Künstler AA Bronson

"Mapplethorpe wollte die Karriere"

Am 9. März vor 30 Jahren ist Robert Mapplethorpe gestorben. Künstler AA Bronson erinnert sich gut an den legendären Fotografen und dessen Rolle in der Schwulenszene von New York 

Der Mann mit dem langen Bart empfängt in seiner sonnendurchfluteten Altbauwohnung im Berliner Westen, wo er seit einigen Jahren mit seinem deutschen Ehemann lebt. AA Bronson, 1946 in Vancouver geboren, war ein Teil der kanadischen Künstlergruppe General Idea – die beiden anderen Mitglieder starben 1994 an Aids. In den 70ern und 80ern war das Kollektiv ständig zwischen Toronto und New York unterwegs, sie tauchten tief in die New Yorker Schwulenszene ein und gaben ihr mit ihren Underground-Publikationen ein Forum. So ist AA Bronson genau der Richtige, um zum 30. Todestag von Robert Mapplethorpe im Interview an den Fotografen zu erinnern.

AA Bronson, wie haben Sie New York in den 70ern erlebt?
Die Stadt war fast bankrott, sie hatte nicht mal Geld, um die kaputten Lampen in der U-Bahn austauschen, niemand traute sich nach 22 Uhr, U-Bahn zu fahren. Die Polizei war ganz mit den Morden und anderen Schwerverbrechen beschäftigt, für kleinere Dinge hatte sie gar keine Zeit. Was der schwulen Szene die Freiheit gab, so ziemlich durchzudrehen. Die Kunstszene verlagerte sich damals nach SoHo, was damals noch ein Industriegebiet war, mit riesigen Lastwagen, die ein- und ausluden. Samstags sah man immer die gleichen Leute dort bei den Eröffnungen. 1977/78 kam der Punk, es war toll, aber kurz danach stiegen schon die Mieten wieder in SoHo, und Mitte der 80er waren die meisten interessanten Galerien schon weiter ins East Village gezogen. 

Wie haben Sie Mapplethorpe kennen gelernt?
Der Künstler Ray Johnson hatte die Gewohnheit, bei anderen Künstlern die Mülltonnen nach peinlichen Sachen zu durchsuchen, die er dann als eine Art Mail Art an andere Künstler schickte. Von ihm bekamen wir Fotos von Patti Smith mit Halskrause, die er in Mapplethorpes Abfall gefunden hatte, schlechte Prints, ganz zerknickt. Aber wir druckten sie doppelseitig für die Punk-Ausgabe unseres Magazins "FILE". Kurze Zeit später traf ich Mapplethorpe bei einer Eröffnung, und mir war es fürchterlich peinlich, dass wir diese Fotos geklaut hatten. Aber er sagte, kein Problem, wenn euch die Fotos gefallen, behaltet sie! Danach brachten wir eine Ausgabe zum Thema "Transgressions" heraus und baten Mapplethorpe, uns etwas zu schicken – das war 1979. Wir bekamen vier Fotos aus seiner Sadomaso-Serie, von denen wir zwei druckten, und einen Text, in dem er betonte, dass diese Leute, die er da fotografiert hatte, auf sexuelle Lust aus sind, nicht auf irgendeinen Skandal. 

Die Bilder sind schon recht krass – man sieht zum Beispiel ein blutiges männliches Geschlechtsteil von unten, das in ein seltsames Metallgerät eingespannt ist.
Für ihn war es ein sexpositives Statement. Als das Magazin dann herauskam, konnte man durch den schlechten Druck die Bilder kaum erkennen – wer weiß, vielleicht hat der Drucker das sogar extra gemacht. Ich habe mich bei Robert entschuldigt, doch er sagte: "Aber ihr habt sie gedruckt!" Sonst hat damals niemand diese Fotos veröffentlicht. Von da an war immer eine große Freundlichkeit zwischen uns.

War Mapplethorpe der einzige Künstler, der sich damals auf diese Weise mit Sexualität beschäftigte?
Die Szene war damals sehr klein, man hatte also einen guten Überblick. Außer Mapplethorpe gab es eigentlich nur noch Peter Hujar, der sich mit solchen Themen beschäftigte, und Jimmy De Sana, der vor allem auch in der Musikszene fotografierte, dessen Werk aus den 70ern aber leider verloren zu sein scheint. Diese drei schwulen Männer haben damals die Persönlichkeiten und das Sexleben der Szene in Downtown dokumentiert. Vielleicht  ist Peter Hujar sogar der Interessanteste von den dreien, auch der Renommierteste in der Kunstzene – Mapplethorpe ist ja vielleicht ein bisschen zu sehr vermarktet worden, ups, was hab ich gesagt?

