Dies ist kein Baum.

Dies ist kein Baum.
ANDREAS GEFELLER
01. September – 14. Oktober 2023
Ein Parkplatz aus scheinbarer Vogelperspektive, mit Wiesen und Bäumen. Die Bäume biegen sich im Verlauf des Bildes. Nach näherem Hinsehen wird deutlich, dass das Motiv nicht das ist, wonach es vorerst aussieht. Dies ist kein Baum. Ceci n’est pas un arbre.
Wolken, Staub, Tropfen, Blitze, Flammen – gewohnte Motive, ungewohnte Perspektiven. Welche nehmen wir ein? Wo stehen wir als BetrachterInnen und woran können sich unsere Augen festhalten?
Die Fotografien von Andreas Gefeller werfen die Frage auf, ob wir unseren eigenen Augen trauen sollten. Sie zeigen uns, wo die Grenzen unserer Wahrnehmung liegen und lassen die Schwelle zwischen echter Perspektive und künstlerischer und technisch generierter Wahrheit verschwimmen. Die Arbeiten öffnen uns für die multiplen Wirklichkeiten eines altbekannten sowie gleichermaßen neuen Terrains.
Gefeller spielt nicht mit Illusionen und Manipulationen, er künstelt nicht. Vielmehr legt er uns frei, was wirklich da ist, indem er sichtbar macht, wie viele Lagen hinter einem einzelnen Motiv, einem Ausschnitt, einem Ort verborgen liegen. Er legt nahe, wie viel Synchronizität sich in scheinbarer Linearität verbirgt, und er zeigt Blickwinkel, die Perspektiven neu erschaffen, die Realitäten und Zeiten schichten, und die die Fotografie als eigenen Ort kreieren.
Verweilen wir ein wenig an diesen Orten.
Ceci n’est pas un arbre. Es ist nur die Idee, der Schatten der Bäume, auf dem Parkplatz. Doch sind es nicht die Schatten an der Höhlenwand, die durch Fackeln erleuchtet werden, sondern die Schatten der realen Sonne, die die Zeit beschreiben, die Andreas Gefeller in der Serie Supervisions brauchte, um geduldig, Schritt für Schritt, Stück für Stück und Abschnitt für Abschnitt den Parkplatz abzuschreiten. Das Vergehen und das Voranschreiten der Zeit visualisiert er. Die Fotografie wird eine Sonnenuhr, die mehrere Stunden eines Tages in einem Bild erfasst. Die erzählte Zeit ist viel länger als die Erzählzeit. Nur die von ihm geschaffene Fotografie kann diese in Einem zusammenhalten. Die Sinnschöpfungsstrategie von simultaner Wahrnehmung von vermeintlich linearer Zeitlichkeit stellt uns vor existentielle Fragen der Erfassung unserer Realität. Denn nicht das Foto zeigt ein falsches Bild der Welt, sondern unser menschliches Auge. Und es heißt, Worte seien verräterisch, weil der Sprecher sich offenbart. Doch wird spürbar, dass unsere Augen es umso mehr sind. Sie verraten uns, zeigen uns nur eine Selektion, von dem was da ist.
Die Fotografie wird zum neuen Ort im Raum. Und nicht nur der Ort verliert seine Identifikation, sondern auch der Fotograf. Er versteckt sich nicht, aber er schreibt sich weg. Allein seine Spuren, ein Rest seiner Handschrift, eine Reminiszenz seiner Körperlichkeit bleiben sichtbar. Und die Serie Supervisions hat einen körperlichen Anspruch: die Draufsicht ist der Blick der Kamera, die über Gefellers Körper mit etwas Abstand befestigt wurde. Die einzelnen Bilder, die beim Abschreiten der Orte entstehen, fungieren wie Puzzleteile. Sie werden zusammengesetzt zu einem großen Gesamtbild. Egal ob es sich um die staubige Halle einer Industrieanlage oder einen Platz im Freien handelt: Das zusammengesetzte Puzzle aus Einzelbildern, generiert schlussendlich eine vollkommen neue Perspektive, die erst in ihrer Gesamtheit den Sinn ergibt.
Auch in seinen anderen Serien entschreibt Andreas Gefeller den Menschen nahezu vollends aus seinen Werken. In der Serie Blank veranschaulicht er den ewigen Kampf und das Zusammenleben von Technik und Natur. Die bewusste Reduktion der Bilder durch Überbelichtung, führt zu einer Abstraktion der Motive. Diese schafft eine Form von Klarheit, und hinterlässt indes das Gefühl von Fremde und Entfremdung. Die Klarheit in der Fremde ist die auslösende Kraft für ein Paradoxon, dessen Qualität die Darstellung des Essentiellen erlaubt. Andreas Gefeller zeigt in dieser Serie die Konsequenz aus dem Dasein des Menschen in Koexistenz mit, oder in der Destruktion von der Natur.
