Synagoge Stommeln

Spiegelungen himmelwärts

Ein Riss geht diesmal nicht durch die geschichtsträchtigen Wände der ehemaligen Synagoge Stommeln, die Vergangenheit bleibt außen vor. Seit 1991 lädt die Stadt Pulheim alljährlich einen Künstler ein, um in dem unscheinbaren Hinterhof ein temporäres Projekt zu verwirklichen. Der Einladung nach dem Konzept „Ein Ort – ein Raum – eine Arbeit“ folgten bisher internationale Größen wie Jannis Kounellis, Richard Serra, Georg Baselitz, Rosemarie Trockel, Santiago Sierra oder Maurizio Catellan, wobei die höchst subjektiven Annäherungen an das Gebäude, das nur deshalb die „Reichskristallnacht“ von 1938 überstand, weil es kurz zuvor an einen Landwirt verkauft und zum Abstellraum umfunktioniert worden ist, mitunter auch für kontroverse Diskussionen sorgten.        

Für Daniel Buren beherbergt die quadratische Form „des kleinen Würfels“ weder sakrale noch provokative Qualitäten. Es ist ein Raum wie jeder andere. Der 72-jährige Franzose, der seit 40 Jahren für sparsame Interventionen mit parallel gesetzten Streifen bekannt ist, weiß wovon er spricht. Schließlich darf er im prächtigen Innenhof des Pariser Palais Royal seine gestreiften Säulen als begehbare Dauerausstellung zeigen. Mitunter begnügt er sich auch mit dem Fußboden eines Hauptbahnhofs oder gar einer gänzlich unspektakulären Straßenbahnhaltestelle, um sein „visuelles Werkzeug“, die jeweils 8,7 Zentimeter breiten senkrechten Klebestreifen, gebührend in Szene zu setzen.

Ein bewusster Affront gegen die Tafelmalerei
Entdeckt hat der mehrfache Documenta-Teilnehmer sein Markenzeichen 1966 als Mitglied der vierköpfigen Gruppe BMPT. Sie führte die Malerei auf ihre geometrische Ausgangsbasis zurück. Es war ein bewusster Affront gegen die Tafelmalerei, die in den Augen des Quartetts als dahin siechender Bildträger mit der Ausweitung auf Wände, Mauern oder Böden zu überwinden war. Der Widerstand richtete sich gegen Institutionen, aber auch gegen jegliche Bezüge, die den Blick auf das Kunstwerk einschränkten. Inzwischen ist der revolutionäre Furor verflogen und Buren ist mit seinen In-situ-Arbeiten längst Teil des Kunstbetriebs. Seit den 80er-Jahren hat sich seine Formensprache erweitert, es sind Holz, Plexiglas, transparente Folien und Spiegel dazu gekommen.                 

Die letzteren haben in Stommeln einen glamourösen Auftritt. Sie begrenzen den unmöblierten Synagogenraum, erweitern ihn zugleich aber auch zu einer Art Miniatur-Versailles. Dessen Vexierspiel ist beachtlich, zumal sich der Betrachter sofort peinlich berührt dabei ertappt, seinen Spiegelbildern nachzustellen. Nicht ohne Grund heißt die vor Ort entstandene Arbeit „Multiplikationen“. Buren hat sich des Ortes bemächtigt wie ein Dompteur, der mit strenger Hand jeden Winkel markiert, um im selbst verursachten Multiplikationschaos mit einfachen Strukturen einen Ruhepol zu schaffen. Nicht etwa ein Exponat, sondern die Eigenheiten der Architektur rücken so in den Vordergrund. Sie ist es, die der Künstler bewusst machen möchte, nicht mehr und nicht weniger.

Raus aus der Enge, hinein in die dekorative Schönheit
Vor allem die Fenster mit ihren achteckigen roten Sternmustern haben seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Gruppiert rund um den hölzernen Thorabogen sind drei von ihnen um einen schwarzen Streifen reicher, ein Akzent, der den vom Sonnenlicht nicht gerade verwöhnten Raum in Bewegung bringt. An der bestehenden Wandbemalung hat sich auch Einiges getan. Die braunen Rahmen lenken mit ihren weißen Streifenmarkierungen sogleich den Blick himmelwärts, raus aus der Enge, hinein in die Schönheit dekorativer Dopplungen.                                     

Schlicht und beklemmend waren schon einige Installationen in Stommeln. Verspielt noch nie. Das macht Burens Ansatz irritierend, aber immerhin auch im besten Sinne überraschend. Der Perspektivwechsel hin zum Betrachter ist gelungen. Ob er ein Gewinn ist, lässt sich angesichts der schnell verpufften Wirkung bezweifeln. Schon nach dem Verlassen des aus der Zeit gefallenen Spielplatzes sehnt man sich nach Santiago Sierras Stommeln-Beitrag zurück. Der gebürtige Madrilene stand mit der allzu eingeübten Gedenkkultur ebenfalls auf Kriegsfuß, vermochte aber in seiner aufrüttelnden Brutalität zu bewegen. Burens leichtfüßige Sprache ist fern von jeder Emotion, sie schmeichelt den Sinnen und macht es dem Betrachter – trotz beachtlichem Vervielfältigungswirbel – allzu gemütlich.

Synagoge Stommeln, Pulheim, bis 19. Dezember