Diversität im Kulturbetrieb

Hört auf zu zählen!

Vor den Oscars am Sonntag wird wieder darüber diskutiert, dass die Nominiertenliste zu männlich und zu weiß ist. Unsere Autorin meint: Bei der Award-Zählerei übersieht man die tiefergehenden Probleme der Branche

Man könnte meinen, von den Oscars am Sonntag hinge die Zukunft der Welt ab, so sehr beschäftigt die Preisverleihung die Medienlandschaft. Spoiler: Sie hängt nicht davon ab. Doch immerhin mischen sich in den letzten Jahren immer kritischere Töne unter die müßigen Vorab-Diskussionen um Favoriten und Roben auf dem roten Teppich. Sie zeigen, dass es sogar hinter den Kulissen des Showbusiness inzwischen gehörig rumort.

Denn selbst die glanzvolle Verleihung der Academy Awards ist nicht mehr die unantastbare Instanz und die Vorauswahl der Nominierungen sorgt bereits für Stirnrunzeln. Wo sind denn die ganzen Frauen abgeblieben? Und wo die nicht-weißen Akteurinnen und Akteure der Filmbranche? Die US-amerikanische Schauspielerin, Autorin und Regisseurin Issa Rae wies bei der Verkündung der diesjährigen Oscar-Nominierungen dezent darauf hin: Unter den Nominierten verstecken sie sich schon mal nicht.

Und damit ist die Academy nicht allein. Auch die Golden Globes Anfang Januar und die BAFTA-Preise unseres frisch gebackenen Nicht-EU-Nachbarn Großbritannien vor wenigen Tagen leiden unter der gleichen Krankheit, die in passenden Oscar-Hashtags auf den Punkt gebracht werden: #OscarsSoMale, #OscarSoWhite. Die Zahlen sprechen für sich. Fair ist das nicht, repräsentativ schon gar nicht, das ist auch den Berichterstattern aufgefallen.

Die Probleme des Systems sind längst bekannt

Also häufen sich die Artikel, die fehlende Diversität anprangern und mehr People of Color, mehr Frauen, mehr nicht-weiße Narrative unter den Nominierungen fordern. Klar, ein Problembewusstsein muss sich in der öffentlichen Wahrnehmung erst einmal etablieren. Nur, sind wir darüber nicht schon längst hinaus?

Schon über zwei Jahre ist es her, dass uns der Weinstein-Skandal deutlich vor Augen geführt hat, dass die US-Filmindustrie massive, grundlegende Defizite hat, in denen Sexismus, rassistische Ungleichheit und gefährliche Machtgefälle florieren. Diese Dinge sind nicht offen sichtbar, schon gar nicht in den perfekten Bildern, die zu produzieren das tägliche Brot der Branche ist.

Gerade deswegen brauchen wir als Publikum auch den Kontext der Hintergründe und Zusammenhänge. In den meisten Berichten zur aktuellen Filmpreis-Saison ging es um die Probleme, die nun wirklich offensichtlich sind. So offensichtlich eben, dass sie sich medienwirksam skandalös verpacken lassen. Doch der Aufschrei #SoWhite und #SoMale kratzt nur an der Oberfläche.

Keine Veränderung, kein Umdenken

Auch, wenn im nächsten Jahr die Anwärterinnen-Struktur im Rennen auf die begehrten Auszeichnungen komplett anders aussieht – frauenlastig und divers – ändert sich die Film- und Unterhaltungsbranche dadurch nicht grundlegend. Eine faire Verteilung der Nominierungen ist ein Werkzeug, aber auch nicht mehr als das. Keine Veränderung, kein Umdenken, keine systemische Korrektur.

Die Probleme, die sich in den Hashtags ausdrücken sind nämlich nicht die Krankheit, sondern nur Symptome von ihr, die sie das ganze System betrifft. In einer Studie einer Initiative von der University of Southern California in Los Angeles kam beispielsweise Anfang 2019 heraus, dass weniger als vier Prozent der erfolgreichsten Filme Hollywoods von weiblichen Regisseuren stammen. Vier Prozent. So müssen einen die #SoMale Oscars schon weniger wundern – und es leuchtet ein, dass sich aus einer fairen Quote bei den Auszeichnungen noch lange keine faire Filmindustrie entwickeln wird.

Es gilt, eine kritische Haltung zu entwickeln

Werden für die großen Produktionen denn keine weiblichen Regisseure beauftragt, oder gar von Anfang an nicht in Betracht gezogen, weil Frau? Oder gibt es sie tatsächlich nicht in der Filmbranche? Gibt es sie dann auch weniger an Filmschulen? Weil man als Frau schneller auf die Idee kommt, Starlet zu werden, als hinter der Kamera zu stehen?

Ich weiß die Antworten auf diese Fragen nicht, würde aber gerne darüber lesen. Viel lieber, als die 100. Schlagzeile zu #SoMale / #SoWhite, die darauf hinweist, dass Ungerechtigkeit – nun ja – ungerecht ist. Mit den kritischen Tönen, die bei der Quotendiskussion mitschwingen, ist ein vielversprechender Anfang gemacht. Nun gilt es daraus eine kritische Haltung zu entwickeln und mit dieser dann etwas zu verändern. Und wenn die Filmwelt eine bessere wird, strahlt das vielleicht auch in den Rest der filmverrückten Welt, man kann nie wissen.