalls.

Ein niederländisches Künstlerehepaar aus Rotterdam wandert durch das Beuys-Atelier im denkmalgeschützten einstigen Friedrich-Wilhelm-Bad im Kurhaus Kleve. «Wir kommen jedes Jahr hierhin», sagt die 61-jährige Frau. «Heute sind wir extra wegen Beuys hier.» Dass sie in Moyland ebenfalls Beuys zuhauf besichtigen könnten, wissen die Eheleute nicht. «An der Kasse hat uns keiner etwas gesagt», sagt der 69-Jährige.

Das soll sich nun ändern. Im Museum Kurhaus Kleve ist seit April Professor Harald Kunde neuer Leiter. In Moyland ist seit 2009 Bettina Paust am Ruder. Beide Direktoren wollen eine schwierige Vergangenheit - davon wird noch die Rede sein - überwinden. Denn beide Museen könnten durchaus mehr Besucher vertragen: In Kleve sind es jährlich rund 30 000, in Moyland waren es 2011 rund 47 000.

Beide Museen ergänzen sich
Zum Vergleich: Die Kunstsammlung NRW verzeichnete 2011 etwa 230 000 Besucher, die Deichtorhallen in Hamburg zählen dieses Jahr rund 280 000 Kunstfreunde. Das ist natürlich immer noch nichts gegen Berlin, wo allein 380 000 Menschen in drei Monaten durch die Gerhard-Richter-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie strömten. Aber Berlin ist natürlich auch nicht Niederrhein.

«Wir wollen das Verhältnis anders gestalten», sagt Kunde mit Blick auf den Museumsnachbarn. Er hat sich mit Paust schon zusammengesetzt. Ein Konzept wird erarbeitet: Wechselseitig wollen die Häuser über Ausstellungen im jeweils anderen Museum informieren und Schulklassen möglichst nach Kleve und nach Moyland lotsen, nicht in nur eines der beiden Häuser. «Wichtig ist, dass aus grundsätzlichen Lippenbekenntnissen mehr wird», sagt Kunde. «Jeder der sich für Beuys interessiert, muss beide Häuser sehen», sagt Paust.

Beide Museen ergänzen sich fast perfekt: So hängt in Beuys' Atelier in Kleve ein Schwanenrelief in Keramik, in Moyland ist das gleiche Relief des fliegenden Schwans vor niederrheinischer Landschaft aus unglasiertem Ton ausgestellt - flankiert von einer frühen Schwan-Zeichnung mit demselben Motiv.

   Der Schwan zieht sich wie ein Leitmotiv durch das Werk von Beuys - das kann man in Moyland lernen, wo die Fülle der hoch lichtempfindlichen meisterhaften Zeichnungen so immens ist, dass die Ausstellungen jedes halbe Jahr ausgewechselt werden können und müssen. Derzeit ist ein Raum allein dem Schwanen-Motiv gewidmet. Der Schwan ist auch das Wahrzeichen Kleves. Die Klever Fürsten sehen sich als Nachkommen des Schwanritters Elias, der im 19. Jahrhundert mit Wagners Opernheld Lohengrin gleichgesetzt wurde.

   In Beuys' Klever Atelier entstand das Büdericher Ehrenmal. Moyland zeigt die Vorarbeiten zu dem monumentalen Eichenkreuz mitsamt Zeichnungen. In Kleve wiederum kann sich der Besucher davon überzeugen, wie stark Beuys Ende der 50er Jahre mit dieser ersten großen Auftragsarbeit, Holzkreuz und Holztor, noch in der Tradition seines Akademielehrers Ewald Mataré stand. Denn das Kurhaus beherbergt auch den künstlerischen Nachlass Matarés (1887-1965).

   Während in Myoland Beuys' kleine Schäfchen-Skulpturen aus Holz und Bronze unter einer Glasvitrine ruhen, kann man in Kleve die Tierskulpturen Matarés aus Edelholz mit sorgfältig geschliffenen Oberflächen bewundern. Die künstlerische Nähe des Schülers zu seinem Lehrer in den Anfangsjahren wird dann ganz deutlich.