Licht allein kann alle Informationen freisetzen. Doch wird es übermäßig eingesetzt, kann die Helligkeit die Informationen ebenso vorenthalten, unsichtbar und unkenntlich machen. Wie die geschwungene Fassade des fotografierten Hochhauses: Die Linse der Kamera fungiert als Fenster, lässt übermäßig viel Licht zu, belichtet die Fassade des Hauses weg und gibt uns so widerum den Blick in die Fenster der Wohnungen – den Blick dahinter. Das Licht ist mächtiger als unser Blick, offenbart uns mehr, als wir sehen können. Die Überbelichtung verblendet und macht sichtbar, was die Dunkelheit ursprünglich verbarg. Die Fotografien verraten uns nicht, was wir sehen, sondern was wir nicht sehen. Sie zeigen uns nicht, was wir sehen wollen, sondern was es zu sehen gibt. Zeigen uns gleichzeitig nicht das, was da ist, sondern das, was in diesen Momenten da war. Was bleibt, ist die Frage nach der Abbildbarkeit der Wirklichkeit, und somit, mal wieder, nach Wirklichkeit an sich.
Kreisrunde Formen, wie sich ausbreitende Radiowellen im Wasser, Lichtreflexe, wie zuckende, züngelnde Nervenbahnen, Staub laut aufstäubend, vor dunklem Hintergrund, wie interstellare Nebel – diese Phänomene begegnen uns in der Serie The Other Side of Light. Wieder kein Anfang und kein Ende. Es gibt keinen oder zu viele Anhaltspunkte in den Bildern. Unsere Gemüter ruhen, unsere Augen tun es nicht. Sie befinden sich im freien Fall. Woran können wir uns orientieren und was sehen wir hier eigentlich? Alles ist, wie es scheint und doch ist nichts, was es zu sein scheint.
Sind die kreisförmigen Wellen die natürliche Formation von Tropfen, die auf Wasser treffen, dann steht doch wieder die Frage von Ursprung und Ausklang im Raum. Vielleicht ist die finale Antwort auch nicht wichtig. Sicher ist jedoch, dass die Fotografien in unserem Verstand weiterleben, der nächste Moment, immer wieder und immer wieder anders, in der Vorstellung imaginiert wird. Die vorerst neutral scheinenden Motive leben organisch weiter.
Und die Ruhe des Bildes gelangt nie zu seinem Finale.
In seiner Serie Clouds konfrontiert uns Gefeller mit einem vertrauten Sujet. Wolken steigen kumulativ nach oben auf, sie zeigen uns eine Richtung. Teils in schönen hellen, pastellenen oder kräftigen Farben gehalten, teils düster, grau und bedrohlich, scheinen die Fotografien der ephemeren Himmelserscheinungen wie Bewegtbilder. Einer Novelle ohne Anfang und ohne Ende gleich, verrät uns der Bildabschnitt aber nicht, woher sie kommen und wohin sie gehen. Die vermeintlich natürlichen Formationen sind in Format gebracht und verbergen spürbar etwas, das erst auf den zweiten Blick als ambivalent wahrgenommen wird. Das Geheimnis dahinter ist die Quelle der Clouds: sie sind Emissionen des zweitgrößten Kohlekraftwerks Europas.
Dieses Wissen nun vorausgesetzt, erklärt sich auch die widersprüchliche Natur unserer beklommen-heiteren Auffassung der Serie – einer Romantik mit Dorn, einer Anmut mit Gefahr.
Andreas Gefeller konfrontiert uns in seinen fotografischen Serien mit Konstruktionen der Realität, Zusammenführungen von Wirklichkeiten und Überlagerungen von Vergänglichkeiten. So entsteht die Fotografie als eigener Ort. Der dargestellte Ort wird überschrieben. Die Referenz wird zur Existenz.
Das Widersprüchliche ist die logische Konsequenz aus dem, was nie wirklich greifbar war. Was echt war, wir jedoch nicht erkennen können. Das Widersprüchliche besiegelt schlussendlich die Existenz, hinterfragt jedoch die Authentizität, von dem was wir denken zu begreifen.
Elisa Mosch, 2023
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This is not a tree.
ANDREAS GEFELLER
01. September – 14. October 2023
A parking lot from an apparent bird's eye view, with meadows and trees. The trees bend throughout the picture. After a closer look, it becomes clear that the subject is not what it looks like at first glance. This is not a tree. Ceci n'est pas un arbre.
Clouds, dust, drops, lightning, flames - familiar motifs, unfamiliar perspectives. Which ones do we take on? Where do we stand as viewers and what can our eyes hold on to?
Andreas Gefeller's photographs raise the question of whether we should trust our own eyes. They show us where the limits of our perception lie and blur the threshold between real perspective and artistic and technically generated truth. The works open us up to the multiple realities of an old familiar as well as equally new terrain.
