Klaus Pichler: Das Petunien-Gemetzel
Im Mai 1990 wurden auf dem Gelände des Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung in Köln 30.700 gentechnisch veränderte Petunien ausgepflanzt. Den Pflanzen war ein Gen von Maispflanzen eingesetzt worden, das die Petunien lachsfarben statt weiß blühen ließ. Es war das erste Mal, dass gentechnisch veränderte Pflanzen in Deutschland unter freiem Himmel wachsen durften. Vorausgegangen waren lange parlamentarische Diskussionen, aufwendige Genehmigungsverfahren und heftige Proteste von Umweltschützern. Nach dem Versuch wurden alle Pflanzen zerstört, um eine Verbreitung der gentechnisch veränderten Petunien zu verhindern.
Doch im Mai 2015 entdeckte der Biologe Teemu Teeri, als er den Bahnhof von Helsinki verließ, einige leuchtend orangefarbene Petunien in einem Blumentrog. Er war überrascht und nahm ein paar Stängel für Tests in seinem Labor mit. Diese zufällige Begegnung war der Ausgangspunkt eines Falles, der später als „Petunienkrise“ bezeichnet wurde und letztlich zur Vernichtung aller orangenen bzw. lachsfarbenen Petunienvarianten weltweit führte.
Das Projekt des Wiener Fotografen Klaus Pichler, Das Petunien-Gemetzel, basiert auf der wahren Geschichte der orangefarbenen Petunien. Es erzählt von den Folgen von Teemu Teeris Entdeckung, als DNA-Tests zeigten, dass die orangefarbenen Petunien transgen sind, also ein Produkt von Gentechnik. Es geht zurück auf die Ursprünge der orangefarbenen Pflanzen und ihrer mysteriösen „Flucht aus dem Labor“. Schließlich erklärt es, warum die orangefarbenen Petunien als illegal eingestuft wurden, nachdem sie über 25 Jahre lang ohne Genehmigung gezüchtet und verkauft wurden, was 2017 zu ihrer weltweiten Massenvernichtung führte – bis 2020 wurden 143 Varianten der orangefarbenen Petunien entdeckt, die alle dieselbe gentechnische Sequenz aufwiesen wie die der Pflanzen des Versuchs von 1990.
Die Geschichte der orangen Petunien ist freilich mehr als eine wissenschaftliche Anekdote – sie ist vielmehr eine Parabel dessen, was passieren kann, wenn wissenschaftliches Interesse, kommerzielle Marketinglogik, gesellschaftspolitische Werte, öffentlicher Diskurs und unerwartete Zufälle aufeinanderprallen.
Das Petunien-Gemetzel erzählt die Chronologie des Falles auf unverblümte Weise, bestehend aus Fotos, Faksimiles und Artefakten, die wissenschaftliche Fakten und Archivmaterial mit fiktiven Elementen ergänzen. Die fotografische Erzählung Pichlers basiert auf der Zusammenarbeit mit allen relevanten Akteuren des orangefarbenen Petunienfalls. Sie haben ihre Erfahrungen ausgetauscht, Bildmaterial zur Verfügung gestellt und auch Zugang zu ihren Labors gewährt, wo sie weiterhin transgene orangefarbene Petunien für die wissenschaftliche Forschung züchten dürfen. Bei der Ausstellung im Stadthaus wird auch ein großes Petunienfeld als Blickfang für die Besucher installiert – dieses freilich ohne gentechnisch veränderte Pflanzen.