Wegweiser

Künstler in Zeiten von Selfies

Foto: instagram.com/littlebrownmushroom
Foto: instagram.com/littlebrownmushroom

Als der Magnum-Fotograf Alec Soth 2013 begann Bilder auf Instagram zu posten, fühlte er sich bei dem Gedanken nicht wohl, sein Gesicht auf Selfies zu zeigen. Deshalb entwickelte er eine Strategie, seine Augen oder sogar sein ganzes Gesicht zu verdecken, mit Schnee, Wasser, einem Luftballon, einer Zeitung, einem Pilz, einem sehr großen Pilz, einer Skulptur und vielem mehr.

Selfie, Relfie, Face Swap: Die Möglichkeiten des digitalen Selbstporträts sind verwirrend vielfältig. Ein Ratgeber für Künstler

Da zeigen Museen endlich Ausstellungen, die sich mit Phänomenen der Netz- und Popkultur befassen und schon fordert die Kunstkritik nach gerade mal einem Jahr: Es reicht! Bitte Schluss! Beendet endlich die Suche nach dem verlorenen Ich, wie Swantje Karich in der "Welt" schrieb. Ausstellungen zum Thema Selfie und Porträt nerven vermutlich am meisten diejenigen, die sie sich aus beruflichen Gründen zwangsläufig ansehen – man muss ja wissen, was so los ist – und darüber schreiben müssen. Die Titel der Schauen sind meist sprechend: "Ego Update" im Düsseldorfer NRW-Forum, "Ich bin hier! Von Rembrandt zum Selfie" – mit Ausrufezeichen (!) – in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Ein Intermezzo zum Porträt folgte in Köln und Bonn mit dem Kooperationsprojekt "Mit anderen Augen. Das Porträt in der zeitgenössischen Fotografie". Weiter ging es in den letzten Wochen in der Stuttgarter Staatsgalerie mit dem Künstler und seinem Ich, "Das abstrahierte Selbstporträt in der Fotografie von 1960 bis 2000", und in der Frankfurter Schirn, wo man wie aus Protest das Ich im Titel durchgestrichen hat und eine Essiggurke von Erwin Wurm auf dem Ausstellungsplakat posieren lässt. Während die einen das Massenphänomen Selfie begutachten, mit dem Etikett Narzissmus versehen und den Untergang des Abendlandes heraufbeschwören, sagen die anderen, sprich die Schirn, Künstler seien viel zu ironisch, um Selfies zu machen. Ihnen sei schon immer etwas besseres eingefallen, als einfach nur weiter Selbstporträts vor der Staffelei zu machen, und ihnen fiele auch jetzt anderes ein: Filzanzug, Essiggurken auf Podesten, ein Karton über dem Kopf und chemische Elemente in Phiolen.

Künstler in Zeiten von Selfies und sozialen Medien sind natürlich immer noch Künstler. Nur produzieren viele von ihnen Fotos, Videos, Collagen, Mash Ups und Bilder von sich selbst nicht mehr ausschließlich für den Kunstmarkt oder mit dem Ziel, irgendwann einmal in einer bedeutenden Sammlung oder Ausstellung zu hängen. Künstler sind in den sozialen Netzwerken Facebook, Twitter, Instagram und Tumblr unterwegs, kommunizieren mit Bildern, promoten kommende Ausstellungen, neue Werke, Bücher, Meinungen und künstlerische Positionen. Eine Performance oder Intervention kann sogar allein auf Instagram über die digitale Bühne gehen und von dort aus in Ausstellungen und Sammlungen von Museen gelangen. Amalia Ulmans Performance "Excellences & Perfections" fand monatelang auf Instagram ohne das Wissen ihrer damals knapp 5.000 Follower statt. Sie gab vor ein braves Mädchen aus der Vorstadt zu sein, das in die Großstadt zieht, ein Hot Babe wird, sich einer Schönheitsoperation unterzieht, sich von einem Sugar Daddy aushalten lässt, abstürzt und wie ein Phönix aus der Asche nach einer Runde Yoga wiederaufersteht. Die Tate und die Whitechapel Gallery in London zeigten gerade in zwei Sonderausstellungen die Arbeit. Ihre Performance bestand hauptsächlich aus Selfies, vor dem Spiegel, im Bett, beim Workout, beim Essen, aus all den Stereotypen eben, die Ulman in den sozialen Medien ausmachte.

