Interview mit Museumsdirektorin Plankensteiner

265.000 Objekte, 0 Provenienzforscher

Die Debatte um den Umgang mit Kunst aus der Kolonialzeit nimmt an Fahrt auf. Am Wochenende hat auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters mehr Aufarbeitung der Kolonialgeschichte gefordert. Doch was bedeutet das konkret für die deutschen Museen? Ein Gespräch mit Barbara Plankensteiner, Direktorin des Hamburger Museum am Rothenbaum für Kulturen und Künste

Frau Plankensteiner, Ende November haben die Wissenschaftler Bénédicte Savoy und Felwine Sarr in Paris ihren Bericht zur Restitution afrikanischer Kulturgüter vorgelegt. Am Wochenende hat jetzt auch die deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters erklärt: "Von Museen und Sammlungen erwarten wir die Bereitschaft, sich offen der Frage einer Rückgabe von Kulturgütern aus kolonialen Kontexten zu stellen." Geraten die deutschen Museen unter Druck?
Eigentlich nicht, das Thema ist ja schon lange im Gespräch. Im Museumswesen wissen wir alle, dass Handlungsbedarf besteht. Der Bericht hat aber ins Bewusstsein gerufen, dass auch die Politik sich mit diesem Thema beschäftigen muss. Bereitschaft zur Rückgabe gibt es in vielen Museen schon länger. Nach dieser Äußerung von Monika Grütters und Michelle Müntefering bleibt nun zu klären, wie die Entscheidungsträger in den jeweiligen Ländern und Städten zum Thema Rückgabe von kolonialem Raubgut in ihren Museumssammlungen stehen. Der nächste Schritt auf Seiten der Museumsdirektoren muss sein, dies in den ihnen vorgesetzten politischen Gremien zu klären, um konkrete Schritte setzen zu können.

Der Bericht von Savoy und Sarr fordert eine unverzügliche Rückgabe sämtlicher Objekte, die im Zuge kolonialer Eroberungen erbeutet wurden oder von französischen Kolonialbediensteten mitgenommen wurden; sowie alle Objekte aus wissenschaftlichen Expeditionen vor 1960. Stimmen Sie dem zu?
Über gestohlene Dinge brauchen wir nicht zu sprechen, das ist ein klarer Fall: Sie müssen zurückgegeben werden. Aber ich glaube nicht, dass man einen ganzen Kontinent und alle Menschen, die an Transaktionen beteiligt waren, nur als Opfer darstellen sollte. Diese Generalisierung haben ja auch afrikanische Kollegen schon bemängelt. Man muss genauer hinschauen, wobei es sehr schwierig sein wird, jeden Fall zu rekonstruieren.

Darauf geht der Bericht ein und fordert eine Umkehrung der Beweispflicht: Künftig sollen es die Museen sein, die den legalen Erwerb nachweisen müssen, wenn sie ein Objekt behalten wollen.
Es muss gemeinsam ausgehandelt werden. Beweise lassen sich in den wenigsten Fällen erbringen, daher muss man im Gespräch Entscheidungen treffen. Aber davon sind wir im Moment weit entfernt, auch in Frankreich übrigens. Man arbeitet im Museum stets unter bestimmten Regularien. Wenn der Senegal jetzt angeblich rund 10.000 Objekte zurückfordert, heißt das ja nicht, dass man einfach ins Depot geht, die Objekte in Kisten verpackt und zurückschickt. Es gibt einen unglaublich hohen Dokumentations- und Rechercheaufwand, es müssen zahlreiche Fragen geklärt werden: Gehört es überhaupt dem Senegal? Gab es den Senegal als Land überhaupt schon zur Entstehungszeit des Objektes? Oder wem genau gehörte es? Wenn Sie das Objekt für Objekt durchgehen, und das im Dialog mit ihren afrikanischen Kollegen, könnte das Jahre dauern. In unseren Museen, genauso wie zum Beispiel in historischen Museen, die vor allem auch Alltagsobjekte bewahren,  lagern hunderttausende Objekte. Die sind inventarisiert, aber nicht im Detail dokumentiert, weil die Sammlungen als Archive konzipiert waren. Das heißt, man erforscht projektbezogen, wenn man zum Beispiel eine Ausstellung oder ein Forschungsprojekt macht. Dabei beschäftigt man sich dann vielleicht mit 500 Objekten, was dann schon zwei Jahre in Anspruch nehmen kann.

Es ist außerdem ein offenes Geheimnis, dass viele der Objekte in einem miserablen Zustand sind.
So allgemein würde ich das nicht sagen, aber natürlich sind viele Stücke aus sehr empfindlichen organischen Materialien, vieles ist restaurierungsbedürftig.

Ist dann das oft wiederholte Argument, afrikanische Museen können nicht ausreichend konservatorischen Schutz bieten, nicht blanker Hohn?
Es gibt auf dem afrikanischen Kontinent eine Vielzahl an Museen, die unterschiedlich ausgestattet sind. Vom höchsten internationalen Standard bis hin zu begrenzten Ressourcen. Auch in Europa gibt es Museen, die die konservatorischen Bedingungen nicht erfüllen können. Deshalb finde ich dieses Argument schwierig.

Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp, Gründungsintendant des Humboldt Forums bis Juni 2018, scheint ohnehin keinen Handlungsbedarf zu sehen. Er hat gesagt, dass die Sammlungen der deutschen Museen im Geist der Aufklärung entstanden seien. Stimmen Sie ihm zu?
Das würde ich so nicht unterschreiben. Der Geist der Aufklärung wird mit Rationalismus gleichgesetzt, außereuropäische Kulturen wurden nach dieser Logik als das Gegenteil verstanden. Ethnografische Museen haben koloniale Projekte unterstützt und davon profitiert, doch haben sie auch das Ziel verfolgt, eine "Universalgeschichte der Menschheit" zu schreiben.

