Interview mit Helmuth Albrecht

"Welterbe schafft Weltoffenheit!"

Helmuth Albrecht schaut aus dem Fenster der Berkakademie
Foto: Sven Döring

Nach langem Ringen um den Welterbetitel kann Helmuth Albrecht mit Stolz auf die einmalige Industrielandschaft schauen

Der Freiberger Industriearchäologe Helmuth Albrecht gilt als der eigentliche Kopf hinter der Bewerbung des Erzgebirges um den Welterbetitel. Hier spricht er über Zukunft und Tradition der Region

Herr Albrecht, Sie gelten als der wichtigste Strippenzieher, wenn es um das 20-jährige Ringen um den Welterbe­titel für das Erzgebirge geht. Wie ist es eigentlich dazu gekommen?
Helmuth Albrecht: Ich erhielt 1995 einen Lehrauftrag an der TU Bergakademie Freiberg. Damals bin ich mit meinem Vorgänger Otfried Wagenbreth, einem ausgesprochenen Experten für Technikgeschichte, durch die gesamte Region gefahren. Er hat mir gezeigt, dass hier eine Wiege der deutschen Industrialisierung stand. Diese Relikte wollte ich zum Sprechen bringen und in den ­gesellschaftlichen Kontext einordnen. Daher mein Engagement für die Bewerbung.

Die Anfänge der Titelbewerbung fielen in eine Zeit, in der die Industriekultur in Sachsen noch relativ stiefmütterlich behandelt wurde.
Ja, wir haben damals eine Studie erstellt, die in Dresden in der Schublade verschwunden ist. Ich habe daher bei der damaligen Regierung nachgefragt. Die Region, so hieß es dort, solle erst einmal zeigen, dass sie die Bewerbung auch wirklich wolle. Daraufhin haben wir 2003 einen Förderverein gegründet und 35 Kommunen, drei deutsche Landkreise und die tschechische Seite mit ins Boot geholt. So ist dann Stück für Stück ein Graswurzelprojekt entstanden. Diese Bewegung von unten erklärt auch den langen Bewerbungszeitraum.

Sie haben damals die Leitung einer wissenschaftlichen Projektgruppe übernommen. Hatte Ihr großes Engagement auch persönliche Gründe?
Ich komme aus einer alten Bergmannsfamilie, wollte selbst aber keinen Bergbau studieren. Zunächst habe ich mit Elektrotechnik begonnen, aber das Studium gefiel mir nicht. Über einen Klassenkameraden bin ich dann zur Geschichte gelangt und habe das Studium mit Physik kombiniert. Irgendwann habe ich dann über Wissenschafts- und Technikgeschichte promoviert.

Das ist die akademische Seite. Haben Sie sich aber nicht auch ein bisschen verliebt in die Erzgebirgsregion, so leidenschaftlich, wie Sie diese dann später vertreten haben?
Für mich war bei meiner Ankunft in Freiberg klar, dass ich in dieser Stadt nicht nur lehren, sondern auch wohnen möchte. Ich habe ein altes Haus aus dem 16. Jahrhundert in der Freiberger Innenstadt gekauft und renoviert. Eine Rolle spielte auch, dass ich als Student in den Semesterferien immer wieder für Bergbaufirmen unter Tage gejobbt habe.

Reden wir über die Montangeschichte in Freiberg. Die begann mit den ersten Erzfunden im Jahr 1168.
Das waren die Anfänge. Im 16. Jahrhundert dann wird das Erzgebirge zum Motor der technischen Entwicklung, vor allem in der Wasserwirtschaft, aber auch in der Aufbereitung und im Hüttenwesen. Das strahlte auf ganz Europa aus, und das ist auch mit ein Grund für unseren Welterbeantrag. Hier sind Fachleute aus Europa und anderen ­Kontinenten ausgebildet worden. Um 1800 hatte die Bergakademie unter Abraham Gottlob Werner eine riesige Strahlkraft nach außen.

Sind es also vor allem die histo­rischen technischen Anlagen, die die Region so besonders machen?
Das Entscheidende beim Welterbe ist, dass sie es an materielle Dinge knüpfen müssen – anders als etwa beim immateriellen Kulturerbe wie dem Tango oder der französischen Küche. Relevante immaterielle Werte müssen sich in Gebäuden oder Strukturen spiegeln. Gott sei Dank haben wir das Original­gebäude der Bergakademie. Die Traditionspflege – wie zum Beispiel die Bergparaden – ist eng mit der Religion, also mit den Kirchenbauten und ihren Bergaltären oder Knappschaftsgestühlen verbunden. Darin ist das Erzgebirge einmalig.

Sie haben für die Bewerbung nicht das gesamte Erzgebirge vorgeschlagen, sondern haben 22 Bestandteile ausgewählt. Nach welchen Krite-rien sind Sie vorgegangen?
Die 22 Bestandteile sind mit dem Abbau der Hauptmetallarten Zinn, Silber, Kobalt, Eisen und Uran verbunden, letzteres ein Alleinstellungsmerkmal im Welterbekontext. Neben den Bergwerken gehören besonders die Städte Freiberg, Annaberg, Marienberg, Schneeberg, auf tschechischer Seite Krupka, Jáchymov und BoŽí Dar dazu. Über 50 Bergstädte sind hier einst in einmaliger Dichte entstanden. Schließlich kommen noch die Landschaften hinzu, die Halden, aber auch die Wasserversorgungssysteme. Alle 22 Bestandteile sind unterirdisch durch ein Wasserversorgungssysteme verbunden. Touristisch werden wir aber die Gesamtregion vermarkten und nicht nur die einzelnen Welterbestätten.

Wie kann der neue Welterbetitel bei dieser Vermarktung helfen?
Alle Untersuchungen zu den Effekten zeigen, dass so ein Titel nur dann etwas bringt, wenn man auch etwas daraus macht. Dann kann Welterbe zum Image einer Region beitragen. Es stärkt das Selbstwertgefühl und das Selbst­bewusstsein. Wenn sie heute Welterbe werden wollen, dann übernehmen sie aber auch einen Vermittlungsauftrag nach innen; sie müssen den Welterbegedanken in der Region verankern. Welterbe bedeutet kultureller Austausch, Weltoffenheit und Einsatz für den Frieden.

Es geht also nicht nur um Vergangenheitsbeschwörung angesichts einer verbreiteten Skepsis gegenüber der Zukunft?
Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht richtig gestalten. Die Menschen hier tragen die Tradition in ihrem Herzen. Das zeigt schon der verbreitete Gruß "Glück auf!". Mit dem Stolz vermitteln wir Selbstbewusstsein – der Treibstoff für künftige Entwicklungen.