Wie alle, machen viele Künstler Selfies. Warum auch nicht? Selfies und soziale Medien gehören zusammen wie Spaghetti und Bolognese. Und so wie es inzwischen vegane Spaghetti Bolognese gibt, sind auch Selfies nicht mehr nur Selbstporträts, die mit ausgestreckten Armen und dem Smartphone gemacht werden, um sie sofort auf allen Kanälen zu teilen. Der Kunstkritiker Jerry Saltz hat vor einiger Zeit das Selfie noch als neue Gattung mit eigenen Gesetzmäßigkeiten definiert. Zwei Jahre später und während eine Generation Kunsthistoriker noch an Doktorarbeiten zu diesem neuen Genre sitzt, hat es sich fast schon wieder in die bestehende Gattung Porträt eingegliedert. In den sozialen Medien ist längst alles ein Selfie, was ein Gesicht hat. Anfangs war noch der Arm im Bild zu sehen, längst gibt es Selfie-Sticks, die das verhindern sollen oder man arbeitet gleich mit Stativ und Selbstauslöser. Alles ist heute Selfie: Porträts und Selbstporträts, egal, wer das Foto gemacht hat und womit: Mama, Oma, Boyfriend, man selbst, mit dem Smartphone, der Spiegelreflexkamera, der Einwegkamera, mit Polaroid oder Instax. Sobald das Bild einer Person in einem sozialen Netzwerk oder einem Nachrichten-Dienst wie WhatsApp geteilt wird, ist es für den Betrachter ein Selfie; wenn das Gesicht oder die Augen verdeckt sind, ist es ein Unselfie oder ein Anti-Selfie. Ein Selbstporträt oder Porträt wird zum Selfie, indem man es auf den eigenen Social-Media-Kanälen teilt, denn es zeigt ja das Selbst, die Person, das Gesicht hinter dem Account. Mehr braucht es nicht mehr, um ein Selfie zu sein.

Aber nur weil Künstler wie alle Selfies machen, werden sie nicht gleich wie Kim Kardashian zur Selfie-Queen der Generation Duckface oder wie Ai Weiwei zum Vorzeige Selfie-Man. Schließlich heißt es nicht: One selfie a day keeps the art critic away. Jeder Künstler ist auch ein Mensch. Und als ein solcher sind viele auf Instagram unterwegs. Sie netzwerken, kommunizieren mit Freunden, sind zu Hause bei der Familie und posten Fotos von ihrem Essen. Mit dem kleinen Bonus, dass viele von ihnen prominente Freunde ins Bild schieben oder irgendetwas erzählen oder ins Bild halten können, das man als Arbeitnehmer mit einem nine to five Bürojob nicht unbedingt besitzt oder im Arbeitsalltag erlebt. Sie greifen beliebte Themen von Selfies auf, denn sie kennen die sozialen Medien, wissen, was funktioniert, was man wann mit welchem Ziel und Ergebnis postet. Kurz: Sie wissen, wie sie sich selbst zu vermarkten haben oder wie man einfach Spaß hat, lustig ist und die Follower vor dem Smartphone zum Lachen bringt oder begeistert mit dem High Five- oder Herzchen-Emoji kommentieren lässt. Das alles ist vielleicht keine Kunst, aber das ist auch nicht weiter schlimm. Viele der Selfie Unterkategorien sind, wenn sie von Künstlern und Autoren umgesetzt werden, nicht mehr ganz so weit von dem entfernt, was Künstler seit Jahrhunderten machen.

Das #Artselfie

Der Blick in den Spiegel ist seit Narziss ein Topos in der Kunst. Und den Atelierbesuch von befreundeten Künstlern, Sammlern oder Interessierten auf den häufig ein Atelierbild folgte, gibt es auch schon lange. Vivian Maier und Lee Friedlander standen besonders oft mit einer Kamera in der Hand vor dem Spiegel oder einem Schaufenster und fotografierten sich selbst. In Zeiten von Instagram zeigen Fotografen und Künstler gern mit Hilfe des Art- oder Museumselfies, in welcher Ausstellung sie gerade stehen, welchen befreundeten Künstler sie gerade besuchen oder welches Werk im Atelier gerade entsteht. Wenn es spiegelt, umso besser. Denn so hat es sich der Erfinder des Artselfies, Brian Droitcour vorgestellt. Auch der Kunstmarkt setzt inzwischen verstärkt auf Instagram, da Postings offenbar schon zu Käufen geführt haben.

At the #everyobjecttellsastory show in London. Great!

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Das #Shelfie

Einst saß der heilige Hieronymus im Studierzimmer über sein Schreibpult gebeugt. Das Leben des Denkers, der durch Meditation und Studium Weisheit erlangt, hängt auf Instagram in der Schwebe. Alles ist Statussymbol in der kuratierten Welt der Sozialen Medien. Bücher muss man nicht mehr lesen, es reicht sie zu besitzen, um ein Shelfie zu machen. Professor Stephan Porombka liest natürlich trotzdem.

