Tony Cokes in München

Unsere Popkultur kann tödlich sein

Im Haus der Kunst in München zündet der Künstler Tony Cokes ein Feuerwerk aus Text, Farben und Beats. Seine Zitat-Collagen sind niemals ungefährlich und erzählen von der langen Geschichte der Manipulation

Es geht eigentlich alles so nüchtern los. Auf einfarbigen Hintergründen stehen in weißer, serifenloser Schrift die Kurzbotschaften des US-amerikanischen Künstlers Tony Cokes, die erst nach und nach zu einem Essay werden. In den beiden parallelen Ausstellungen – im Münchner Haus der Kunst und bis zum 11. September im Kunstverein – steigerte und steigert sich noch das Einfache bis zur Reizüberflutung. Denn in Cokes’ Videoarbeiten schiebt sich jede dieser Texttafeln über die vorherige. Dazu kommen Technomusik, Songtexte, Stimmen und einmal sogar ein zweiter Text als Newsticker.

Vieles ist von anderen Autoren geborgt, aus dem Kontext gerissen oder aus unterschiedlichen Jahrzehnten genommen (Hitlers Reden bekommen die gleiche Aufmachung wie Cokes’ eigene Gedanken), damit kein entspanntes, unkritisches Lesen möglich ist. Sowieso werden die meisten Besucher von dem Beat und von ihrem wippenden Fuß immer weiter in den nächsten Raum getrieben. Einerseits erinnert das alles an eine poppige Werbung, aber gleichzeitig auch an den Warnhinweis auf der Verpackung: Unsere Popkultur kann tödlich sein – zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Tony Cokes.

Ein Essay handelt davon, dass im Irakkrieg die Hits von Queen oder Britney Spears als Folterinstrument benutzt wurden. Meist ist es aber ein subtileres Böses, das Cokes in seiner 2003 begonnenen Serie "Evil" erforscht. Die entfaltet sich im Haus der Kunst entlang des Luftschutzkellers.

Früher waren es vor allem die US-amerikanischen Nationalfarben Rot und Blau, die bei Cokes den Hintergrund abgaben. Das ändert sich mit der mehrteiligen Auftragsarbeit "Some Munich Moments. 1937–1972". Jetzt sind es Münchens Olympiafarben Orange, Grün und Hellblau, die nicht bloß den Text, sondern die Botschaft tragen: Farben können verschiedenste Emotionen transportieren. Im Jahr 1972 sollte das Farbkonzept den größtmöglichen Kontrast zur NS-Zeit kreieren. Eine ganze Stadt verpasste sich ein Make-over. Diese Rekodierung wird bei Cokes – das ist die Leistung von Konzept und Form – Teil einer langen Geschichte der Manipulation, die bis heute andauert.