Essay

Die Revolte der Künstler

Kunst als politischer Protest – kann das funktionieren? Egal, die Lage ist zu ernst für Zweifel. Die Kunstszene begehrt auf, und die Künstler werden aktiv, nicht nur in den USA. Dieser Aufruhr hat Substanz, und er wird bleiben

Als Trump auf die Vereinigten Staaten schwor, besuchte Angela Merkel das neu eröffnete Museum Barberini in Potsdam. Liveübertragung war für sie offenbar kein Thema. Das wirkte, wie die Kanzlerin seit Jahren häufig wirkt: ziemlich cool. Während sie als Teil der politischen Klasse entspannt Kunst guckt, schaut die kreative Klasse in den Spiegel und sieht sich selbst politisiert.

Und das ist überhaupt nicht ungewöhnlich. Steht die Welt in Brand, geht die Kunstwelt in sich und reagiert regelmäßig auf zweierlei Arten. Man will das Kunstmachen aufgeben, um etwas anderes, Nützliches zu tun. Oder wenigstens mit der eigenen Kunst etwas irgendwie Brauchbares beisteuern. Sei es nun, weil der sogenannte Brandstifter und Neo-Nero Trump wirklich krasser ist als mancher vor ihm, oder sei es, weil die Kunstwelt mehr als jede andere an Gegenwartseitelkeit krankt, also davon ausgeht, die eigene Zeit sei per se die wirklichste: In diesen Tagen sitzt der Kunstbetrieb aufgeschreckt aus einem tiefen Schlummer im Bett wie eine angezündete Kerze. Im Angesicht der Apokalypse flackert sie im Wind. War sie einfach jahrelang ein bisschen zu cool? Oder realisiert sie, dass es auf sie nun wirklich ankommt?

Kurz nach der US-Wahl schrieb die amerikanische Filmregisseurin Katherine Brooks in der „Huffington Post“: „Liebe Künstler, wir brauchen euch mehr denn je.“ Das ist ein ziemlich verrückter und unzeitgemäßer Gedanke. Besonders angesichts der drastischen Wahlniederlage, bei der eben erst sehr viele Künstler, Musiker und Schauspieler für Hillary oder zumindest gegen Trump mobilisiert hatten. Es hat ja nichts genützt.

Man kann es als besonders erstaunliches Vorkommnis der jüngeren Geschichte der Kunst sehen, dass kein Musiker von Rang zur Inauguration von Donald Trump spielen wollte. Mit Sicherheit fühlte sich der Medienpräsident dadurch ernsthaft persönlich beleidigt. Aber hat der Horrorclown uns allen nicht dennoch knallhart gezeigt, dass wir in einer Blase leben, in der alle Teilnehmer nur zu sich selbst sprechen und aus der es kein Entkommen und schon gar keine Verbindung zur Welt gibt? Ein seltsames, ernsthaftes Trotzdem wimmelt seitdem durch eben jene Bubble aus sozialen Medien, Ausstellungseröffnungsgesprächen und dem Inhalt internationaler Kunstmagazine.

In die Blase ragt plötzlich doch Welt hinein, Kunstmenschen gehen auf die Straße, gemeinsam mit allen anderen. Selbst die narzisstischsten, diabolischsten Selbstdarsteller des Betriebs stehen auf Protestmärschen, brüllen und filmen. Es macht Mut. Und vor allem: Es geht nicht weg. Es scheint dieser Tage, als sei ein Kampf angenommen und #resist unser Zeichen.

Als Antwort auf den travel ban hängte das MoMA an prominenter Stelle große Werke muslimischer Künstler in die heiligen Hallen. Was an sich problematische Fragen aufwirft, aber immerhin den Beginn einer Diskussion markiert. Anish Kapoor schuf eine von Joseph Beuys inspirierte Protestarbeit, Richard Prince zieht die Autorschaft an seinem Werk zurück, das er an Ivanka Trump verkauft hat. Es gibt plötzlich unzählige solcher Beispiele.