   Eigentlich müssten im Kurhaus und in Moyland Hinweisschilder hängen, etwa in der Art: «Wenn Sie mehr zum Büdericher Ehrenmal erfahren wollen, fahren Sie nach Moyland.» Oder: «Wenn Sie mehr über den Schwan bei Beuys wissen wollen, besuchen Sie Kleve.» Aber es ist nicht so. Denn beide Häuser mit ihren exzellenten Sammlungen standen jahrelang in einem Spannungsverhältnis zueinander.

Eine Sache der persönlichen Beziehungen
   Der eine Grund ist Eva Beuys. Sie bedachte das Kurhaus reich mit wertvollsten Leihgaben aus dem Frühwerk ihres Mannes. Moyland dagegen wurde über Jahre von Eva Beuys ignoriert oder aber mit juristischen Nadelstichen malträtiert. Zur Eröffnung des restaurierten Beuys-Ateliers in Kleve im September erschien Eva Beuys mit ihren Kindern. Als das Museum Schloss Moyland ein Jahr zuvor seine Sammlung nach umfangreicher Sanierung des Schlosses in neuer Form präsentierte, blieb Eva Beuys fern.

   Wenigstens ließ Eva Beuys beim Festakt zum 25. Jubiläum des Moyländer Fördervereins vor kurzem Grüße und Glückwünsche zu einer Baumpflanzaktion übermitteln. Das könnte ein Anzeichen für Tauwetter in der schwierigen Beziehung zu Moyland sein.

   Mal war es der neue Beuys-Forschungspreis, mal die Schokolade in einem Beuys-Werk, die zu Missstimmungen führte. Höhepunkt war ein Urheberrechtsstreit um Fotos von einer Live-Aktion von Beuys aus dem Jahr 1964, die ihn beim Herstellen einer Fettecke zeigen. Moyland musste die Fotos seinerzeit abhängen. Der Streit liegt inzwischen dem Bundesgerichtshof vor.

   Es ist aber auch eine Sache der persönlichen Beziehungen. Mit dem langjährigen Leiter des Museums Kurhaus Kleve, dem Niederländer Guido de Werd pflegte die Familie Beuys seit den 70er Jahren ein freundschaftliches Verhältnis. Fast 40 Jahre prägte de Werd die Kunst in Kleve. Er machte aus dem ehemaligen Kurhotel mit Wandelhalle und Bad ein überregional beachtetes und mehrfach ausgezeichnetes Museum für zeitgenössische Kunst, wo er trotz der Abgeschiedenheit bekannte Künstler von Richard Serra bis On Kawara oder Jannis Kounellis anlockte.

Neue Schwerpunkte

   Ein Vertrag über die Dauerleihgaben von Eva Beuys für das Museum Kurhaus existiert nicht. Einen Ankauf hätte sich das städtische Haus niemals leisten können - auch wenn bei einer Einwohnerzahl von rund 50 000 rund 1600 Bürger dem Freundeskreis des Museums angehören. «Wir haben das Bestreben, das Verhältnis auf gutem Niveau zu halten» sagt de Werds Nachfolger Harald Kunde.

   Der Kunsthistoriker, der in Leipzig seine prägende Zeit und die Wende erlebte, kann jetzt aus dem Schatten de Werds heraustreten. Schon seit April ist Kunde eigentlich Chef des Kurhauses, aber de Werd war bis vor kurzem noch ein sogenannter Senior Kurator und überwachte die Restaurierung des Beuys-Ateliers.

   Kunde will auch konzeptionell andere Schwerpunkte setzen, mehr Raum für junge Kunst bieten und das Kurhaus mit offenen Veranstaltungen aus seiner «Klostersituation» herausführen. «Der Blick muss nach vorn gerichtet werden», sagt Kunde. «Gegenwartskunst ist nicht nur Belustigung, sondern vermittelt etwas vom inneren Zustand der Zeit.»

   Auch Bettina Paust hat Moyland gehörig umgekrempelt und vom Staub eines Heimatmuseums befreit. Für die moderne Neupräsentation der Beuys-Sammlung bekam sie viel Lob. Sogar Kulturstaatsminister Bernd Neumann war kürzlich aus Berlin nach Moyland gereist. «Kunst und Kultur ist kein Vorrecht der Metropolen», sagte er am Rand der Republik - Kleve ist übrigens der Wahlkreis von Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU). Kunde drückt es philosophischer aus: «Das Verhältnis von Peripherie und Zentrum ist nicht für alle Zeiten definiert.»