Entschädigungs-Streit um Hohenzollern

"Ich halte es für ein Unding"

Martin Sabrow ist Direktor des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam. Weil er kritisiert hatte, die Hohenzollern versuchten auf die Darstellung ihrer Rolle im Dritten Reich Einfluss zu nehmen, hat er eine Unterlassungserklärung vom Anwalt der Familie bekommen – wie viele andere Historiker und Journalisten. In einem offenen Brief hatte er dem Ururenkel von Kaiser Willhelm II. einen Eingriff in die Freiheit der Wissenschaft sowie Einschüchterung vorgeworfen

Herr Sabrow, Sie haben gerade eine einstweilige Verfügung vom Anwalt der Hohenzollern-Familie bekommen. Danach müssen Sie 250.000 Euro bezahlen, wenn Ihr Mitarbeiter Winfried Süß bestimmte Einschätzungen zur Rolle der Hohenzollern im Dritten Reich wiederholt. Worum geht es da eigentlich genau?

Die einstweilige Verfügung erging gegen Herrn Süß, der einer an das ZZF gerichteten Interviewanfrage nachkam. An mich richtete das Haus Hohenzollern bislang lediglich ein Unterlassungsbegehren, das allerdings dasselbe Gesamturteil betraf: dass die Hohenzollern nämlich eine geschichtspolitische Einflussnahme auf die museale Repräsentation ihres Hauses durch ein entsprechendes Mitspracherecht anstrebten. Dieser Streit hat aber nichts mit der fachhistorischen Einschätzung des Beitrags der Hohenzollern zur nationalsozialistischen Machtergreifung 1932/33 zu tun. Dazu liegen vier - sich fundamental widersprechende - Fachgutachten vor, die bis zu ihrer Enthüllung durch den Satiriker Jan Böhmermann irritierenderweise unter Verschluss gehalten worden waren.

In einem offenen Brief im "Tagesspiegel" haben Sie dem Chef der Hohenzollern jetzt vorgeworfen, er greife die Freiheit der Wissenschaft an und wolle Sie mundtot machen. Warum war es Ihnen wichtig, den Streit öffentlich zu machen?

Mir geht es nicht darum, eine bestimmte Sicht durchzusetzen, wohl aber darum, die Freiheit der zeithistorischen Diskussion zu sichern. Ich halte es für ein Unding, dass die öffentliche Meinungsbildung durch den juristischen Druck der Hohenzollern auf eine Ebene gewandert ist, auf der haarspalterisch etwa darum gerungen wird, ob eine angegriffene Äußerung sich auf einzelne Leihgaben oder aber auf Dauerleihgaben oder aber auf Ausstellungen bezog – und deswegen rechtlich jeweils unterschiedlich zu bewerten sei. Historische und juristische Erkenntnisbildung sind eben nicht deckungsgleich. Wie wollen wir in unserem Land in Zukunft über historische Fragen streiten, wenn unwillkommene Einlassungen von Anwälten für "unzulässige Meinungsbildungen" erklärt werden können, weil es ihnen angeblich "an ausreichenden sogenannten Anknüpfungstatsachen ermangelt"?

Wie hat die Familie auf Ihren Brief reagiert?

Bislang noch gar nicht. Ich erwarte nach wie vor, dass die Hohenzollern die einstweilige Verfügung gegen meinen Kollegen und ZZF-Mitarbeiter Winfried Süß zurückziehen und darüber hinaus explizit von ihrer Strategie abrücken, die fachliche wie allgemeine Urteilsbildung mit anwaltlichem Vorgehen gegen Kritiker steuern zu wollen, statt mit nüchterner Darstellung der eigenen Position und gegebenenfalls öffentlicher Richtigstellung zur Klärung strittiger Sachverhalte beizutragen.

Der Anwalt der Familie wirft Kritikern unter anderem vor, sie argumentierten mit falschen Tatsachen. Es stimme zum Beispiel nicht, dass die Familie Wissenschaftlern den Zugang zu ihrem Archiv verwehrt habe. 

In Bezug auf den Archivzugang liegen unterschiedliche Berichte vor. Von einer generellen Untersagung ist mir nichts bekannt, wohl aber auch aufgrund eigener Erfahrung in der Vergangenheit eine ausgeprägt dilatorische Behandlung von Anträgen auf Einsichtnahme und die Verweigerung jeder selbständigen Recherche. Ob diese Zurückhaltung auf eine generelle Abwehrhaltung oder interne Erschließungsdefizite zurückzuführen ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Auf seiner Website versichert der Hohenzollernsche Familienverband jetzt jedenfalls, dass sein Hausarchiv der Wissenschaft uneingeschränkt zur Verfügung stehe.

