Erinnerungen an Okwui Enwezor

Die Schönheit des Unterschieds

Okwui Enwezor 2013 bei einer "Poetry Session" in der Installation "Gramsci Monument" von Thomas Hirschhorn im Forest Houses in New York
Foto: Romain Lopez

Okwui Enwezor 2013 bei einer "Poetry Session" in der Installation "Gramsci Monument" von Thomas Hirschhorn im Forest Houses in New York

Okwui Enwezor gab den Künstlern das, was sie von einem Kurator am meisten brauchen: Rückhalt und Vertrauen. Ein Nachruf von Thomas Hirschhorn

"Being Different Is Beautiful" – das ist es, was Okwui Enwezor verkörpert hat. Ich will hier versuchen, zum Anlass seines Todes mein Zeugnis der Zusammenarbeit zwischen Künstler und Kurator zu geben. "Being Different is Beautiful" - dieser Satz fiel in einem Gespräch, das ich mit "First Nation"-Einwohnern aus Saskatoon, Saskatchewan, Kanada, während einer Recherche führte. Ich denke, dass dieses Zitat auf das, was Okwui Enwezor gelebt und in der Kunst problematisiert hat, zutrifft. Okwui war anders und er war schön.

Okwui hat Anderssein demonstriert, mit seinem ganz eigenen Verständnis von Kunst, seinem Humor, seinem Vertrauen in die Kraft der Kunst, seiner Sensibilität, seiner Vision einer Grenzen sprengender Kunst, seiner Eleganz. Ich habe mich immer über seine Eleganz – nicht die der Kleidung – gefreut, die ich als ein Versprechen verstanden habe, ein Versprechen für das Außergewöhnliche der Kunst. Ich habe auch seine natürliche Autorität, seine Sicht auf die Realität, seine Bereitschaft, in ihr zu agieren, und seinen unwiderstehlichen Charme bewundert. Er hat das Anderssein vorgelebt, neben und mit seiner herausragenden Kompetenz, unvergessliche Ausstellungen zu schaffen, die wirkliche Setzungen waren und die in die Kunstgeschichte eingegangen sind.

Sein Humor war eine Einladung

Sein Humor – den er gerne und oft anwandte, um noch offene Fragen praktischer Art zu entdramatisieren – hatte eine entwaffnende Wirkung. Sein Humor war immer eine Öffnung für den anderen und auch eine Einladung, den anderen zu implizieren. Für mich war es ein Ereignis, mit ihm zusammenzuarbeiten, und ich will aus meiner Perspektive beschreiben, was das Einzigartige daran war.

Zuerst war da sein unheimliches Vertrauen, sein Selbstvertrauen aber auch das Vertrauen, das er in die Künstlerinnen und Künstlern und ihre Arbeiten hatte. Dieses in einer ruhigen und bestimmten Art übermittelte Vertrauen hat wiederum den Künstlern Vertrauen in ihre Arbeit geschenkt. Dieses Vertrauen des Kurators den Künstlern und ihrer Position gegenüber zu spüren, war das Schönste - und für mich das Wichtigste. Okwui hatte keine Angst, wenn es um die Kunst ging, nicht vor den Künstlern und nicht vor der Kunstkritik, geschweige denn vor dem Kunstmarkt. Vor allem hatte er keine Angst vor der Kunst der Künstler, mit denen er arbeitete. Er wusste, dass es keine Absicherung, keine Gewissheit, keine Garantie, kein Sicherheitsgeländer gibt, wenn es um Kunst geht.

Seine Ausstellungen waren immer widerständig

Mit seinem Vertrauen in eine ausgestellte Arbeit hat er aber genau diese Unsicherheit, dieses Ungewisse, dieses Fragile, dieses Prekäre als Widerstand benutzt, und so waren auch seine Ausstellungen immer widerständig. Okwui hatte ein nahezu unbegrenztes Wissen, über Kunst, Poesie, Philosophie, Politik – was mich wie wohl alle, die mit ihm gearbeitet haben, sehr beeindruckt und was ihm einen gedanklichen Vorsprung gegeben hat.

