Kommentar

Wie ein deutsches Museum Urheberrecht und Gemeinfreiheit missversteht

Was, wenn Kunst digitalisiert wird? Die Rechtsprechung zum Urheberrecht hierzu ist teils veraltet. Ein deutsches Museum hätte das ändern können – entschied sich stattdessen aber dafür, die Abmahnanwälte von der Leine zu lassen. Ein Gastkommentar

"Wir haben nichts gegen Wikipedia, aber wir entscheiden, für welche Fälle die Freigabe erteilt wird." So lässt sich Alfried Wieczorek zitieren, Direktor der als Eigenbetrieb der Stadt Mannheim geführten Reiss-Engelhorn-Museen (rem) und der zahlreichen dahinter liegenden Stiftungen. Man könnte kaum besser zusammenfassen, wie kolossal hier Urheberrecht und Gemeinfreiheit missverstanden werden.

Es geht um ein Porträt von Richard Wagner, gemalt 1862 von Cäsar Willich. Willich starb 1886. Das Urheberrecht erlischt 70 Jahre nach dem Tod des Autors, heißt, das Bild gehört seit 1956 der Allgemeinheit. Und so hatte ein Wikipedia-Nutzer ein Foto des Gemäldes in die Wikipedia eingestellt.

Dass es sich nicht um ein selbstgemachtes Foto handelt, sondern um den Scan einer Fotografie, die ein Fotograf des Museums angefertigt hatte, erkennt man nicht. Natürlich nicht: Der Auftrag an den Museumsfotografen war, so nah wie nur möglich am (gemeinfrei gewordenen) Original zu bleiben.

Nun haben auch Fotografen Rechte an ihren Arbeiten, zurecht, doch im vorliegenden Fall beginnt hier das Problem: Theoretisch könnte man als Verwahrer eines Kunstwerkes am Tag vor Ablauf der Schutzfrist eine perfekte Kopie eines Bildes anfertigen, dieses urheberrechtlich als Lichtbildwerk einordnen – und schon entsteht ein neuer Schutz um weitere 50 Jahre. Ginge das, existierte die Gemeinfreiheit bestenfalls noch auf dem Papier.

Die "technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks" ist heute Realität, und folglich hatte der Bundesgerichtshof schon 1989 unter dem Schlagwort "Bibelreproduktion" klargestellt: reine Lichtbildkopien sind nicht geschützt. Wer originalgetreu kopiert, wer "Bild vom Bild" anfertigt, der erwirbt keinen eigenen Schutz.

Egal, sagen die Reiss-Engelhorn-Museen. Eine perfekte Fotografie anfertigen, das sei viel Arbeit. Allerdings hat der Gesetzgeber – mit guten Gründen – urheberrechtlichen Schutz nicht an technischen Aufwand gekoppelt. Wenn das Ziel einer Aufnahme geradezu darin besteht, sich dem Original vollständig anzunähern, muss das Mindestmaß an persönlicher geistiger Leistung – und mit diesem steht und fällt urheberrechtlicher Schutz – verneint werden. Eine handwerkliche Leistung, und sei sie noch so aufwendig, kann Schutzfristen nicht verlängern. Wäre das anders, käme es schließlich nur noch darauf an, wer den Schlüssel zu einem Archiv hat: Gemeinfreiheit wäre an den Zugang zum Original geknüpft, die Institutionen würden sich Quasi-Urheberrechte an ihren Flachware-Beständen herausnehmen.

Genau das versuchen offenbar die Reiss-Engelhorn-Museen. Dank eines Direktors, der die ihm zur Verwahrung und Pflege anvertrauten Bilder scheinbar eigentumsgleich begreift, einer auf Abmahnungen spezialisierten Berliner Kanzlei und einem aggressiven rechtlichen Vorgehen, dem die Richter einiger Amts- und Landgerichte nichts entgegenzusetzen vermochten. Man hat ganz offenbar in Mannheim weder die Rechtsprechung des BGH noch den Stellenwert von freiem Zugang zu Kunst und Wissen in einer digitalisierten Welt verstanden. Das ist bedauerlich. Man hat sich überdies entschieden, gleich im Dutzend gegen Nutzer des Bildes vorzugehen. Das ist unverantwortlich.

Eines der ersten Opfer dieser Abmahnfreude, die musikalische Mitmach-Website für Kinder und Jugendliche "musical & Co.", ist bis heute offline. Man kann nur hoffen, dass die Mittel der Wikipedia ausreichen, diese Causa so lang durch die Instanzen zu tragen, bis sie auf mehr richterliche Weitsicht trifft.