Künstler Mat Collishaw über KI in der Kunst

"Wir bauen uns ein digitales Gefängnis"

Der Künstler Mat Collishaw mit einem seiner Werke, einem animierten Skelett
Foto: Courtesy ZDF, Matthew Marschner, Lona Media

Der Künstler Mat Collishaw mit einem seiner Werke, einem animierten Skelett

Neue Technologien interessieren den Künstler Mat Collishaw vor allem, wenn er damit in die Vergangenheit schauen kann. Ein Gespräch über künstliche Intelligenz in der Kunst und die Ausbeutung menschlicher Verletzlichkeit durch Tech-Firmen


Mat Collishaw, welche Rolle spielen neue Technologien in Ihrer Arbeit?

Es interessiert mich sehr, neue Techniken zu benutzen, und diese sind in viele meiner Werke eingearbeitet. Ich bin fasziniert davon, wie das Digitale unser Denken und Verhalten beeinflussen kann. So wird es Teil unseres Lebens. Inzwischen ist moderne Technologie in beinahe alles integriert, das wir tun. Also ist es nachvollziehbar, dass sie auch Teil der künstlerischen Palette wird. Aber mich interessiert auch, wie wir selbst bis zu einem gewissen Grad mechanisch sind. Wir sind menschliche Wesen und erben Gene, die vor Generationen, vor hunderten, nein tausenden von Jahren, programmiert wurden. Wir sind gewissermaßen auch programmiert, also ist es die Interaktion zwischen Technologie und uns als Maschinen, die mich besonders interessiert.

Wie integrieren Sie diese Technologien in Ihre Kunst?

Ich denke, ich bin ein sehr formaler und traditioneller Künstler, und viele meiner Einflüsse kommen aus der Geschichte: der Kunstgeschichte, aber auch der allgemeinen Historie. Um nicht in diesen Ansätzen stecken zu bleiben, finde ich es wichtig, moderne Werzeuge zu benutzen, sie in meine Arbeit einzubinden und sie so relevant zu machen. Aber ich benutze auch historische Ideen und und verknüpfe sie mit digitaler Technologie, um eine Linie zwischen dem, was heute passiert und Ereignissen der Vergangenheit zu erschaffen. Die Kunst, die ich mache, kann eine Brücke darstellen. Dinge, die vor hunderten von Jahren passiert sind, werden mit dem beschleunigten Fortschritt von heute verbunden. Aber jedes Werk ist verschieden, auch wenn sich Themen wiederholen, hat jedes eine eigene Idee oder eine Absicht, die ich verfolge. Es ist schwer, über alle gleichzeitig zu reden. 

Über welches wollen wir denn reden?

In einem Projekt, an dem ich schon eine Weile arbeite, aber das noch nicht realisiert ist, geht es um eine Nachbildung des Krankenhauses von Bedlam im 17. Jahrhundert. Es war sozusagen die erste psychiatrische Klinik der Welt, obwohl es in dieser Zeit als Irrenhaus galt. Ich möchte diesen Ort virtuell wiederauferstehen lassen, sodass man in in einer Aumented-Reality-Erfahrung Dinge auch anfassen kann, während man herumläuft. Man hält sich an einer Tür fest, schaut hinein und sieht die Patienten aus Zimmer fünf vor vier oder fünf Jahrhunderten. Wenn Sie durch mein Bedlam Hospital laufen, können Sie mit einigen dieser Patienten sprechen, die mit einer Form von künstlicher Intelligenz ausgestattet sind. Sie können sie Dinge fragen wie: "Wie fühlen Sie sich heute?". Und sie werden Ihnen antworten, je nachdem wie kohärent die KI die Reaktionen erlauben wird.

Also eine Zeitreise durch künstliche Intelligenz?

Ja, und selbst, wenn die künstliche Intelligenz an diesem Tag nicht besonders gut performt und die Antwort auf die Frage keinen Sinn ergibt, macht das nichts. Sie sind schließlich in einem Irrenhaus. Ich finde, da wird es interessant: Was geschieht mit dem menschlichen Gehirn, wenn es anfängt, zu degenerieren, und wie nah kommt die KI einer Simulation des Gehirns, und wo bricht sie zusammen, wenn sie versucht, es zu simulieren? Diese Fragen werden bei dieser Erfahrung aufkommen. Aber ich werde auch Avatare haben, die von lebendigen Schauspielern kontrolliert werden, und mit denen man ebenfalls reden kann. Und ein Typ in Düsseldorf wird von seinem Computer aus die Schauspieler durch die Erfahrung steuern, die wiederum die Avatare steuern. So ist er in der Lage, aus der Ferne mit Ihnen zu kommunizieren. Das ist gruselig, dieses sinistre Gefühl, mit jemandem zu reden, der nicht da ist. Dieses kommt zu der seltsamen Erfahrung hinzu, in ein Irrenhaus des 17. Jahrhunderts zurückzukehren. Wenn man herumläuft, soll man ein Headset tragen, und die Menschen außerhalb dieser Installation werden Sie mit den Headsets in diesem Korridor mit vergitterten Fenstern sehen. Für die wird es also aussehen, als hätten sie sich diese Welt der Technologie selbst auferlegt, was ja genau mein Punkt ist. Wir bauen uns selbst dieses digitale Gefängnis.

