Yongchul Kim | Blinder Fleck
Die Kunsthalle Gevelsberg freut sich, in der eigens für sie konzipierten Einzelausstellung Yongchul Kims Groß- und Mittelformate, die zwischen 2016 und 2022 entstanden sind, zusammenzuführen.
In den für die Schau ausgewählten Kunstwerken rückt Kims ‚vita activa‘ in den Vordergrund. Sein malerisches Können stößt auf politisches Engagement. Folglich kann seine Kunst nicht ohne gesellschaftskritische Aspekte verstanden werden. Auch bei der Betrachtung stellt sich immer die Frage, welche von beiden wichtiger ist: das handwerkliche Vorgehen, das den künstlerischen Rang innehat oder die sozialkritische Idee.
Es ist Kims ‚bíos praktikós‘, die der politischen Realität gewidmete „betrachtende“ Malerei, die die Werke so herausragend macht. Der Aktualitätsbezug seiner Arbeiten ermöglicht der zeitgenössischen Kunst eine Auseinandersetzung: einen mutigen und dadurch nicht minder ästhetisch gefassten Blick auf Egomanie, Narzissmus, Nationalismus, Krieg- und Migrationserfahrungen. Seine Figuren lösen sich auf, treiben und gleiten über die Leinwand, werden von der Umgebung überlagert. Die jungen Protagonisten – Soldaten, Kinder und Wanderer – wirken bestürzt, ratlos und entrückt. Ihre Spiegelungen bleiben leer und sind Ausdruck verwaister Identitäten, eines trostlosen Neuanfangs, bei dem ausgelotet werden muss, was noch das "Eigene" und was das "Fremde" ist. Demgegenüber wirken die Erwachsenen – die kindlich versinnbildlichten Hasenjäger – naiv und unbedarft, als hätten sie ihre Adoleszenz nicht rechtzeitig abgelegt. Als aufsässige Kinder verkörpert, sind sie geradezu beängstigend in ihrer Anmaßung, selbst handeln und entscheiden zu dürfen.
Es ist eine – in der Komplexität und Kontinuität – außergewöhnliche Malerei, deren Tragkraft von innen nach außen führt, verbindend und aneinanderfügend. Ihre Wirkung entsteht dort, wo die Farben reorganisiert und gebändigt werden, wo die Farblappen großzügig entlangfahren und die Pinselführung aufgeschichtet wird.