Aus westlicher Perspektive.
Ja natürlich. Man hat auch keine Skrupel gehabt, sich der Kolonialpolitik anzudienen. Es gab das hehre Ziel, Wissen zu vermitteln, aber gleichzeitig hat man dabei auch rassistische Klischees über "Naturvölker" weitergetragen, Menschen exotisiert, Stereotype bedient. Manche Museen tun dies auch noch heute. Wir müssen unsere Arbeit in dieser Hinsicht ständig hinterfragen. Um auf den Bericht von Savoy und Sarr zurückzukommen: Dieser Bericht ist wichtig, aber in der Umsetzung wird eine generelle Rückgabe so einfach nicht so zu realisieren sein. Das Ziel kann ja nicht sein, dass jedes Land jetzt sein nationales Kulturgut zurückholt.

Was kann das Ziel sein?
Eine gerechtere Aufteilung der Bestände. Und dass gestohlene Objekte zurückgegeben werden und jene Dinge, die wichtig für die Identität und Geschichte eines Landes sind.

Arbeiten Sie an Ihrem Museum konkret daran, Raubkunst und mögliche Rückgaben zu untersuchen?
Im Augenblick zu wenig, weil wir die Ressourcen für die Erforschung nicht haben. Langfristig wollen wir unsere Sammlung online stellen, damit Forscher, Forscherinnen und Communities überall auf der Welt Zugriff darauf haben und mehr Transparenz gewährleistet wird. Aber das ist noch ein langer Weg. Ich habe vor anderthalb Jahren in Hamburg angefangen. Unser Vorhaben ist es, das Museum zu dekolonisieren, und das umfasst eben weit mehr als Fragen der Restitution. Wir müssen die Dauerausstellung neu gestalten, weil wir die Inhalte nicht mehr vertretbar finden in ihrem jetzigen Zustand, wir müssen das Museum umbauen, das Depot renovieren. Wir haben das Museum umbenannt, und ein Diversifizierungsprogramm gestartet, das alle Bereiche des Museums betrifft. Wir wollen uns inhaltlich neu positionieren und in der Stadtgesellschaft neu verorten.

Wie viele Objekte befinden sich in Ihrer Sammlung?
Nach dem ethnologischen Museum in Berlin zählen wir mit München und Leipzig zu den größten ethnologischen Museen in Deutschland. Wir haben einen Sollbestand von ungefähr 265.000 Objekten. Das sind die inventarisierten Objekte. Es gab einen Kriegsverlust, und mehrere Depotumsiedlungen. Vieles lagert verpackt. Wir gehen dem in einer Inventur zurzeit nach, um zu eruieren, wie viele Objekte tatsächlich noch da sind.

Ist auch Raubkunst dabei?
Es gibt sicher Cluster von Raubkunst. Wir haben beispielsweise eine Benin-Sammlung, Objekte, die im Zusammenhang mit dem Boxeraufstand und dem Opiumkrieg zu uns kamen und anderes, was sicher unter den Begriff fallen würde. Eine genaue Antwort kann ich Ihnen da nicht geben, da die Sammlungen unter dieser Perspektive bisher noch nicht im Detail betrachtet wurden. Damit fangen wir gerade erst an. Die Provenienzforschung ist nicht einfach, weil ein großer Teil unserer Bestände über die Hafenstadt herkam. Von den Menschen, die hinter den Sammlungen stehen, wissen wir in vielen Fällen nur den Nachnamen und müssen erkunden: Wer waren diese Personen, wie kamen sie dorthin, wie kamen sie in den Besitz der Objekte? Das können Geschäftsleute gewesen sein, Matrosen, ein Wissenschaftler, oder ein Reisender.

Aber ist nicht auch bei Handelsobjekten von einer strukturellen Asymmetrie auszugehen?
Ja, in der Kolonialzeit gab es natürlich ein strukturelles Machgefälle. Wenn man ins Detail geht, lassen sich innerhalb dessen auf beiden Seiten allerdings auch diverse Handlungsstrategien feststellen. Auf beiden Seiten bestand zum Beispiel ein Interesse an "exotischen Dingen", die Schatzkammern der königlichen Sammlungen in Afrika zeigen ja, was auch dort  geschätzt wurde. Das Thema Forschungsreisen ist komplex. Man müsste sich anschauen, wann und unter welchen Umständen sie stattfanden und wer die beteiligten Personen waren. Durch die Analyse der Sammlungszusammensetzung lassen sich auch Rückschlüsse zu den Umständen des Erwerbs ziehen. Eindeutige Belege werden schwer zu finden sein.

Wie groß ist Ihr Team, um all dies aufzuarbeiten?
Es ist viel zu klein. Unsere Museen gelten als gut ausgestattet, wenn sie pro Regionalabteilung, die in der Regel einen Kontinent umfasst, einen Kurator oder eine Kuratorin haben. Wenn man in einer Afrikasammlung also zum Beispiel 10.000 Objekte nur aus dem Senegal hätte, wird klar, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist für einen zuständigen Kurator, die Sammlung in Gänze zu erforschen.

Wie viele Kuratoren haben Sie?
Kuratoren haben wir dreieinhalb. Dazu kommen Projektkuratorinnen über Drittmittel. Für Provenienzforschung bräuchten wir eigene Mitarbeiter.

Sie haben momentan keinen Mitarbeiter für Provenienzforschung?
Nein. Aber wir bräuchten jemanden und hoffen, dass es uns zumindest über Projektmittel gelingt, jemanden zu beschäftigen.