Heutzutage vergleichen sich Menschen eher mit diesen Technologien als mit Tieren oder der Natur. Sollten wir uns wieder mehr auf Letzteres fokussieren?

Der Großteil von Technologien wird heute dazu genutzt, Kommunikation zwischen Menschen zu beschleunigen. Das sehe ich nicht unbedingt als Problem. Aber es nimmt überhand, und es gibt Probleme auf Social Media, wo Echokammern entstehen und große Schwierigkeiten mit Mobbing und Trolls entstehen. Meinungen werden polarisiert, weil die Leute von ihresgleichen umgeben sind und in einer Feedbackschleife stecken. Sie bekommen nur das erzählt, was sie hören wollen. Obwohl die ursprüngliche Idee der sozialen Medien war, Menschen zusammenzubringen, Informationen zu teilen und zu kommunizieren, gibt es eine Korrosion dieses Settings, die ich potenziell sehr problematisch finde. Generell sehe ich das Problem aber nicht darin, dass wir uns auf Technologien verlassen, anstatt Zeit mit Schafen oder Schweinen zu verbringen. Wir sind dazu gemacht, tiefgehende Beziehungen zu anderen Menschen zu unterhalten - dazu kann uns zum Beispiel das Internet die Möglichkeit geben.   

Man könnte sagen, dass die Erfindung von künstlicher Intelligenz, Robotik, VR und so weiter einfach das ist, was Menschen tun. Wir haben immer versucht, uns zu erweitern – auch schon mit der Erfindung des Messers. Glauben Sie, dass Menschen generell erweiterbar sind und wir gerade nur die jüngste Entwicklung dieser Tendenz erleben?

Ich denke, Sie haben Recht. Es ist Teil einer Evolution, die schon seit zehntausenden von Jahren im Gange ist: vom Gebrauch von einfachen Werkzeugen bis zur industriellen Revolution, als Maschinen angefangen haben, unsere Arbeit zu machen. Aber seit tausenden von Jahren gab es Menschen, die gewissermaßen Automaten waren und die die Jobs erledigt haben, die keiner machen wollte. Also gab es schon immer das Bestreben, diese Arbeit zu mechanisieren. Aber die Beschleunigung durch die digitalen Technologien im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert ist so enorm, dass wir nicht mehr sicher sind, wohin das führen soll. Und wenn man sich die Entwicklungen im Silicon Valley anschaut – wo ein Google-Ingenieur diese Beschleunigung als "Traumgeschwindigkeit" beschrieben hat, weil keiner wirklich versteht, was passiert –, sind sehr viele Menschen involviert und jeder beeinflusst in gewisser Weise den Fortschritt dieser Technologien. Die Veränderungen passieren so schnell, dass niemand Schritt halten kann. Also begeben wir uns sozusagen auf unkartiertes Gebiet, obwohl es die mechanische Produktion schon sehr lange gibt. Künstler haben schon vor 500 Jahren Studio-Assistenten benutzt. Ihr Job war es, im Stile des Meisters so effektiv zu malen und zu skizzieren wie möglich. Sie waren sozusagen Roboter, die den Anweisungen eines Menschen folgten.        

Inwiefern helfen Ihnen die Maschinen?

Generell habe ich Ideen für die Arbeiten, die ich machen will und dann überlege ich, wie ich sie am effektivsten umsetzen kann. Manchmal wird es einfach ein Ölgemälde, das an die Wand gehängt wird. Aber manchmal ist ein Twitter-Feed die Zutat, die ich für ein Werk brauche. Ich verfolge die Entwicklungen der Technik, und das fließt für mich ganz natürlich in meine Arbeit ein. Besonders interessieren mich diese Elemente, wenn ich darin etwas Düsteres oder potenziell Bösartiges sehe. Kunst sollte in gewisser Weise ein Barometer für das Klima sein, das da draußen herrscht, wie der Kanarienvogel in der Kohlemine. Sie kann sagen: Schaut mal, das passiert gerade, und es ist nicht gut. 