Der Tatendrang hat konkrete Gründe: Die Trump-Regierung beschloss sofort dramatische Einschnitte bei der staatlichen Förderung der Geisteswissenschaften. Die NGO Freemuse, die sich um die Rechte auf freie Meinungsäußerung kümmert, veröffentlichte Mitte Februar ihren Jahresbericht 2016, in dem 1028 Verletzungen der künstlerischen Freiheit in 78 Ländern dokumentiert sind. Und damit 120 Prozent mehr als im Vorjahr.

Ein weiterer Grund scheint mir allerdings, dass Trump der Kunstszene etwas weggenommen hat. Er hat ihr ein Stück DNA entrissen: Bisher war es das ureigene Privileg der Künstler, alternative Realitäten zu erzeugen. Donald Trump ändert genau das gerade. Er wurde bereits vor der Wahl öfter als Konzeptkünstler bezeichnet. Die „New York Times“ schrieb, er sei „ein Surrealist. Seit Salvador Dalí hat niemand so entschlossen Realität und Halluzination durcheinandergebracht.“ Gemeinsam mit seinem Berater Steve Bannon agiert der amerikanische Präsident bereits wie Putin und sein langjähriger PR-Stratege Wladislaw Surkow, der nachweislich von der russischen Performance-Art beeinflusst ist: Sie erschaffen neue, widersinnige, künstlerische Realitäten, deren Ziel es ist, die politischen Diskurse in einen Raum zwischen real und fake zu führen und sie dort nach den Regeln der ­Unterhaltungsindustrie und Konzeptkunst aufzulösen. Der Autor ­Georg Seeßlen schreibt in seinem Buch „Trump! ­Populismus als ­Politik“: „Es müssen Bilder her, wo Texte waren, es muss Mythos her, wo Geschichte war, es müssen Emotionen her, wo Logik war.“ Hauptsache, alles ist vergiftet.

Der Wirkmacht dieser fundamental neuen Sprache, die Trump benutzt, ist schwer beizukommen. Die beschleunigte Wirklichkeit, die sie erzeugt, ist viel irrer, überdrehter, lustiger, härter, als es eine Satire vermag. Wenn die Vernunft, die sprachliche Logik und die Regeln außer Kraft gesetzt sind, von dem Ort aus, der für Vernunft, sprachliche Logik und Regeln steht, dann ist alles möglich. Dann steht die Welt kopf. Und wenn die Welt kopfsteht, dann braucht sie keine Kunst mehr, um sie auf den Kopf zu stellen. Wenn jemand sowohl die Wahrheit als auch die Lüge für sich beansprucht, lässt er der Alternative wenig Spielraum.

Man selbst verbleibt bei der stumpfen Diskussion um echo chambers und filter bubbles, die wiederum darauf verweisen, wie wir online und im realen Leben in versprengten Gemeinschaftsnischen existieren. Deswegen ist die alte, fast vergessene Frage plötzlich so extrem interessant: Was tun?! Die Kunstwelt malt Schilder und vergewissert sich bei der Aufführung eines aktivistischen Anti-Trump-Symboltheaters ihrer selbst. Eine gute Sache!

Der Kunstkritiker Ben Davis erinnerte gerade daran, dass die Arbeiten, die Bertolt Brecht und John Heartfield während Hitlers Machtergreifung gemacht haben, womöglich die besten seien, die sie überhaupt hervorgebracht haben. Vor allem aber wies er drauf hin, dass die linken (und auch rechten) Aktivisten damals entschiedener und um einiges besser organisiert waren.

Das Schlimmste wäre wohl, wenn der Narzissmus-Präsident nun auch noch die Empfindlichkeit vereinnahmt. „Pure Vernunft darf niemals siegen“, sang der Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow zu einer anderen Zeit. Merkel, die Vernünftige, schaut weg und macht uns so etwas vor. Womöglich geht es ja darum, sich dem hyperbolischen Akzelerationismus Trumps zu entziehen. Vielleicht geht es um Konzentration. Sicherlich wird es bald darum gehen, neue Strategien zu diskutieren. Vielleicht aber brauchen wir in diesen Zeiten auch einfach noch bessere Lügen? Wie diese aussehen könnten, werden die Künstler zeigen.