Auf dieser Website beantwortet die Familie jetzt auch die wichtigsten Fragen zu dem Streit. Lenkt die Familie jetzt in dem Streit ein?

Gestern hätte ich diese Frage noch mit "ja" beanwortet. Aber heute hat der Kollege Süß wieder Post vom Anwalt der Familie bekommen. Die Hohenzollern halten unbeirrt an ihrer Strategie fest und setzen den Rechtsstreit gegen ihn fort. 

Die Hohenzollern verhandeln seit Jahren mit dem Bund und den Ländern Berlin und Brandenburg über Entschädigungen für Enteignungen von Liegenschaften in der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone. Es geht um 1,2 Millionen Euro. Der Familie wird deswegen Habgier vorgeworfen. Teilen Sie die Kritik? 

Nein. Aber es geht um mehr. Mit der Geldentschädigung wäre die Rückgabe von umfangreichem Inventar aus den ehemaligen Hohenzollernschlössern verbunden; viele kulturhistorisch wichtige Gegenstände gehören heute zum Sammlungsbestand der Berlin-Brandenburgischen Museen. Hier sind erheblich größere Werte betroffen.

Einige Kritiker vergleichen die Hohenzollern sogar mit den kriminellen arabischen Clans. Woher, glauben Sie, rührt der Hass auf die Familie?

Dieser Vergleich ist absurd; er bedient eine Denkweise, die Sache und Satire nicht mehr trennen mag. Dass Geschichte sich gerne zweimal ereigne, zuerst als Tragödie und dann als Farce, wusste schon Karl Marx. Die Wiederholung dieses Stücks gibt der aktuellen Auseinandersetzung eine peinlich kleinkarierte Note und zeugt von einer geradezu grotesken Imagepolitik des Familienverbands. Mit seinem juristischen Vorgehen gegen Kritiker schädigt er ja nicht nur sein eigenes öffentliches Ansehen, sondern verdunkelt auch das historische Bild der Hohenzollerndynastie insgesamt, wie sich an der gegenwärtigen Debatte um die Rolle der Hohenzollern bei der nationalsozialistischen Machtergreifung zeigt. Manche Häme in den sozialen Medien wiederum, die sich über alles ergießt, was Privileg und Prominenz vermuten lässt, macht sich im Maß der geäußerten Verachtung nur selbst verächtlich. Insgesamt aber signalisiert das fast einhellige Kopfschütteln über die Forderungen der Hohenzollern, dass die Auseinandersetzung an das Selbstverständnis der Bundesrepublik und ihres geschichtskulturellen Hoheitsanspruchs rührt, der als bedroht empfunden wird.

Die Monarchie wurde vor über 100 Jahren abgeschafft. Ist der Rechtsstreit nicht ein Anachronismus?

Nein. Der Umgang mit den Erben von Monarchien ist immer schwierig, weil personelle Herrschaft die klare Trennung von staatlichem und privatem Eigentum kompliziert macht. Er ist in diesem Fall besonders schwierig, weil der preußische Fürstenausgleich von 1926 den Hohenzollern zahlreiche Besitztümer zusprach, die aber überwiegend in der späteren Sowjetischen Besatzungszone lagen und 1945 enteignet wurden. Das Ausgleichsleistungsgesetz von 1994 sicherte dafür Entschädigung unter der Bedingung zu, dass keine erhebliche Vorschubleistung für die beiden großen Diktatursysteme des 20. Jahrhunderts vorliege. Damit wurden auf unglückliche Weise juristische und historische Wahrheitsfindung zusammengebunden. Ein Ausgleich lässt sich angesichts dieser Voraussetzung heute nur mehr finden, wenn alle Beteiligten in gemeinsamer Verantwortung für das kulturelle Erbe des Landes konsensorientiert zu verhandeln bereit sind. Davon sind wir leider weit entfernt.

Kann man die Frage, ob die Familie dem Nationalsozialismus Vorschub geleistet hat, aus heutiger Sicht überhaupt noch eindeutig beantworten?

Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht eher nicht, das zeigen schon die vier vorliegenden Gutachten, die aus ihrem jeweils herangezogenen Quellenmaterial gegensätzliche Schlussfolgerungen ableiten. Historische Urteile folgen nie der Ja-oder-nein-Logik der gerichtlichen Entscheidungsfindung, sondern verstehen sich immer als zeitbedingt, revisionsfähig und perspektivenabhängig. Natürlich tragen Prinz August-Wilhelm als SA-Standartenführer (später sogar Obergruppenführer) und preußischer Spitzenkandidat der NSDAP sowie Kronprinz Wilhelm als zeitweiliger Hitler-Verbündeter eine in ihrem Ausmaß kontrovers diskutierte Mitverantwortung für die nationalsozialistische Machtübernahme.

Aber trägt diese Mitverantwortung nicht auch jeder einzelne der vielen Millionen Deutschen, die den Nationalsozialismus unterstützten? 

Der ehemalige Kronprinz war ein monarchischer Reaktionär, kein brauner Revolutionär. Er wollte sich Hitlers Macht zunutze machen, um eine neue Monarchie zu schaffen, und er musste erleben, dass umgekehrt Hitler sich seiner bediente und ihn dann abschüttelte. Das gilt im übrigen für den monarchisch gesinnten Adel überhaupt und auch für den preußischen Symbolort Potsdam, den Hitler nach dem Handschlag mit Hindenburg im März 1933 auffällig mied. 

Definiert sich Mitverantwortung nur juristisch? 

Nein, aber in rechtlicher Hinsicht liegt die Frage der Mitverantwortung womöglich einfacher als in fachwissenschaftlicher. Im Falle des deutschnationalen Pressezaren und Hitler-Unterstützers Alfred Hugenberg hat das Bundesverwaltungsgericht 2005 Kriterien dafür entwickelt, wie der Begriff des „erheblichen Vorschubs“ rechtssicher zu fassen ist: als fortgesetzte und erfolgreiche Verbesserung der Bedingungen für die Errichtung und Festigung der NS-Herrschaft, bei der es auf die subjektive Motivation nicht ankomme. Auf dieser Grundlage entschied das Bundesverwaltungsgericht übrigens, dass die Ausschlussklausel anzuwenden sei, und schloss Entschädigungsansprüche der Erben Hugenbergs aus.

Der Streit über die Rolle der Hohenzollern wird jetzt ausgetragen in einer Zeit, in der rechte und linke Ideologen um die Deutungshoheit kämpfen. Wie können Sie und die  hohenzollern-kritischen Historiker sich von dem Vorwurf befreien, Sie seien voreingenommen?  

Den Vorwurf finde ich befremdlich. Historiker forschen üblicherweise, weil sie Antworten auf drängende historische Fragen suchen, und nicht, weil sie für oder gegen etwas sind. Einem solchen Verdacht bin ich auch nicht begegnet, wohl aber einer überraschend breiten Solidarisierung mit der von mir getroffenen Feststellung, dass Historiker und Medien sich durch das anwaltliche Vorgehen gegen ihre Äußerungen in der Hohenzollernfrage eingeschüchtert oder gar existenziell bedroht sähen. Diese öffentliche Aufmerksamkeit tut der Sache gut, denn tatsächlich herrscht in der Auseinandersetzung um das Hohenzollernerbe keine Waffengleichheit.

Was meinen Sie damit?

Der Streit der Argumente und der Vergleich der Perspektiven werden durch juristische Spiegelfechterei ersetzt, wenn die von vier Gutachtern eingebrachte Expertise über die Stellung der Hohenzollern zu Hitler jahrelang verschlossen blieb, oder wenn der Hohenzollernanwalt in seinen Unterlassungsbegehren die fehlende Einbeziehung von Verhandlungsdokumenten rügt, die das Haus Hohenzollernaber seinerseits vor der Öffentlichkeit verborgen hielt.

Klingt völlig absurd.

Das ist es auch. Was wir brauchen, ist eine entschlossene Entkopplung von juristischer und historischer Betrachtung. Die Sprache von Unterlassungsaufforderungen taugt nicht, um historische Sachverhalte in ihren verschiedenen Facetten und Betrachtungswinkeln zu erhellen und die Diskussion über den angemessenen Umgang mit dem Hohenzollernerbe so zu führen, wie es der sensiblen und ausdifferenzierten Geschichtskultur unserer Gegenwartsgesellschaft ansteht.