Manche Künstlerinnen und Künstler benutzen neue Technologien, um Zukunftsszenarien heraufzubeschwören oder zu untersuchen. Sie blicken mit ihnen eher in die Vergangenheit. Was können wir auf diese Art lernen?

Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Ich habe die sogenannten Skinner-Boxes nachgebaut, die vom Psychologen Burrhus Frederic Skinner in den 1950er- bis 70er-Jahren entwickelt wurden. Sie basierten auf dem Verhalten von Tauben. Er gab ein Signal, und dann gab er den Tieren eine Belohnung. Die Tiere wurden darauf konditiniert, dass sie Futter bekamen, wenn sie gegen einen Mechanismus pickten. Das verstanden sie. Sie pickten und bekamen eine Belohnung. Aber dann führte Skinner etwas ein, das er die variable Belohnung nannte. Dabei wissen die Tauben nicht, ob die Belohnung nach einmal, zweimal oder dreimal Picken kommt. Daraufhin wurden sie regelrecht süchtig nach dem Picken. Sie pickten sich zu Tode. Und diese Psychologie haben sich die Designer von Facebook und Instagram zunutze gemacht. Es geht darum, uns dazu zu bringen, so lange wie möglich auf diesem Bildschirm herumzutippen. 

Also sind wir die Tauben?

Unsere psychische Verletzlichkeit wird gekapert und unser Zustand manipuliert. In meiner Installation habe ich sechs dieser kleinen Skinner-Boxes nachgebaut, in denen animierte Taubenskelette sitzen. Sie picken in dieser mechanischen Weise, die man aus der U-Bahn oder dem Bus kennt. Leute sitzen oder stehen in langen Reihen und picken auf ihren kleinen Bildschirmen. Für mich ist es sehr düster und verstörend, die Psychologie hinter den Experimenten von vor 60, 70 Jahren zu verstehen, die jetzt dazu genutzt wird, uns auszubeuten und Geld zu verdienen.    

Wenn wir einen Roboter sehen, der sich wie ein Mensch verhält, behandeln wir ihn wie einen Menschen. Wir können nichts dafür, wir sind so "programmiert". Das macht es einfach, uns zu manipulieren. Was sagt das über die conditio humana aus?

Das Besorgniserregende ist, dass es uns zeigt, wie verletzlich wir gegenüber Ausbeutung sind. Und gleichzeitig, wie ausbeuterisch wir sein können. Es steht eine Menge Geld auf dem Spiel. Wer Milliarden Menschen manipulieren kann, ist extrem mächtig. Und für mich ist das die Hauptmotivation, diese Dinge in meine Arbeit einfließen zu lassen: uns vor Augen zu führen, wie verletzlich wir sind und wie programmiert durch Gene und kulturelle Bedingungen. Und wie gewisse Software-Firmen es schaffen, dass wir uns auf eine bestimmte Art verhalten.

Trotzdem verschmelzen unsere Leben immer mehr mit neuen Technologien, genauso wie die Kunst. Was, denken Sie, passiert als nächstes?

Ich glaube, wir treten in der Theorie wie in der Praxis in eine neue Ära ein. Die Menschen werden Kunstwerke immer öfter online sehen, eine Entwicklung, die von der Covid-19-Pandemie beschleunigt wird. Die Fernerfahrung wird immer stärker eine Währung werden. Die Leute setzen sich Kopfhörer auf und können jederzeit an Ereignissen überall auf der Welt teilnehmen. Aber es wird sich auch ein anderes Modell entwickeln, bei dem die Technologie für reale physische Erfahrungen genutzt wird. Man geht zu einem Event, zahlt zehn Euro und sieht sich für 20 Minuten oder eine Stunde etwas an. Es wird kein Kunstwerk im klassischen Sinne sein, kein Ölgemälde oder eine Bronze-Statue, sondern eine digitale immersive Erfahrung. Dafür gibt es einen wachsenden Appetit, nicht unbedingt in der Kunstwelt, sondern in der Gesellschaft generell.

Woher kommt der?

Menschen brauchen Orte, an die sie gehen und sich dort in etwas verlieren können. Es gibt Freizeitparks und Disneyland, aber jetzt wollen die Leute mehr Bedeutung, wenn sie zu solchen Events gehen. Sie wollen nicht nur aus sich herausgehen. Sie wollen etwas, das etwas in ihnen zum Schwingen bringt, philosophisch oder spirituell. Ich denke, das wird eine aufblühende Sparte sein, die wachsen wird und dann geformt werden muss.