Daniel Heil | Rad des Dharma

Daniel Heils Werke konstituieren sich in besonderem Maße durch ihren Arbeitsprozess. Die neuesten Gemälde des Düsseldorfer Künstlers fokussieren sich auf substanzielle Gegebenheiten, welche einem ganzheitlichen ontologischen System zugrunde liegen. Eine Besinnung zum Zen-Buddhismus – zu Kontemplation und Meditation – veranlassen Daniel Heil zur Reduktion seiner formalen Ästhetik, um die es auch im Titel geht: Das Rad des Dharma, die Lehre aus Moral und Ethik, begründet den Weg ins Nirvana. Ein holistischer Ansatz, der sowohl für Daniel Heils Werke als auch für eine funktionierende Gesellschaft essenziell ist, jedoch aus seiner Sicht in der heutigen postindustriellen Zeit zusehends vernachlässigt wird.
Kernstück der Ausstellung in der Galerie Voss ist eine blaue Serie, welche diese holistische Idee in vitaler Ästhetik aufgreift. Ihre malerischen Strukturen basieren auf Detailaufnahmen von Wasser, Feuer und Algen, welche der Künstler nach intensiven Beobachtungen der natürlichen Substanzen anfertigte. In den vergrößerten Fotos der teils gegensätzlichen Elemente fand Heil ähnlich gewundene Linien. Jenes natürliche Ornament wird in seiner charakteristischen Pinselführung auf die Leinwand übersetzt. Der Duktus ist durch die Hand des Künstlers kontrolliert, aber wird auch vom Zufall und strukturellen Gegebenheiten über die aufwendig grundierte Leinwand navigiert. Das Fließen der wellenartigen Pinselstriche wirkt so dynamisch, dass man sich den präzisierten und zugleich meditativen Gestus des Künstlers bei der Ausführung vorstellen kann. Daher spielen Rhythmik – Daniel Heil hört in letzter Zeit bevorzugt klassische Musik diverser Epochen bei der Arbeit – und Zeit eine wichtige Rolle.
Durch die Applikation von Spray-Paint bei einigen Werken wird die aufgetragene Farbe im Kontrast zum eher pastosen Acryl diffusiver und Ebenen erscheinen durchlässiger. Grundsätzlich gehört der gestische Farbauftrag bei Daniel Heil gleichermaßen zum Werk wie das fertige Endprodukt. Diese Dynamik findet man auch in seinen früheren Arbeiten wieder und wurde in Essays von David Galloway und Thomas Wolfgang Kuhn (2018) detaillierter beschrieben. Jedoch ist die neue Serie nicht zentriert, sondern über den Bildrand hinausragend angelegt. Wie endlose Fugen eines Chorals schwingen die Farblinien in die Weiten sakraler Hallen hinaus. Ihre Fortsetzungen können von Betrachtenden imaginativ erahnt werden und sich bis in die Unendlichkeit winden. Sie verstehen sich als Detailaufnahmen eines großen Ganzen.
Das Thema der Dynamik, resultierend aus jener gestischen Rhythmik, wiederholt sich in Heils Kompositionen aus Grafitpulver und Holzkohle auf Leinwand. Doch manifestiert sich dieses Thema nicht wie in der blauen Serie vorwiegend durch den manuell präzisierten Farbauftrag, sondern auch durch die Eigenwilligkeit des Zufalls. Denn Grafitpigmente und Kohle werden vom Künstler regelrecht auf eine Tischplatte geworfen und daraufhin in der Horizontalen mit einem Holzpaneel in die grundierte Leinwand gerieben. Wie zuvor angedeutet sind ein stundenlanges, mehrschichtiges Auftragen und Abschleifen der weißen Grundierung auf der Leinwand Teil des Prozesses. Auf diese Weise verschwinden Inkongruenzen des rohen, natürlichen Materials und generieren eine plane Ebene, auf der sich nun durch eine gleichmäßige Druckverteilung das zunächst leicht kristallin glänzende Grafitpulver flächig distribuieren lässt. Wird der am Tisch befestigte, grundierte und daraufhin in aktionsartigen Bewegungen verriebene Bildträger schlussendlich wieder vom Künstler auf den Keilrahmen gespannt, entsteht durch das Grafit ein matter Hintergrund, welcher von den tiefschwarzen Kohlefragmenten akzentuiert wird. In diesem energetischen Prozess erhalten Daniel Heils Werke ihre stoffliche Tiefe aus zwei Ebenen, die in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. Mit der zuvor besprochenen blauen Serie interagieren sie dialogisch: Sie könnten für ein Sinnbild der Dichotomie aus Rationalität und Affekt, bzw. Askese und Hedonismus, stehen, welche wiederum für die buddhistische Ethik von Bedeutung ist.