Nie kam Okwui mit irgendwelchen kulturnationalistischen, kleinlichen, kritischen, skeptischen Fragen. Er wusste, was er tat, und er war souverän darin. Seine Entscheidungen, warum er diese oder jene Arbeit ausstellte, ergaben immer Sinn. Nie habe ich erlebt, dass mit ihm darüber diskutiert oder argumentiert wurde. Wenn ich sage "nicht diskutiert", so meine ich nicht, dass es keinen Austausch oder keine Fragen und Antworten gab, sondern dass es keine journalistische, auf Fakten reduzierte Diskussion mit Okwui gab. Vielmehr  basierte der Austausch auf einem grundsätzlichen Einverständnis zwischen Kurator und Künstler. Diesem Einverständnis lag immer seine souveräne Entscheidung zugrunde. Ich dachte und ich denke: So muss die ideale, die richtige Zusammenarbeit von Künstler und Kurator sein – mit absolutem Vertauen.

Wenn sich Okwui dann für eine Arbeit entschieden hatte, bekam man einen Text zum Ausstellungsprojekt, indem der Kurator seine Gedanken zur geplanten Ausstellung zusammenfasste. Diese Texte waren immer stark und konsistent, sie waren aufgeladen mit intellektueller Kohärenz und mit einer poetischen Dimension – man konnte erkennen, dass Okwui ein begnadeter Poet war. Seine Texte waren erhellend, weil er es verstanden hat immer wieder ein neues Licht auf Zusammenhänge zu werfen und dafür die Kunstwerke als Werkzeuge zu benutzen. Als Werkzeuge, sich mit der Zeit, in der wir leben, zu beschäftigen, als Werkzeuge sich mit der Realität auseinander zu setzen, und als Werkzeug, die Welt kennen zu lernen.

Seine Ausstellungsprojekt-Texte waren so klar und präzise, dass sie einem eine ursprüngliche Lust gaben, mitzumachen und eine Ausstellungsbeteiligung zu bejahen. Für mich stand das sowieso nie in Frage. Seine Texte gaben einem Elan mitzumachen und Rückhalt, um eine Form zu geben. Von Okwui Enwezor eingeladen zu werden hieß, dass man einen Beitrag zu etwas Wichtigem, zu etwas Neuem und zu etwas Organischem leisten konnte. Organisch, weil seine Ausstellungen wie ein atmender Körper lebendig waren, auch deshalb, weil Okwui bis zum letzten Augenblick mit Übersicht und mit Vertrauen in seinen Instinkt Arbeiten in einer Ausstellung umhängen oder anders platzieren konnte. Das Resultat war jeweils überzeugend, weil sein Ansatz richtig war.

Mobilisieren statt Erklären

Ich habe seine lockere und gleichzeitig konzentrierte Präsenz während der Aufbauzeit sehr geschätzt. Es gab einem als beteiligter Künstler Mut, es gab einem Hoffnung. Wie seine Texte waren seine Eröffnungsreden voller kreativer Kraft und Wortgewalt, es waren klare Positionierungen. Er verstand es, statt zu erklären, zu mobilisieren. So sehr, dass man ungeduldig wartete, selbst auf die "Erfahrungsreise Kunst" in seinem Ausstellungen gehen zu können. Okwui hat sich im Anderssein, im Unterschiedlichen emanzipiert und gleichzeitig hat er an die Gleichheit geglaubt.

Ich habe in Erinnerung ,wie er immer auch Assistenteninnen und Assistenten ernst genommen und sie mit Respekt behandelt hat. Okwui besaß das Verständnis und er hat vorgelebt, dass es um ein Zusammenarbeiten geht. Er hat für mich vorgelebt, dass alles wichtig ist, dass alles zählt, dass jeder und jede wichtig ist und dass es nichts Unwichtiges gibt. Auch hier gilt: "Being Different is  Beautiful." Von Okwui strömte etwas Erhabenes und Königliches aus, etwas das er einzigartig mit Engagement, seinem Engagement für die Kunst, gebündelt hat.

Okwui war stolz und würdevoll, er verkörperte die Würde eines Menschen, Kunstbetrieb hin oder her. Er verstand und wusste, was es heißt, alleine zu sein, und er hat seine Würde und seinen Stolz nie aufgegeben. Er war stark, verletzlich und weise. Okwui hat einmal diesen Satz zu mir gesagt, an den ich immer denken werde: "There is a time for work and there is a time for celebration." Dem müssen wir nun hinzufügen: "Und es gibt eine Zeit zum Traurigsein."