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Das #Ussie

Es muss nicht gleich ein Oscar-Ussie sein, um seine Wirkung nicht zu verfehlen. Einst zeigten Künstler und Künstlergruppen mit Freundschafts- oder Gruppenbildnissen, dass sie zusammengehören, eine ähnliche künstlerische Position vertreten oder sich kennen und gemeinsam Zeit verbringen. Heute macht man schnell ein Ussie, legt vielleicht den Arm um die Person neben sich oder streckt den Daumen in die Höhe: Alle kennen sich, alle haben sich lieb, alle sind wichtig.

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Das #Relfie

Ein Bild wie aus einem Familienalbum. Ryan McGinley knutscht mit seinem Boyfriend @botticelliangels. Das Foto steht in der Tradition der Doppelbildnisse, Moment, Paarselfies auf Instagram und erinnert ein bisschen an das Doppelbildnis von Max Beckmann und Minna Beckmann-Tube, mit dem der Maler seiner Beziehung ein Denkmal setzte. Ryan McGinley macht das alles viel weniger repräsentativ und außerdem fast täglich.

@botticelliangels

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#FaceSwap

Snapchat macht es möglich: Gesichter, die Regenbögen kotzen, mit Blumenkränzen im Haar durch die Welt spazieren oder das Gesicht mit wem auch immer tauschen. Cindy Sherman musste und muss sich dafür noch aufwändig schminken und verkleiden.

Peter Handkes Gesicht auf meinem #frhling #gott #vogibse

A video posted by Clemens Setz (@clemensetz) on

 

Das #Unselfie

Als der Magnum-Fotograf Alec Soth 2013 begann Bilder auf Instagram zu posten, fühlte er sich bei dem Gedanken nicht wohl, sein Gesicht auf Selfies zu zeigen. Deshalb entwickelte er eine Strategie, seine Augen oder sogar sein ganzes Gesicht zu verdecken, mit Schnee, Wasser, einem Luftballon, einer Zeitung, einem Pilz, einem sehr großen Pilz, einer Skulptur und vielem mehr. Die Bilder versieht er mit dem Hashtag #unselfie. Er verdeckt, was sonst überall und täglich millionenfach zu sehen ist, und löst im Betrachter den Wunsch aus, sehen zu wollen, was nicht zu sehen ist. Keine ganz so innovative Idee. Schon bei Magritte schwebte ein Apfel vor dem Gesicht eines Mannes oder er verhüllte die Gesichter Liebender.

Unselfie for @zeitmagazin

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Das #Suglie

Ronja von Rönne ist nur erfolgreich, weil sie niedlich ist, schreibt die Kritik. Die Autorin zeigt mit einem #Suglie, einem ugly Selfie: Stimmt nicht! Eigentlich ist sie ein häßliches Entlein mit Doppelkinn und verquollenem Gesicht. Sind ihre Texte folglich einfach nur gut?

My face Everytime articles say "she's only successful cause she's pretty!"

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Ronja von Rönne macht hier, was sich eine neue Generation junger Feministinnen in den Sozialen Medien, vor allem auf Tumblr und Instagram, als Programm auf die Fahnen geschrieben hat. Während Kim Kardashian immer besonders gut aussehen möchte und nur ihre Schokoladenseite zeigt, setzen sich Künstlerinnen wie Petra Collins und Kolleginnen dafür ein, dass junge Frauen nicht dem Photoshop-Ideal entsprechen müssen, um von der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Pickel sind okay, Haare an den Beinen und überall anders sowieso, Speckröllchen und Blut im Höschen, nichts davon ist eklig, anstößig oder so schlimm, dass es von Facebook oder Instagram zensiert werden müsste. Auf Selfies zeigen sie, dass im Bett alle einen Bad Hair Day haben, dass man morgens nicht frisch und manchmal mit Pickeln aufwacht und dass sich das Make up über Nacht nicht selbst aufträgt.

hi this isn't breaching community guidelines

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Das #Bifie

Das Bikini Selfie überlässt die Autorin Miranda July lieber Kim Kardashian, die darin sicherlich mehr Übung hat. Ein Selfie am Strand geht auch ohne Füße im Sand oder Bauch, Brust, Bein und Hüfte im Bikini.  

It's kind of weird taking a 14 hour plane ride and then going immediately to the beach. #Australia

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#tbt

Auf Instagram gibt es die Tradition, ein Bild aus vergangenen Zeiten donnerstags anlässlich des Throwback Thursday zu posten. Viele Künstler kramen Bilder hervor, die sie irgendwann einmal von sich selbst gemacht haben. Damals gab es meist noch keine Smartphones. Stephen Shore beteiligt sich gern daran und erinnert sich an seine Zeit in der Factory von Andy Warhol.

#tb #2007 #moscow #canon

A photo posted by @linascheynius on

 

#Middlefinger

Wenn nichts mehr hilft, einfach kundtun, was man von all dem hält. Auch wenn man Selfies eigentlich irgendwie mag.

Coupla jokers....

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