Wollte Mapplethorpe Karriere machen?
Absolut, er wollte eine große Karriere. Irgendwann entdeckte er, dass es eigentlich das gleiche ist, Blumen zu fotografieren und Genitalien zu fotografieren, und dass er beides sehr gut kann. Die Blumen verkauften sich dann aber sehr viel besser als die Sadomaso-Fotografie. Als er starb, hatte er kein einziges von den S/M-Fotos verkauft. Er hatte sie in einem Portfolio zusammengefasst, was er recht billig anbot, aber keiner wollte es. Erst als sich herumsprach, dass er bald sterben würde, kauften es die Leute plötzlich. Brutal, oder?

Neben den Sexbildern und den Blumen hatte Mapplethorpe in den 80ern auch begonnen, Celebrities zu fotografieren. 
Ja, auch das war ein Erfolg. Und er wurde selbst eine. Die ganze Idee der Celebrities kam ja erst in den 80er Jahren in die Kunst. Vorher waren Warhol, Picasso und Dali die einzigen Künstler gewesen, die in dieser Form berühmt waren. Das änderte sich Mitte der 80er. Ich weiß noch, wie Robert Longo 1987 auf dem Cover des "New York"-Magazines war – das war das erste Mal überhaupt, dass ein Künstler auf einem Magazincover auftauchte. Alle redeten davon, dass eine neue Ära begann, in der Kunst und Künstler Teil der Popkultur werden würden – und so kam es ja auch. Mapplethorpe, der den Erfolg unbedingt wollte, wurde Teil dieser neuen Celebrity-Kulur, während Peter Hujar oder Jimmy De Sana der alten Downtown-Bohème verhaftet blieben. 

Peter Hujar starb 1987, Mapplethorpe 1989, Jimmy De Sana 1990, Felix Partz und Jorge Zontal von General Idea 1994. Wie hat Aids damals New York verändert?
Manhattan wirkte wie ein Kriegsschauplatz. So viele Leute waren krank. Die Leute gaben all ihr Geld für Medikamente aus, konnten ihre Miete nicht mehr bezahlen und lebten auf der Straße. Meine Mutter kam mich mal besuchen, sie war Engländerin, hatte in London zwei Weltkriege erlebt, und sie sagte, New York sei wie eine Stadt im Krieg, wo die jungen Männer sterben. Bis 1994 endlich ein wirksamer Medikamentencocktail entdeckt wurde. Wenn Felix und Jorge ein Jahr länger gelebt hätten, wären sie vielleicht heute noch da. 

Die erigierten Penisse, die Mapplethorpe zeigte, erregen heute zumindest in europäischen Kunstinstitutionen nicht mehr viel Anstoß. Dafür denkt man vielleicht etwas länger darüber nach, was es bedeutet, wenn ein weißer Künstler sehr offensiv schwarze männliche Körper als Sexualobjekt darstellt. Wie sehen Sie das heute?
In der Mai36 Galerie in Zürich lief gerade eine Ausstellung mit meinen Werken von General Idea parallel zu einer mit Fotografien von Mapplethorpe. Einer meiner Assistenten ist schwarz, wir waren zusammen bei der Eröffnung. Ich habe ihn gefragt, wie er diese extrem sexualisierten Bilder schwarzer Männer in der Mapplethorpe-Ausstellung empfindet. Er sagte, er fände sie okay, da diese Bilder von den Modellen und dem Fotografen gemeinsam produziert wurden. Man muss auch bedenken, dass Mapplethorpe zu Lebzeiten kein einziges Bild eines schwarzen Mannes verkauft hat. Es ging ihm nicht darum, diese Männer zu Marketingzwecken zu objektivieren. Es ging um seine ganz persönlichen Beziehungen zu diesen Männern. Ich gebe Robert in dieser Hinsicht einen Vertrauensvorschuss. Mir erschien er einfach sehr freundlich und generös, und so möchte ich ihn erinnern.