Auch wenn man es durch die Reduktion und die buddhistischen Parallelen vermuten möchte, verlangen die gestischen Formen des Künstlers nicht nach einem spezifischen Vorwissen über den abstrakten Expressionismus der 1950er Jahre. Vergleiche zu westlichen kunsthistorischen Vorgängern zu ziehen ist verführerisch, sie verschleiern jedoch die weitaus ältere Tradition der ostasiatischen Kultur. Einen Bezug zum japanischen Steingarten, dem Kare-san-sui, herzustellen, dessen Kurven an Daniel Heils blaue Kompositionen erinnern, wäre beispielsweise zutreffender. Kunst sollte daher nicht ausschließlich aufgrund ihrer Selbstreferenzialität rezipiert werden. Denn obwohl sich Daniel Heil mit zeithistorischen und kontemporären Positionen auseinandersetzt und ihn sein Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Katharina Grosse prägte, bezieht er seine Inspiration vorzugsweise aus der Natur. Seine Selbstgespräche, wie der Titel der Veröffentlichung im Kerber-Verlag (2018) über seine Kompositionen verlautet, verfügen über ein Eigenleben. Sie sind eigensinnig, dennoch substanziell und dadurch in ihrer formalen Ästhetik universell zugänglich.
Text: Theresa Wirtz, Düsseldorf
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Daniel Heil. The Wheel of Dharma.
The works of Daniel Heil are notably constituted through their process of creation. The most recent paintings of the Düsseldorfer artist focus on substantial factors that form the basis of an integrated ontological system. A disposition to Zen Buddhism – to contemplation and meditation – prompt Daniel Heil to the reduction of his formal aesthetic that the title also refers to: the wheel of dharma, the tenet of morality and ethics, establishes the way to nirvana. However, in Daniel Heil’s view, a holistic approach, which is essential for his works as well as for a functioning society, is noticeably neglected in the present-day, post-industrial age.
The centerpiece of the exhibition in the Galerie Voss is a blue series, which takes up this holistic idea in a vital aesthetic. Their painterly structures are based on close-ups of water, fire, and algae, which the artist produced after intensive observations of the natural substances. In the enlarged photos of the partially opposed elements, Heil found similarly winding lines. This natural ornament is translated onto the canvas with his characteristic brushwork. The flow is controlled through the hand of the artist, but also navigates over the elaborately primed canvas due to chance and structural conditions. The flowing of the wavelike brushstrokes appears so dynamic that one can picture the defined and at the same time meditative manner of the artist while executing them. Therefore, rhythm – recently, Daniel Heil prefers listening to classical music from various eras while working – and time play an important role.
Through the application of spray paint on some works, the coating of color becomes - in contrast to the rather pastose acrylic - diffusive and layers appear more permeable. Fundamentally, with Daniel Heil the physical application of color belongs to the work in equal measure as the finished end product. One also finds this dynamic again in his earlier works, and it was described in more detail in essays by David Galloway and Thomas Wolfgang Kuhn (2018). However, the new series is not centered, but rather created to project beyond the edge of the picture. Like the endless fugues of a choral, the lines of color swing out into the expanses of sacral halls. Their continuation can be imaginatively anticipated by viewers and wind into infinity. They are perceived as close-ups of a greater whole.
The subject of dynamics, resulting from that gestural rhythm, repeats itself in Heil’s compositions out of graphite powder and charcoal on canvas. Yet unlike in the blue series, this theme does not manifest itself predominantly through the manually defined application of color, but rather also through the idiosyncrasy of chance. For graphite pigments and charcoal are positively thrown on a tabletop by the artist, and thereupon horizontally rubbed into the primed canvas with a wooden panel. As indicated before, an hours-long, multilayered application and stripping of the white primer coat on the canvas is part of the process. In this way, incongruences of the raw, natural materials disappear, and generate a planar level, on which, through a uniform distribution of pressure, the initially slightly crystalline glittering graphite powder can now be two-dimensionally distributed. When the support - affixed to the table, primed and thereupon levigated in physical movements - is ultimately once again clamped onto the stretcher frame by the artist, a matt background develops through the graphite, which is accentuated by the jet-black charcoal fragments. In this energetic process, Daniel Heil’s works gain their material depth from two planes that have a tense relationship with each other. They interact in dialogue with the previously discussed blue series: they could represent a symbol of the dichotomy between rationality and affect, or asceticism and hedonism as the case may be, which is, once again, of significance to Buddhist ethics.
Although one might assume it due to the reduction and the Buddhist parallels, the gestural forms of the artist do not require specific previous knowledge of the abstract expressionism of the 1950s. It is tempting to draw comparisons to Western art historical forerunners; however they conceal the far older tradition of East Asian culture. For example, it would be more appropriate to establish a relationship with the Japanese rock garden, the kare-san-sui, the curves of which are evocative of Daniel Heil’s blue compositions. Therefore, art should not be received exclusively on the basis of its self-reference. For although Daniel Heil grapples with historical and contemporary positions and was informed by his studies at the Kunstakademie Düsseldorf [Academy of Fine Arts Düsseldorf] with Prof. Katharina Grosse, he prefers to draw his inspiration from nature. His Selbstgespräche [soliloquies] - as the title of the publication in the Kerber Verlag (2018) on his compositions has it - possess a life of their own. They are idiosyncratic, nevertheless substantive, and thus universally approachable in their formal aesthetic.
Theresa Wirtz, Düsseldorf
(Translated from the German by Alexandra Skwara)