Gefeller does not play with illusions and manipulations, he does not artifice. Rather, he exposes to us what is real by making visible how many layers lie hidden behind one single motif, a detail, a place. He suggests how much synchronicity is hidden in apparent linearity, and he shows angles that recreate perspectives, that layer realities and times, and that create photography as a place of its own.
Let's linger a little in these places.
Ceci n'est pas un arbre. It's solely the idea, the shadows of the trees, in the parking lot. But they are not the shadows on the wall of a cave, illuminated by torches, but the shadows of the real sun that describe the time Andreas Gefeller took in the series Supervisions to patiently walk the parking lot, step by step, piece by piece and section by section. He visualizes the passing and progress of time. The photograph becomes a sundial, capturing several hours of a day in one image. The narrated time is much longer than the narrative time. Only the photograph he creates can hold them together in one. The sense-creation strategy of simultaneous perception of supposedly linear temporality confronts us with existential questions of grasping our reality. Therefore it is not the photograph that shows a false picture of the world, but our human eye. And it is said that words are treacherous because the speaker reveals himself. But it becomes noticeable that our eyes are like this even more. They betray us, show us only a selection, of what is there.
Photography becomes a new place in a given space. And not only this place loses its identification, but also the photographer. He does not hide, but he writes himself away. Only his traces, a remnant of his handwriting, a reminiscence of his physicality remain visible. And the series Supervisions has a physical claim: the top view is the view of the camera, which was fixed over Gefeller's body with some distance. The individual images that emerge as he walks through the locations function like pieces of a puzzle. They are put together to form a large overall picture. No matter whether it is the dusty hall of an industrial plant or a place outdoors: The assembled puzzle of individual images, ultimately generates a completely new perspective, which only makes sense in its entirety.
In his other series, too, Andreas Gefeller almost completely removes the human being from his works. In the series Blank he illustrates the eternal struggle and coexistence of technology and nature. The deliberate reduction of the images through overexposure, leads to the abstraction of the motifs. This creates a form of clarity, while leaving behind a sense of foreignness and alienation. The clarity in the foreignness is the triggering force for a paradox, whose quality allows the representation of the essential. In this series, Andreas Gefeller shows the consequence of human existence in coexistence with, or destruction of, nature.
Light alone can release all information. But if it is used excessively, the brightness can equally withhold the information, make it invisible and unrecognizable. Like the curved facade of the skyscraper photographed: the lens of the camera acts as a window, allowing excessive light, exposing away the facade of the building and in turn giving us a view into the windows of the apartments - the view behind. The light is more powerful than our gaze, revealing more to us than we can see. The overexposure blinds and makes visible what the darkness originally hid. The photographs do not tell us what we see, but what we do not see. They do not show us what we want to see, but what there is to see. At the same time, they do not show us what is there, but what was there in those moments. What remains is the question of the imageability of reality, and thus, once again, of reality itself.
Circular shapes, like spreading radio waves in water, light reflections, like twitching, lambent nerve tracts, dust sputtering loudly, against a dark background, like interstellar nebulae - these are the phenomena we encounter in The Other Side of Light series. Again, no beginning and no end. There are either no or too many reference points in the images. Our minds rest, our eyes do not. They are in free fall. What guides our orientation and what do we actually see here? Everything is as it seems and yet nothing is what it seems to be.
If the circular waves are the natural formation of drops hitting water, then again the question of origin and fade out stands in the room. Perhaps the final answer is not important. What is certain, however, is that the photographs live on in our minds, the next moment imagined, again and again, and again differently. The motifs, which seem neutral at first, live on organically.
And the tranquility of the image never reaches its finale.
In his series Clouds, Gefeller confronts us with a familiar subject. Clouds rise cumulatively upwards, they show us a direction. Partly held in beautiful bright, pastel or strong colors, partly gloomy, gray and threatening, the photographs of the ephemeral celestial phenomena seem like moving images. Like a novella with no beginning and no end, however, the image section does not tell us where they come from or where they are going. The supposedly natural formations are put into format and noticeably conceal something that is only perceived as ambivalent at second glance. The secret behind this is the source of the clouds: they are emissions from the second largest coal-fired power plant in Europe.
This knowledge now presupposed, also explains the contradictory nature of our tremulous-cheerful view of the series - a romance with a thorn, a grace with danger.
In his photographic series, Andreas Gefeller confronts us with constructions of reality, conflations of truths and superimpositions of transience. In this way, photography becomes a place of its own. The depicted place is overwritten. The reference becomes existence.
The contradictory is the logical consequence of what was never really tangible. What was real, cannot be recognized. The contradictory finally seals existence, but questions the authenticity of what we believe to understand.
Elisa Mosch, 2023