Gerhard Richter, Drawings | Zeichnungen 1963-2020

Aus Anlass von Gerhard Richters 90. Geburtstag am 9. Februar 2022 zeigt Sies + Höke eine Werkschau von Zeichnungen des Künstlers, die annähernd 60 Arbeiten umfasst und sieben Jahrzehnte Schaffenszeit abbildet. Ein umfangreicher Katalog mit einem Text von Dieter Schwarz, Herausgeber des Werkverzeichnisses von Gerhard Richters Zeichnungen, begleitet die Ausstellung.
Gerhard Richters Werk ist geprägt von der fortwährenden Suche nach einem neuen und unverbrauchten künstlerischen Ansatz. Das Spannungsverhältnis von Figuration und Abstraktion, von Bedeutung und Banalität, welches sein malerisches Schaffen bestimmt, schlägt sich genauso in den verschiedenartigen Zeichnungen des Künstlers nieder. Auch hier arbeitet Richter gegen Bildnormen an, wobei die farbige Enthaltsamkeit der meisten seiner Zeichnungen wie ein Brennglas die Reduktion auf das Wesentliche bewirkt. So dient das Zeichnen Richter über viele Jahrzehnte hinweg als Konzeptionsfläche und Experimentierfeld. Die resultierenden Werke veranschaulichen die medienübergreifenden Bildfindungsprozesse des Künstlers.
Mit Arbeiten aus den Jahren 1963 bis 2020 bildet die Ausstellung ein Spektrum von Gerhard Richters zeichnerischem Werk ab, welches in dieser Bandbreite und Fülle bisher nicht gezeigt wurde. Das früheste Werk der Ausstellung, Ohne Titel (Stuhl), stammt aus dem Jahr 1963 und ist eine der ausnahmslos ersten Arbeiten, die zu Richters offiziellem Œuvre gehören. Richter verwendete Lösungsmittel auf vorgefundenem Bildmaterial, um die Darstellung malerisch zu verwischen – zu diesem frühen Zeitpunkt bereits nahm er viel von seiner späteren Arbeitsweise der Bildproduktion vorweg. Ähnlich experimentell kommt ein unbetiteltes Werk von 1967 daher, für das Richter einen Bleistift in einer manipulierten Bohrmaschine befestigte, sich selbst als Künstler zurücknehmend und die Ausführung der Zeichnung einem mechanischen Verfahren überlassend. Die antikünstlerischen Intentionen von Fluxus sind hier ebenso erkennbar wie das kritische Potential Duchamps (vgl. Schwarz).
Zu den aufsehenerregendsten Werken der Ausstellung zählt ein bisher nicht bekanntes Konvolut von 21 einzeln signierten Zeichnungen aus dem Jahr 1986, das Richters Arbeitsprozess im Hinblick auf großformatige Abstrakte Bilder radikal verdeutlicht – mit einer Ausnahme aus demselben Jahr sind es die einzigen Studien dieser Art, die der Künstler der Öffentlichkeit zugänglich machte (vgl. Schwarz). Die Zeichnungen lassen sich in mehrere Serien unterteilen, die jeweils auf ein fotokopiertes Gerüst aufbauen. Mit Bleistift, Ölkreide und Wasserfarbe entwickelte Richter die Entwürfe Schritt für Schritt weiter. Das Ergebnis schließlich übertrug er auf das monumentale, 320 x 400 cm messende Gemälde SDI (1986), um es mithilfe des Rakels in Teilen wieder unkenntlich zu machen und sich damit ein weiteres Mal von subjektiver Bildschöpfung zu distanzieren.
Das Prinzip des Auslöschens und Übermalens, wie es in Richters abstrakter Malerei zu finden ist, spiegelt sich auch in seinen Zeichnungen aus den 1990er Jahren, die der Künstler teilweise mit dem Radiergummi strukturierend bearbeitet hat. In den verschiedenen Jahrzehnten seines Schaffens war das Zeichnen mal mehr, mal weniger aktiver Bestandteil von Richters Arbeit. Mit Bleistift oder Tusche, nur selten unter Zuhilfenahme von Farbe, schuf Richter Landschaften, Porträts, Stillleben und Abstraktionen auf Papier, die ganz unterschiedliche zeichnerische Formulierungen darstellen. Nachdem Richter sich 2017 entschieden hatte, die Malerei endgültig aufzugeben, begann er bald, vermehrt zu zeichnen – Schwarz spricht von einer bewusst vollzogenen Ablösung der Malerei durch die Zeichnung. Vermehrt verwendet Richter seitdem farbige Ölkreiden und größere Papierformate. Zwei Arbeiten aus dem Jahr 2020, die eine monochrom in Graphit, die andere intensiv farbig und vielschichtig, vermitteln etwas den Abstrakten Bildern Analoges und zugleich die für Richter notwendige Brechung der Abstraktion.
„Sieben Jahrzehnte umfasst die Auswahl der Zeichnungen von Richter, die hier zusammengekommen ist, und die Frage stellt sich am Ende der Betrachtung, ob sich aus diesen so verschiedenartigen Arbeiten eine Summe ergibt. (...) Richter hat in seinem gesamten Schaffen viel dazu getan, sich einer Einordnung in die Zeitgenossenschaft zu entziehen, und darin liegt eine der hohen Qualitäten seines Œuvres. Anstelle von Eindeutigkeit setzt er auf Zwiespältigkeit und dies nicht von ungefähr, denn er fühlt sich der Tradition verpflichtet und geht zugleich einen Weg, den man als Widerspruch dazu verstehen könnte.“ (Dieter Schwarz)
Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte Hanne Tonger Erk: hanne@sieshoeke.com oder Kim-Kristin Neuhaus: kim@sieshoeke.com