"Guardian"-Interview

Ai Weiwei: "In Deutschland gibt es Nazismus im Alltag"

Der chinesische Künstler Ai Weiwei lebt seit einigen Monaten in Cambridge - schimpft aber immer noch über Deutschland. In einem Interview erzählt er außerdem, warum er manchmal lieber Friseur als Bildhauer wäre 

Dass der chinesische Künster Ai Weiwei Deutschland nicht für eine offene Gesellschaft hält, hat er bereits mehrmals öffentlich verkündet. Nun hat Ai Berlin verlassen und lebt seit einigen Monaten mit seinem Sohn im britischen Cambridge. Im Gespräch mit der Zeitung "The Guardian" bezeichnete der Künstler, der in Berlin noch ein Studio hat, seine Zeit in Deutschland als "niederschmetternd".

"Ich glaube nicht, dass Deutschland eine gute Umgebung für ausländische Menschen ist", zitiert der "Guardian" Ai Weiwei. "In England sind die Leute wenigstens höflich. In Deutschland gibt es diese Höflichkeit nicht. Sie sagen, dass man in Deutschland Deutsch sprechen muss. Die Deutschen waren sehr unhöflich in alltäglichen Situationen. Sie haben eine tiefe Abneigung gegen Fremde."

Neugier auf Kunst nimmt ab 

Im Verlauf des Gesprächs erzählt Ai Weiwei erneut, dass ihm der Aufstieg der AfD und fremdenfeindliche Kundgebungen in Deutschland Angst gemacht hätten. Das Land sei gleichgültig gegenüber dem Leid von anderen geworden. Will er das heutige Deutschland mit dem der Nazi-Ära vergleichen? "Faschismus heißt zu denken, dass eine Ideologie den anderen überlegen ist und diese Ideologie dadurch zu reinigen, dass man andere Denkweisen abwertet", antwortet Ai Weiwei auf diese Frage. "Das ist Nazismus. Und diesen Nazismus gibt es sehr wohl im Alltag in Deutschland." 

Außerdem erzählt der Künstler, dass er durch seinen Erfolg zunehmend seine Neugier auf Kunst verliere. Er könne sich vorstellen, eine Weile in Cambridge zu verschwinden. Oder in London einen Friseursalon aufzumachen. Vorher hat Ai jedoch noch ein großes Kunstprojekt fertiggestellt. Für sein erster Virtual-Reality-Kunstwerk "Omni" hat er zwei mit 360-Grad-Kameras gedrehte Filme kombiniert: einen über arbeitslose Holzfäller-Elefanten in Myanmar und einen anderen über ein Flüchtlingscamp in Bangladesh.