DDR-Tech und Ost-Pop

Mal nicht mitreden können

 Die Schauspielerin Svenja Jung bei Dreharbeiten zur Fernsehserie "Deutschland 89" mit einem Rechner der DDR-Marke Robotron
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Die Schauspielerin Svenja Jung bei Dreharbeiten zur Amazon-Serie "Deutschland 89" mit einem Rechner der DDR-Marke Robotron

Westdeutsche können sich kaum vorstellen, wie es ist, wenn eine komplette Popkultur von einem Tag auf den anderen weggefegt wird. Wie wäre es, in einer Welt zu leben, in der statt von Nintendo alle nur vom Robotron KC85/4 und der Bildschirmkonsole 01 reden, fragt sich Monopol-Kolumnist Ji-Hun Kim

Dieser Tage wird bekanntlich extensiv über 30 Jahre Mauerfall berichtet, evaluiert, neu einsortiert und bei vielen ob Sättigung auch schon wieder abgewunken. "Kann ich alles nicht mehr hören", heißt es dann. Eigentlich dachte ich, man sollte als versnobter Besserwessi, der ich unfreiwillig bin (und dann auch noch mit koreanischen Eltern), in diesem Diskurs "ausnahmsweise" mal den Rand halten und zuhören. Eine kleine Geschichte möchte ich dennoch teilen. Weil sie eben vom Zuhören handelt.

Und zwar geht es um den Abend, als ich vor einigen Jahren das erste Mal die Familie meiner Freundin kennenlernte. Oma, Opa – der gesamte Verein wurde rangekarrt. Die Stimmung awkward, was wahrscheinlich die traditionsgemäße Basis solcher Zusammenkünfte ist. Aber man kann sich so was schön reden, indem man zu wissen glaubt, dass es das letzte Kennenlerntreffen dieser Art ist. So etwas nennt man dann Zweckoptimismus.

Die Familie stammt aus einem kleinen Ort in der Nähe der Stadt Brandenburg. Eine Autostunde von Berlin entfernt, Potsdam quasi in Spuckweite. Oft schon hatte ich diese Gegend im Zug oder Auto passiert. Ist seit 30 Jahren das gleiche Deutschland – was wird hier schon groß anders sein als in der Lüneburger Heide oder im Münsterland? Sieht identisch aus.

Was zur Hölle ist ein Moskwitsch?

Aber, wenn sich mehrere  Familiengenerationen treffen, geht es oft um frühere Zeiten. Und als über Erlebnisse in der damaligen DDR gesprochen wurde, stellte ich fest, dass ich zwar die Sprache verstand, die Inhalte aber nicht. Irgendwann sprach der Tisch über Autos, genau mein Thema, motivierte ich mich noch. Als plötzlich die Rede von irgendwelchen Spanplatten war, die offenbar in Moskwitschs verbaut wurden und dabei laut gelacht, wunderte ich mich: Spanplatten in Autos? Und was zur Hölle ist ein Moskwitsch? Wenn auch kaum 100 Kilometer von meiner Kreuzberger Wohnung weg, fühlte ich mich weiter von meiner seelischen Heimat entfernt als im 10.000 Kilometer entlegenen Korea. Wie absurd eigentlich.

Es war mir eine Lehre, mal nicht mitreden zu können. Ich bin wie die meisten im Westen mit viel Technik, Gadgets, Popkultur und Konsum groß geworden. Ein einziges gigantisches Referenzsystem, das bis heute Gültigkeit besitzt: meine erste Atari-Konsole mit Pac-Man und Space Invaders, Lego, Transformers, Barbie, "Star Wars", Rick Astley, "Formel Eins" mit Stefanie Tücking, "Rocky" I-IV, "Bravo", die großen Ruhrgebietsfußballvereine und Super Mario.

Wie ich doch während meiner Jahrzehnte im wiedervereinten Berlin immer wieder ignorant und arrogant über DDR-Popmusik, Trabis und VEB-Flohmarkt-Technik gerichtet und geunkt habe. Gibt’s doch alles nicht mehr. Muss seine Gründe haben. Kann nur desolat gewesen sein. Richtig schlechtes Zeug. Wenn Freunde aus dem Osten mit leuchtenden Augen über DDR-Spielzeug faselten, zuckte latent gelangweilt meine rechte Augenbraue. "Was bitte? Thale Stahlbautechnik Metallbaukasten? Bei uns heißt das Fischertechnik!"

Durch Marken wird das Leben auch nicht besser

Es ist für Außenstehende schwierig zu antizipieren, wie es ist, wenn ein popkulturelles Narrativ wie das der DDR von einem Tag auf den anderen wie durch einen Nuklearschlag weggefegt wurde. Wie es wäre, in einer Welt zu leben, in der statt von Nintendo und C64 mit Gianna Sisters alle nur vom Robotron KC85/4, dem Game "Hase und Wolf" und der BSS01 (Bildschirmkonsole 01) reden. Wenn statt Miele-Haushaltsgeräten AKA Electric der hochwertige Traditions-Shit wäre. Wenn statt Synthesizern von Moog oder Roland, das hier die Genese von elektronischer Popmusik bedeutete:


Wenn Kameras von Canon belächelt würden, weil doch heute alle mit Pentacon knipsten und mein originalverpackter 80er-Walkman von Sony den Plastikschrott nicht wert wäre, weil auf dem Vintage-Sammlermarkt alte "Stern-Radios" Höchstpreise erzielen.

Ich habe tatsächlich drei Viertel meiner Lebenszeit gebraucht, um das nachzuvollziehen. So richtig verstehen lässt sich das weiterhin nicht. Muss es vielleicht auch nicht. Aber wahrscheinlich ist es für den Einzelnen egal, ob die erste Schallplatte von Amiga oder Ariola gewesen ist. Ob der erste Sneaker von Adidas oder die erste überteuerte Jeans von Chevignon. Es ist auch Latte, ob die Schultüte zur Einschulung mit Zetti und Halloren statt mit Haribo und Milka gefüllt wurde – es bleibt für alle der erste Schultag und Karies kriegt man von alledem.

Noch egaler wird es sein, ob man auf die erste ekstatische Party seines Lebens mit Freunden im Wartburg oder Opel Kadett tuckerte. Ich habe in den letzten Jahren gelernt: Es ist vor allem eine Frage des Respekts, formative Lebensabschnitte und persönliche Erfahrungen nicht qualitativ zu bewerten, nur weil die Marken-Umgebung eine andere gewesen ist.

Und hier geht es ausnahmsweise auch nicht um obsolet gewordene politische Systeme. Im Westen scheint mir die Einsicht selbst nach 30 Jahren noch nicht angekommen. Aber Zuhören hilft, dann hat das nämlich alles auch mit plumper Ostalgie nichts mehr zu tun. Darauf einen Dujardin.